Der Widerruf eines eigenen Angebots per E-Mail

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Die allgemeinen Regeln, wie ein Vertrag geschlossen werden und wie er widerrufen werden kann, ergeben sich aus dem Gesetz. Einschlägig sind §§ 116 bis 144 BGB.

Grundsätzlich kommt ein Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, namentlich Angebot und Annahme, zustande. Unter einem Angebot versteht man eine Willenserklärung mit dem Inhalt, einem bestimmten Vertragspartner einen Vertrag mit einem bestimmbaren Inhalt abschließen zu wollen. Mit der Annahme des Angebots kommt der Vertrag zu Stande. Eine Willenserklärung (zum Beispiel das Angebot) gilt dann als zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen zumindest die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu erlangen.

Seitdem das BGB am 01.01.1900 in Kraft getreten ist, gibt es eine besondere Regelung zum Wirksamwerden für Willenserklärungen gegenüber Abwesenden. Gemeint ist der Fall, dass der Empfänger der Willenserklärung sich an einem anderen Ort aufhält, als der die Willenserklärung Abgebende, § 130 BGB. Um 1900 wurde eine solche Willenserklärung per Post, per Bote oder bestenfalls per Telegramm abgeben. Entscheidend ist, wann die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt.

Bei einem Brief ist dies relativ unproblematisch: so gilt der Brief dann als „in den Machtbereich gelangt“, wenn er in den Briefkasten/das Postfach des Empfängers eingeworfen wurde. Nutzt man weiterhin ein Einwurfeinschreiben (eingeschriebener Brief) kann man nachweisen, dass der Brief auch tatsächlich beim Empfänger zugestellt wurde. Weiterhin wird bei einem Brief regelmäßig nach 24 Stunden mit der Kenntnisnahme zu rechnen sein, da eine tägliche Leerung des Briefkastens unterstellt werden kann.

Die modernen Kommunikationsmittel lösen die räumliche Distanz zur Abgabe von Willenserklärungen auf. Was früher Stunden oder Tage gedauert hat, ist heute innerhalb von Sekunden, wenn nicht sogar in Echtzeit möglich.

Ein besonders anschauliches Beispiel lag dem Urteil des BGH vom 06.10.2022 (VII ZR 895/21) zu Grunde, das sich mit dem Widerruf eines Angebots per E-Mail befasst.

Der anwaltliche Vertreter der späteren Klägerin versandte an einem Freitag um 09.19 Uhr eine E-Mail mit einer Erklärung über eine konkrete Summe, die einer Schlussrechnung zu Grunde gelegt wurde. Tatsächlich war die Summe für die Schlussrechnung indes noch nicht geprüft, sodass der anwaltliche Vertreter um 09.56 Uhr eine weitere E-Mail verschickte, in der er erklärte, dass die abschließende Prüfung ausstehe und die Mail von 09.19 Uhr unberücksichtig bleiben müsse. Diese zweite E-Mail war damit nichts anderes als ein Widerruf der vorangegangenen Willenserklärung.

Wären diese Erklärungen am gleichen Tag per Post aufgegeben worden und damit – praktisch – zeitgleich beim Empfänger zugestellt worden, wäre der Widerruf zusammen mit dem Angebot eingegangen. Das Angebot wäre entsprechend § 130 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.

Bei der gewählten E-Mail Kommunikation ändert sich das Ergebnis jedoch. Denn richtiger Weise ist auf den konkreten zeitlichen Ablauf abzustellen.

Der BGH hat festgestellt, dass E-Mails als zugegangen gelten, sobald sie auf dem Mail-Server des Empfängers während der üblichen Geschäftszeiten eintreffen und dort zum Abruf bereit sind. Unbeachtlich ist, ob die E-Mail wirklich zur Kenntnis genommen wurde oder nicht. Der Eingang auf dem Mailserver ist meist innerhalb weniger Sekunden zu verzeichnen.

Daraus leitet der BGH – jedenfalls für geschäftliche, öffentlich bekannte – E-Mail-Adressen her, dass bereits die Zurverfügungsstellung der Mail zum Abruf durch den Mailserver des Empfängers den Zugang in den „Machtbereich“ des Empfängers darstellt. Ist das zu den üblichen Geschäftszeiten erfolgt, ist ein Widerruf der Mail im Sinne von § 130 Abs. 1 S. 2 BGB nicht mehr möglich.

Daher gilt: Gerade in der Kommunikation per E-Mail oder Messangerdiensten sollte tunlichst darauf geachtet werden, was man wann wie erklärt. Willenserklärungen gelangen heutzutage schnell in den Machtbereich des Empfängers. Diese Willenserklärungen danach zu widerrufen, ist – jedenfalls auf Basis des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB – dann nicht mehr möglich.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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