Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt ist verfassungsrechtlich zulässig

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Der Rechtstipp behandelt den Beschluss des BVerfG vom 14.01. 2020 - 2 BvR 2055/16.

1. Thesenartige Zusammenfassung

  • Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis muss nicht zwingend durch Richterspruch erfolgen.
  • Die Entfernungsentscheidung muss nicht der Disziplinargewalt des Dienstvorgesetzten entzogen und einem Gremium überantwortet werden.
  • Das beamtenrechtliche Lebenszeitprinzip erfordert keinen Richtervorbehalt für Entfernungen aus dem Beamtenverhältnis, wenn effektiver nachgelagerter Rechtsschutz sichergestellt ist.

2. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wendete sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit sowie mittelbar gegen den im Jahr 2008 eingeführten § 38 Abs. 1 des Landesdisziplinargesetzes Baden-Württemberg. Dieser sieht nach Abschaffung der bisherigen gerichtlichen Disziplinargewalt die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt vor.

In den §§ 26 ff. LDG BW sind die Bemessungsgrundlagen für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme explizit normiert, sodass das Verwaltungshandeln legislativ enger als zuvor (vgl. §§ 5 ff. LDO BW) gesteuert ist. Nach diesen Vorschriften sind je nach Disziplinarmaßnahme in gradueller Abstufung bei feststehendem Dienstvergehen dessen Schwere, die Beeinträchtigung des Vertrauens sowie das Persönlichkeitsbild des Beamten maßgeblich. Außer bei der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und der Aberkennung des Ruhegehalts ist auf Rechtsfolgenseite Ermessen eingeräumt. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach § 31 Abs. 1 LDG BW ist als gebundene Entscheidung ausgestaltet:

„Hat der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung endgültig verloren, wird er aus dem Beamtenverhältnis entfernt. (…)“

Das Polizeipräsidium entfernte den Beschwerdeführer aus dem Beamtenverhältnis mit der Begründung, dass er durch abgeurteilte Straftaten ein schweres Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen habe, indem er schuldhaft insbesondere die Wohlverhaltenspflicht nach §§ 33 f. BeamtStG verletzt habe. 

Die gegen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichtete Klage des Beschwerdeführers blieb in allen Instanzen erfolglos.

3. Rechtliche Begründung

a) Kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, wonach eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch erfolgen darf

Dieses Ergebnis begründete das BVerfG vor allem mit einer historischen Analyse: während des traditionsbildenden Zeitraums bis zum Ende der Weimarer Republik etablierte sich keine Regel, wonach eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch erfolgen darf.

b) Kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, wonach die Entfernungsentscheidung der unmittelbaren alleinigen Disziplinargewalt des Dienstvorgesetzten entzogen und immer einem Gremium zu überantworten ist

Dieses Ergebnis wurde damit begründet, dass das Disziplinarverfahren im traditionsbildenden Zeitraum im Entfernungsfall unterschiedlich ausgestaltet war und sich aus diesem Grund kein „hergebrachter Grundsatz“ habe bilden können. Neben der Übertragung der Disziplinarbefugnis auf Gerichte fanden sich verschiedenste Elemente exekutiver Selbst- und judikativer Fremdkontrolle, die ihrerseits unterschiedlich kombiniert wurden.

c) Kein Erfordernis eines Richtervorbehaltes für Entfernungen aus dem Beamtenverhältnis aufgrund des Lebenszeitprinzips gemäß Art. 33 Abs. 5 GG

Diesem Argument des Beschwerdeführers begegnete das Bundesverfassungsgericht mit dem bestehenden Rechtsweg.

Das Lebenszeitprinzip hat die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamten im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten und schützt den Beamten vor einer willkürlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis etwa nach freiem Ermessen eines politischen Gremiums. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall jedoch nicht, dass bereits die disziplinare Erstentscheidung von einem Gericht getroffen werden muss.

Vielmehr kann angesichts des ausdifferenzierten Rechtsschutzsystems ein hinreichender Grundrechtsschutz grundsätzlich durch nachträgliche gerichtliche Kontrolle gewährleistet werden.

4. Würdigung der Entscheidung

Die ausführlich und sehr detailreich begründete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgt im Ergebnis dem zugrunde liegenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.04.2016 - 2 C 4.15. Bereits das Bundesverwaltungsgericht hatte letztinstanzlich entschieden, dass hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums i.S.v. Art. 33 Abs. 5 GG der disziplinaren Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt nicht entgegenstehen und hatte seine Entscheidung mit einer beeindruckenden rechtshistorischen Detailtiefe begründet.

Aus strukturellen Rechtschutzgesichtspunkten (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht überraschend; entspricht es doch tradierter Auffassung, dass nachgelagerter verwaltungsgerichtlicher Rechtschutz regelmäßig ausreichend ist (so etwa auch BVerwG, Beschluss vom 21.12.2016 - 2 VR 1.16). Aus Gründen der Rechtsklarheit in dieser bisher verfassungsgerichtlich offenen Frage ist die Entscheidung zu begrüßen.

Dass es gleichwohl keine einheitliche Linie im Senat gab, zeigt das - in der Spruchpraxis des BVerfG seltene - Sondervotum (dazu: Kranenpohl, Hinter dem Schleier des Beratungsgeheimnisses. Der Willensbildungs- und Entscheidungsprozess des Bundesverfassungsgerichts, 1. Auflage 2010, Seite 193).

Die Entscheidung erging mit 7 zu 1 Stimmen. Mit dem Argument, die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums in Art. 33 Abs. 5 GG gebiete, dass im Disziplinarverfahren eine Entfernung aus dem Dienst nur aufgrund eines förmlichen Verfahrens angeordnet werden dürfe, hält BVR Prof. Dr. Huber § 38 LDG BW in seiner konkreten Ausgestaltung für verfassungswidrig und nichtig.

5. Folgen für die Praxis

Für die Praxis ist nunmehr aus Rechtschutzgesichtspunkten geklärt, dass es in Baden-Württemberg keine Änderungen beim (nachgelagerten) Rechtschutz gegen auf Entfernung lautende Disziplinarverfügungen geben wird und es bei der bisherigen Rechtslage bleibt.



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