Die Haftung des Reitvereins - wer zahlt bei einem Unfall im Reitunterricht?

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„Ein richtiger Reiter ist man erst, wenn man einmal vom Pferd gefallen ist.“ Wie viel Wahrheit in diesem Spruch steckt, mag dahinstehen. Doch es ist wohl eine Tatsache, dass jeder der viel reitet, zwangsläufig mal vom Pferd fallen wird. Häufig finden Stürze im Rahmen der ersten Reitstunden statt, in denen das Reiten erlernt wird. Kommt es infolgedessen zu einer schwereren Verletzung des Reitschülers, stellt sich die Frage, wer für die eingetretenen (Personen-)Schäden einzustehen hat. Hier geraten oftmals der Reitlehrer und der Reitverein beziehungsweise der Betreiber der Reitschule in das Visier des Verletzten und/oder seiner Eltern. Ob diese tatsächlich für die angefallenen Schäden einzustehen haben, wird im Folgenden im Grundsatz dargelegt.


Allgemeines zur Haftung des Reitlehrers und des Reitvereins

Zwischen den Beteiligten kommt im Rahmen des Reitunterrichts grundsätzlich ein Dienstvertrag zustande, § 611 BGB. Die Erteilung von Reitunterricht stellt eine Dienstleistung im Sinne von § 611 BGB dar [OLG Hamm NJW-RR 2013, 1038 (1039)]. Bei Vorliegen einer Pflichtverletzung sowie allen weiteren erforderlichen Voraussetzungen ist eine Haftung nach §§ 611, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB denkbar. Regelmäßig wird es sich um eine vertragliche Obhuts- oder Sorgfaltspflichtverletzung handeln. Die einzuhaltenden Verkehrssicherungspflichten des Reitlehrers/des Reitvereins umfassen hierbei alle Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren [OLG Hamm NJW-RR 2013, 1038 (1039)]. Jeder Gefahr muss hierbei nicht vorbeugend begegnet werden – dies wäre utopisch und faktisch nicht möglich. Die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten kann sich aus verschiedenen Punkten ergeben. Hierbei kommt insbesondere in Betracht, dass der Reitschüler erkennbar überfordert wird, eine zu schwierige Übung von ihm oder dem Pferd gefordert wird, falschen Eingriffen des Reitlehrers usw.; eine spezielle Ausbildung wird bei Vorliegen einschlägiger Pferdeerfahrung für nicht zwingend erforderlich gehalten [so OLG Hamm NJW-RR 2013, 1038 (1039)].

Neben einer vertraglichen Anspruchsgrundlage werden seitens der Rechtsprechung vor allem Ansprüche aus § 833 BGB thematisiert, sodass diese im Folgenden den Schwerpunkt bilden.

§ 833 BGB regelt die Haftung des Tierhalters. Gemäß § 833 S. 1 BGB haftet der Halter eines Pferdes grundsätzlich verschuldensunabhängig für die Schäden eines Dritten. Basierend auf der hohen Gefahr für Dritte die von einem Tier ausgeht, hat der Halter hierfür umfänglich einzustehen (sogenannte Gefährdungshaftung). § 833 S. 1 BGB fordert, dass sich in der eingetretenen Rechtsgutverletzung eine spezifische Tiergefahr verwirklich hat, welche auf dem unberechenbaren tierischen Verhalten basiert. Halter des Tieres ist derjenige, der das Tier im eigenen Interesse nicht nur vorübergehend nutzt.

Anders ist die Haftungssituation nur dann zu beurteilen, wenn es sich um ein Tier handelt, welches dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, § 833 S. 2 BGB. § 833 S. 2 BGB enthält das sogenannte Nutztierprivileg, wonach die Haftung ausgeschlossen ist, wenn der Tierhalter bei Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat.

Diese Differenzierung ist bei der Beurteilung der Haftungsfrage im Reitunterricht zu berücksichtigen. Sofern eine Privatperson, d.h. beispielweise ohne Anstellung im Reitverein oder ähnliches, einmalig Reitunterricht auf ihrem Privatpferd gibt, so ist das Pferd in dieser Situation nicht als Nutztier zu klassifizieren, welches dem Beruf oder Unterhalt des Tierhalters dient. Vielmehr richtet sich hier die Beurteilung der Haftung nach § 833 S. 1 BGB (und ggf. Vertragsrecht), sodass der Halter des Tieres unabhängig vom Verschulden haftet. An dieser Stelle kann jedoch auch die Beachtung eines Mitverschuldens der reitenden Person maßgeblich werden, sodass in der Folge gegebenenfalls nicht sämtliche Schäden zu ersetzen sind, sondern nur ein Teil hiervon.

Handelt es sich dagegen um einen Reitverein, welcher den Vereinsmitgliedern Schulpferde zur Verfügung stellt, gestaltet sich die Situation anders. Als Tierhalter können nicht nur natürliche Personen in Betracht gezogen werden, sondern auch juristische Personen des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts [MüKoBGB/Wagner, 8. Auflage 2020, BGB § 833, Rn. 40]. Damit kann auch ein Reitverein als Halter eines Pferdes klassifiziert werden, sofern er das Pferd nutzt und die Kosten für Unterhalt und Pflege trägt [OLG Celle VersR 1979, 161]. In der Folge haftet der Verein als Halter bei Realisierung der tierspezifischen Gefahr. Sofern es sich hierbei um einen Idealverein (auch nicht wirtschaftlicher Verein, § 21 BGB) handelt, d.h. einem gemeinnützigen Verein, welcher nicht mit der Absicht einer Gewinnerzielung gegründet wurde und die gehaltenen Pferde ausschließlich den sportlichen Zwecken der Vereinsmitglieder dienen, d.h. also nicht dem Erwerb oder Unterhalt des Vereins, greift das Nutztierprivileg nach § 833 S. 2 BGB nicht [LG Münster NJOZ 2008, 802 (805)]. Ebenso gelangt § 833 S. 2 BGB nicht zur Anwendung, wenn die Vereinspferde den Vereinsmitgliedern nur gegen Zahlung eines Entgelts bereitgestellt werden [so schon BGH NJW 1982, 763]. Durch die Verlagerung der Haftung auf den Reitverein werden die Pferde nicht automatisch zu Nutztieren im Sinne von § 833 S. 2 BGB [BGH NJW 1982, 763 (764)]. In der Folge tritt eine verschuldensunabhänige Haftung nach § 833 S. 1 BGB ein.

Ein Idealverein, welcher satzungsmäßig die Aufgabe der Reittherapie von Behinderten hat, kann sich gleichermaßen nicht auf die Exkulpationsmöglichkeit nach § 833 S. 2 BGB berufen, da es sich um einen nicht wirtschaftlichen Verein handelt, welcher keine Nutztiere hält [BGH NJW 2011, 1961 (1962)]. Irrelevant ist dabei auch, dass der Verein die Tiere zumindest zu einer geringen Erwerbstätigkeit nutzt; erforderlich wäre eine überwiegende gewerbliche Nutzung oder zumindest ein solcher Umfang, wie ein wirtschaftliches Unternehmen zu Erwerbszwecken die Tiere nutzen würde [BGH NJW 2011, 1961 (1962)].

Sofern es sich um einen Reitverein beziehungsweise eine Reitschule handelt, welcher/welche ein wirtschaftliches Interesse verfolgt, sind die Vereins-/Schulpferde grundsätzlich als Nutztiere einzuordnen mit der Folge, dass ein Berufen auf das Nutztierprivileg möglich ist. Maßgeblich ist hierfür die allgemeine Zweckbestimmung, welche das Tier von seinem Halter erhalten hat [vgl. z.B. BGH NJW 2011, 1961 (1961)]. In der Folge ist die Haftung nur dann zu bejahen, wenn gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen wurde. Insbesondere bei Reitschulen ist die Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks wohl üblich.

Das OLG Frankfurt spricht in seinem Urteil vom 25.11.2005, Az.: 24 U 128/05 sogar bei § 833 S. 2 BGB davon, dass „mit den im Gesetz bezeichneten Haltungszwecken -Ausschlussgründen- [...] ein gewisses wirtschaftliches „Angewiesensein“ vorausgesetzt [ist]; Zweck des Haftungsausschlusses ist der Schutz von Personen, die ihren Lebensunterhalt wenigstens zu einem erheblichen Anteil aus der Tierhaltung erwirtschaften.“ Dies wurde in der Entscheidung des OLG Frankfurt bei einer Frau vereint, welche als Lehrerin mit einem Einkommen im vierstelligen Bereich arbeitet und durch die Erteilung von Reitunterricht monatlich um die 340,00 € zusätzlich verdiente. In der Folge konnte sich die Klägerin nicht auf das Nutztierprivileg nach § 833 S. 2 BGB berufen.

Zusammenfassend haftet der Reitverein damit uneingeschränkt nach § 833 S. 1 BGB, sofern die Gewinnerzielung nicht im Vordergrund steht. Dies gilt im Übrigen auch für einen Reitlehrer, sofern dieser seinen Lebensunterhalt nicht maßgeblich durch den Reitunterricht bestreitet.


Das Berufen auf das Nutztierprivileg nach § 833 S. 2 BGB

Sofern es sich nun um einen wirtschaftlich orientierten Verein handelt, sodass die Gewinnerzielung den Schwerpunkt der Tätigkeit darstellt oder ein Reitlehrer, welcher (mit eigenen Pferden) seinen Lebensunterhalt mit der Erteilung von Reitunterricht erzielt, stellt sich die Frage nach den Voraussetzungen, um tatschlich einen Haftungsausschluss bejahen zu können. Hierfür muss bei Erteilung des Reitunterrichts, beziehungsweise im Reitverein bei der Zurverfügungstellung von Pferden gegenüber seinen Mitgliedern, die erforderliche Sorgfalt im Verkehr berücksichtigt worden sein. Maßgeblich für die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ist hierbei wiederum § 276 Abs. 2 BGB, wonach die Anforderungen an die Sorgfalt nach dem jeweils maßgeblichen Verkehrskreis zu bestimmen sind [OLG Frankfurt BeckRS 2004, 07174; beziehungsweise BGHZ 39, 283]. Das OLG Frankfurt [BeckRS 2004, 07174]  konstatiert, dass Reiten seiner Art nach schon mit besonderen Gefahren verbunden ist – vor allem auch mit dem Stürzen/Fallen vom Pferd. Das könne auch bei Befolgung aller Sorgfaltspflichten nicht verhindert werden. Da gerade beim Erlernen des Reitens die Gefahren besonders hoch sind, sind hierbei an den Reitlehrer besonders hohe Anforderungen zu stellen – diese dürfen allerdings auch nicht überstrapaziert werden. Das OLG Frankfurt führt zum Umfang der Sorgfaltspflichten aus: „Ausreichend ist die Wahrung der Sorgfaltspflichten, wie sich für einen allgemein üblichen, ordnungsgemäßen Reitunterricht entwickelt haben. [...] der Reitunterricht muss aber so organisiert und durchgeführt werden, dass die Reitschüler/innen nicht in stärkerem Maß gefährdet werden, als dies bei jedem Reitunterricht naturgemäß der Fall ist.“

Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann sich zum Beispiel dann ergeben, wenn der Reitlehrer seinen Reitschüler nicht zum Schritt durchparieren lässt, wenn eine geführte Stute mit ihrem Fohlen den Zirkel in Richtung des Ausgangs durchquert, auf welchem der Reitschüler trabt und es infolgedessen zu einem Richtungswechsel des gerittenen Pferdes, verbunden mit einem Sturz des Reitschülers, kommt [einen Schadensersatzanspruch im Ergebnis jedoch ablehnen: OLG Frankfurt, BeckRS 2013, 8933]. Maßgeblich ist aber stets der Einzelfall unter Beachtung der Erfahrung des Reiters, den bekannten Eigenarten des Pferdes und der ggf. abgesprochenen Art und Weise des Reitunterrichts.


Der angestellte Reitlehrer

Vertragliche Ansprüche scheiden an dieser Stelle zumeist aus, da der Vertrag zwischen Reitschüler und Inhaber der Reitschulen geschlossen wird, sodass der Reitlehrer regelmäßig lediglich Erfüllungsgehilfe nach § 278 BGB ist. Eine Haftung nach § 834 S.1 BGB, der sogenannten Haftung des Tieraufsehers, ist häufig ausgeschlossen, da nicht zwingend jede Person, zu dessen vertraglichen Verpflichtungen der Umgang mit Tieren gehört, auch zum Tieraufseher wird [OLG Düsseldorf NJOZ 2002, 2357. Eine Klassifizierung als Tieraufseher ist jedoch freilich nicht in jedem Falle ausgeschlossen]. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass dem Tieraufseher die tatsächliche Gewalt und die Beherrschung der Tiergefahr für eine gewisse Zeit zur selbstständigen Ausübung übertragen wurde; bei auf Anweisungen handelnden Personen ist dies nicht der Fall [Düsseldorf NJOZ 2002, 2357 m.w.N.; OLG Hamm, BeckRS 2000, 559 m.w.N.].

Eine Haftung aus § 833 S. 1 BGB scheitert an der fehlenden Haltereigenschaft des Reitlehrers, da der Betreiber der Reitschule (zumeist) als Halter zu klassifizieren sein wird und nicht der Reitlehrer.

Daneben kann jedoch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen. Hierfür bedarf es der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Verkehrssicherungspflicht trifft grundsätzlich den Inhaber der Gefahrenquelle. Im vorliegenden Fall also regelmäßig den Inhaber der Reitschule. Die Verkehrssicherungspflicht kann jedoch auch auf den Reitlehrer übertragen werden, sofern entsprechende wirksam vereinbarte Absprachen vorliegen. Die Pflicht aus dem Arbeitsvertrag, Reitunterricht zu erteilen, begründet jedoch noch nicht automatisch die Übernahme der Verkehrssicherungspflichten [OLG Düsseldorf NJOZ 2002, 2357 (2359)].

Im Weiteren kann der Reitschulinhaber auch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB haften. Der Reitlehrer stellt oftmals – aber nicht immer – einen Verrichtungsgehilfen im Sinne der Norm dar. Der Haftungsgrund bei § 831 BGB liegt jedoch nicht darin, dass der Reitlehrer eine Pflicht verletzt hat. Vielmehr wird dem Reitschulbetreiber der Vorwurf gemacht, seinen Verrichtungsgehilfen nicht ordnungsgemäß ausgesucht zu haben beziehungsweise nicht ordentlich überwacht zu haben. Damit muss ein eigenes Verschulden des Reitschulbetreibers an den Tag getreten sein.


Berücksichtigung des Verhaltens des Reiters

Die mögliche Haftung kann grundsätzlich durch ein Mitverschulden des Reiters gemäß § 254 BGB gemindert werden. Dafür muss der Unfall durch ein vorwerfbares Verhalten des Reiters mitverursacht worden sein. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Reitfehler in Form fehlerhafter Hilfen oder der fehlenden Befolgung des Unterrichtenden vorliegt [OLG Hamm, BeckRS 2000, 559].


Versicherungsrechtliche Absicherung

Für den Reitlehrer bietet sich der Abschluss einer privaten Reitlehrerhaftpflichtversicherung an, um im Schadensfalle gegen potentielle Ansprüche des Reitschülers geschützt zu sein. Sofern es sich um einen Angestellten im Reitverein handelt, bietet z. B. die Landessportversicherung eine entsprechende Deckung. Daneben kann der Abschluss einer Reitlehrerhaftpflichtversicherung sinnvoll sein, um ausreichenden Versicherungsschutz zu erhalten.

Je nach Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses bzw. des Vorliegens eines gewerblichen Betriebs kann auch die Aufnahme in die Betriebshaftpflichtversicherung eine Möglichkeit sein, um den Reitlehrer vor Haftungsansprüchen zu schützen.

Für den Halter eines Pferdes ist der Abschluss einer Tierhaftpflichtversicherung zwingend erforderlich, um im Haftungsfall ausreichend abgesichert zu sein. Bei Reitschulpferden können diese grundsätzlich mit in die Betriebshaftpflichtversicherung aufgenommen werden.





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