Erben in grenzüberschreitenden Fällen

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Der europäische Gesetzgeber hat eine Reihe von Lösungen eingeführt, die den Bürgern der Europäischen Union erleichtern sollten, vor welchem Gericht und nach welchem Recht sie erben werden. Allerdings sind die vorgestellten Lösungsansätze nicht immer für Mandanten eindeutig im Kontext verschiedener Probleme der Erben. Insbesondere scheint der Fall für Mandaten kompliziert zu sein, wenn ein Testament in einem der europäischen Länder errichtet wurde, im Testament man jedoch nicht ausdrücklich das anwendbare Recht gewählt hat, wie es die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (Verordnung) vorschlägt. Diese Situation betrifft häufig Testamente, die in der Zeit errichtet wurden, in der die oben genannte Verordnung nicht galt (vor Inkrafttreten). Dann scheinen die EU-Übergangsbestimmungen die Angelegenheit zu lösen.


Wir laden Sie ein, den neuesten Artikel zu lesen, in dem wir die EU-Erbschaftsfragen besprechen.

Um die Frage der europäischen Erbschaft zu besprechen, werden wir ein Beispiel verwenden. Eine Ehepaar hat in Deutschland ein gemeinsames Testament errichtet, wenn die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und die Vollstreckung von öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden: die Verordnung) noch nicht galt, d. h. vor dem 17. August 2015. Die Erblasser sind nach Polen umgezogen und sie überlegen, ob das Testament wirksam wird und welches Erbschaftsrecht im Falle des Todes eines der Ehegatten gelten wird - polnisches oder deutsches.

Gemäß den Übergangsbestimmungen der oben genannten Verordnung, d.h. gem. Art. 83 Abs. 1 der Verordnung diese Verordnung findet auf die Rechtsnachfolge von
 Personen Anwendung, die am 17. August 2015 oder danach
 verstorben sind
.

Laut der allgemeinen Regel der Verordnung unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines
 Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Die obige allgemeine Regel gilt jedoch für Situationen, in denen der Erblasser vor seinem Tod das auf seinen Erbfall anzuwendende Recht in seinem Testament nicht gewählt hat und vor dem 17. August 2015 kein Testament errichtet hat. Gemäß des Art. 22 der Verordnung eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört

So kann die Person, die das Testament errichtet hat, in ihrem Testament bestimmen, dass das Recht ihrer Staatsangehörigkeit (in diesem Fall polnisches oder deutsches) auf den Erbfall anzuwenden ist.

Der Gesetzgeber hat jedoch deutlich betont, dass die Wahl des auf die Erbschaft anwendbaren Rechts, also polnisches oder deutsches Erbrecht, ausdrücklich im Testament erfolgen sollte oder sich aus den Bestimmungen eines solchen Testaments ergeben sollte. Die polnische Judikatur weist darauf hin, dass „die bloße Errichtung eines Testaments in einer bestimmten Form oder in einer bestimmten Sprache nicht den Willen zur Wahl des materiellen Rechts zur Folge hat“ (Urteil poln. SA in Danzig vom 4. Dezember 2018; V ACa 167/18).

Es gilt jedoch nicht für Testamente, die vor dem 17. August 2015 errichtet wurden, für die besondere Übergangsbestimmungen gelten.

Gemäß Art. 83 Abs. 2 der Verordnung hatte der Erblasser das auf seine Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht vor dem 17. August 2015 gewählt, so ist diese Rechtswahl wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt oder wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Rechtswahl geltenden Vorschriften des Internationalen Privatrechts in dem Staat, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder in einem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besaß, wirksam ist.

Die Beurteilung der Wirksamkeit der Testamente, die vor dem 17. August 2015 errichtet wurden auf der Grundlage des Art. 83 Abs.3 der Verordnung erfolgen sollGemäß Art. 83 Abs. 3 der Verordnungeine vor dem 17. August 2015 errichtete Verfügung von Todes wegen ist zulässig sowie materiell und formell wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt oder wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung geltenden Vorschriften des Internationalen Privatrechts in dem Staat, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder in einem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besaß, zulässig sowie materiell und formell wirksam ist.

Beide vorgenannte EU-Bestimmungen sind Kollisionsnormen, auf deren Grundlagen Handlungen im Todesfall, die vor dem 17. August 2015 vorgenommen wurden, aufrechterhalten werden können. Diese Bestimmungen sind im Einklang mit der Annahme von in dubio pro validitate weit auszulegen. Die Absicht des Gesetzgebers ist es, die Gültigkeit solcher Handlungen sicherzustellen.

Im vorliegenden Fall wurde das anwendbare Recht nicht gewählt und das Testament wurde vor dem 17. August 2015 errichtet. Im Zusammenhang damit Art. 83 Abs. 4 der Verordnung Anwendung findet.

Gemäß Art. 83 Abs. 4 der Verordnung  wurde eine Verfügung von Todes wegen vor dem 17. August 2015 nach dem Recht errichtet, welches der Erblasser gemäß dieser Verordnung hätte wählen können, so gilt dieses Recht als das auf die Rechtsfolge von Todes wegen anzuwendende gewählte Recht.

Die obige Vorschrift führt die Fiktion der Rechtswahl ein. Das bedeutet, dass die bloße Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments vor dem 17.August 2015 in Deutschland durch deutsche Staatsangehörige trotz fehlender eindeutiger Rechtswahl im Testament zur Anerkennung des deutschen Rechts als zuständiges Erbrecht führt. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Wohnsitz der Personen, die das Testament errichtet haben, dauerhaft von Deutschland nach Polen verlegt hat und ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort zum Zeitpunkt des Todes Polen sein wird.

Ähnliche Situation, wenn ein polnischer Staatsbürger vor dem 17. August 2015 ein Testament errichtet hat und dann nach Deutschland umgezogen ist und dort während der Geltungsdauer der Verordnung verstarb. Gemäß der obigen Bestimmung wird die Fiktion der Wahl des polnischen Rechts für die Erbschaft angenommen – Vermutung der Wahl des polnischen Rechts.

Die Rechtswahlfiktion für Handlungen vor dem 17.08.2015 beruht auf der Annahme, dass der Erblasser das Recht seines Heimatlandes gewählt hätte, auf dessen Grundlage er sein Testament errichtet hat, wenn es damals Vorschriften gab, die eine solche Wahl vorsahen.

Das Wichtigste zu den Bestimmungen der EU-Verordnung:

- obige Verordnung wird lediglich für Erben nach Personen, die am oder nach dem 17. August 2015 verstorben sind, angewendet

- vorbehaltlich des oben Gesagten gilt die Verordnung auch für Fälle, in denen ein Testament errichtet wurde, unabhängig davon, wann es errichtet wurde (während der Geltung der Verordnung oder vor ihrem Inkrafttreten)

- wurde das auf den Erbfall anzuwendende Recht nicht gewählt, ist das auf den Erbfall anwendbare Recht das Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte

- die Wahl des Erbrechts muss im Testament ausdrücklich festgelegt werden, Sie können das Recht wählen, dessen Staatsangehörigkeit Sie besitzen

- die bloße Errichtung eines Testaments in einer bestimmten Form oder in einer bestimmten Sprache bedeutet nicht automatisch, dass die Rechtswahl für Erbe erfolgte (zB. die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments in Deutschland bedeutet automatisch nicht, dass das deutsche Recht für die Erbe ausgewählt wurde oder Errichtung eines Testaments in polnischer Sprache bedeutet automatisch nicht, dass das polnische Recht für die Erbe ausgewählt wurde); Ausnahme: Testamente, die vor dem 17. August 2015 errichtet wurden.

- wenn das Testament vor dem 17. August 2015 nach dem Recht errichtet wurde, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte, gilt dieses Recht als das auf den Erbfall anzuwendende Recht - fiktive Rechtswahl.


Für Fragen bezüglich deutschen oder polnischen Testamenten und das polnische sowie europäische Erbrecht, polnischer Erbschein sowie ein Pflichteilsverfahren in Polen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

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