Erhebliche Ruhestörung durch Klavierspiel

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Das im Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 4 Berliner Landesimmissionsschutzgesetzes enthaltene Merkmal des „Lärms“ ist mit Blick auf das grundgesetzlich verankerte Bestimmtheitsgebot verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere sind die verfassungsrechtlichen Grenzen der Gesetzesauslegung nicht überschritten, wenn hierunter auch das Musizieren in der eigenen Wohnung gefasst wird. Das Merkmal der „erheblichen Ruhestörung“ durch sonntägliches Musizieren in der eigenen Wohnung hingegen kann nicht allein schon dann bejaht werden, wenn sowohl der sich gestört fühlende Nachbar als auch ein unabhängiger Zeuge die Musik als ruhestörend empfunden haben.


In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17.11.2009 - 1 BvR 2717/08 – auf die Verfassungsbeschwerde eines Mieters in einer Reihenhaussiedlung entschieden, dessen 16-jährige Tochter gegen 19.00 Uhr täglich eine Stunde lang Klavier  spielt. Hierdurch fühlte sich der Nachbar gestört, welcher das Klavierspiel zwar wochentags, aber nicht sonntags hinnehmen wollte. Der herbeigerufene Polizeibeamte konnte bei seinem Erscheinen die Musik in der Wohnung des Nachbarn deutlich wahrnehmen und empfand diese ebenfalls als belästigend. Daraufhin setzte das Bezirksamt eine vom Amtsgericht bestätigte Geldbuße fest wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Verbot, an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen erheblich ruhestörenden Lärm zu verursachen.


Dies hielt der verfassungsrechtlichen Überprüfung anhand des Bestimmtheitsgebotes gem. Art. 103 Abs. 2 GG nicht stand: Hiernach hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Rechtsfolgen zu erkennen sind und sich notfalls durch Auslegung ermitteln lassen.  Während hiernach gemessen an dem Wortsinn einer Regelung das Tatbestandsmerkmal des „Lärms“ hinreichend bestimmt ist, vermochte dies hinsichtlich der „erheblichen Ruhestörung“ offen zu bleiben. Denn jedenfalls hat das Amtsgericht die Vorschriften in einer mit Artikel 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden Art und Weise angewendet: Ausgehend von der Annahme, dass jeder verständige, nicht besonders geräuschempfindliche Mensch feststellen könne, ob eine „objektive Ruhestörung“ vorliege, hatte es eine solche allein aufgrund der Aussage des Nachbarn und des Polizeibeamten als erwiesen erachtet. Hierbei hatte es nicht einmal den Versuch unternommen, den normativen Gehalt des auslegungsbedürftigen Tatbestandsmerkmals der „erheblichen Ruhestörung“ zu erfassen und auch im Hinblick auf das Musizieren in der eigenen Wohnung begrifflich zu präzisieren. Damit wird die Entscheidung hierüber letztendlich dem Zeugen überantwortet, was der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG gerade verhindern soll. Denn hiermit ist für die Normadressaten selbst nicht mehr hinreichend erkennbar, welches Verhalten sanktionsbewehrt ist.


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