EuGH: Verfall & Verjährung von Urlaub - oder doch nicht ?!?

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Ganz schön was los beim EuGH – Urlaub & Verjährung/Verfall  

Der Versuch einer verständlichen (und nicht immer ganz ernst formulierten) Zusammenfassung....:

Urlaub verjährt/verfällt nicht (mehr)… bzw. nur noch dann, wenn der Arbeitgeber* (AG) seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist und den Arbeitnehmer (AN) in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub noch rechtzeitig nehmen zu können!

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in drei Fällen aus Deutschland entschieden, dass der Urlaub in bestimmten Fällen doch nicht verfällt/verjährt, wenn der Arbeitgebende (AG) seine Mitwirkungspflicht nicht erfüllt hat und den Arbeitnehmenden (AN) darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub bald verfällt. Für eine Verjährung müsse er den AN zuvor durch entsprechende Aufforderung tatsächlich in die Lage versetzt haben, seinen Urlaubsanspruch auszuüben.
 
Gaaaanz früher mal war es so, dass gesetzlicher Urlaub, der – aus welchen Gründen auch immer - nicht genommen werden konnte, spätestens am 31.03. des Folgejahres verfallen ist (so liest sich auch immer noch unser § 7 BUrlG).

Aber….dann kam 2011 der EuGH (Urteil vom 22.11.2011, C-214/10 - KHS ./. Schulte) und urteilte: „nö“ das geht nicht, sondern Urlaub der wegen andauernder Arbeitsunfähigkeit (AU) nicht genommen werden kann, verfällt erst 15 Monate nach dem Urlaubsjahr (=Kalenderjahr). Also zB. Urlaub aus dem Jahr 2021 am 31.03.2023.
Dies wurde vom BAG dann auch so bestätigt (Urteil vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10).

In einer weiteren Entscheidung bestimmte der EuGH (EuGH 06.11.2018 - Shimizu ./. Max Planck Gesellschaft), dass AG ihre Beschäftigten darauf hinweisen müssen, dass sie ihren Urlaub noch nehmen müssen, damit dieser nicht am Jahresende verfällt (so bestätigt dann durch BAG, Urteil vom 19.02.2019, Az. 9 AZR 423/16).
Gerade letztgenannte Entscheidung sorgte für hektische Unruhe und zu vielen Schreiben an die Beschäftigten dahingehend, dass diese doch bitte noch ihren Urlaub nehmen mögen, da dieser sonst „weg“ sei….

Und… ausgehend von diesen Urteilen stellte sich nun die Frage, was gilt, wenn der Arbeitnehmer erst im Verlauf des Urlaubsjahrs ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt und bis dahin zumindest teilweise Urlaub hätte nehmen können?

Darüber hat nun der EuGH in drei Fällen aus Deutschland entschieden, nachdem die Erfurter Arbeitsrichter beim BAG vom EuGH geklärt wissen wollten, ob die 15-Monatsfrist auch bei unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers gilt.

Hierzu hat der EuGH nun entschieden (Urteil vom 22.09.2022, Az. C-120/21), dass ein Urlaubsanspruch des AN dann nicht verjährt, wenn ein AG den AN nicht auf den möglichen Verfall von Urlaub hingewiesen hat.

Die deutschen Regelungen zur Verjährung (§ 195 BGB) sind insoweit also unionsrechtswidrig (also pfui!). Denn ein AG, der seine Hinweispflichten verletzt, dürfe nicht noch mit der Verjährung „belohnt“ werden, urteilte der EuGH.

Im ersten zugrunde liegenden Fall klagte eine ehemalige Steuerfachangestellte gegen ihren AG auf Urlaubsabgeltung der Vorjahre. Sie war von 1996 bis Juli 2017 beschäftigt und konnte den ihr zustehenden Urlaub aufgrund des hohen Arbeitsvolumens nicht nehmen. Der AG hatte sie nicht darauf hingewiesen, dass der Urlaub verfällt, wenn sie diesen nicht nimmt – und damit seine Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt. Als die Steuerfachangestellte dann im Jahr 2018 nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Abgeltung des Urlaubs der Vorjahre geltend machte, berief sich ihr AG auf die Verjährung dieser Ansprüche.

Während das erstinstanzliche Arbeitsgericht (Urteil vom 19.02.2019, Az. 3 Ca 155/18) die Klage abwies, da die Ansprüche nach deutschem Recht verjährt seien, gab das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 02.02.2020, Az. 10 Sa 180/19) der Steuerfachangestellte Recht. Daraufhin zog der AG vor das BAG. Dieses legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor (Vorlagebeschluss vom 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20). Der EuGH sollte für das BAG bitte mal „abchecken“, ob das EU-Recht die Verjährung von Urlaub erlaubt, wenn der AG seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen war.
Dabei gaben die Richter*innen des BAG dem EuGH so einen kleinen Hinweis zu ihrer Rechtsauffassung, indem sie betonten, dass die Verjährung ja schließlich vom deutschen Gesetzgeber so gemacht wurde, um halt nach einer gewissen Zeit Rechtsfrieden und -sicherheit herzustellen.

Aber… dem erteilte der EuGH eine Klatsche und folge damit den Schlussanträgen des Generalanwaltes, der als Voraussetzung für die Verjährung ansah, dass ein AN zuvor über seine Rechte durch den AG aufgeklärt worden sein müsse (Schlussanträge vom 05.05.2022, Az. C-120/21). Und da der AN die schwächere Partei im Arbeitsverhältnis sei, dürfe ein AG, der seine Informationspflichten verletzt, eben nicht auch noch durch die Verjährung "belohnt" werden.
Denn der AN habe ja dann seinen Urlaub gar nicht nehmen können; weil er gar nicht wusste, dass dieser auf einmal „weg“ ist. Dem folge auch der EuGH und stellte fest, dass es zwar richtig sei, dass der AG ein Interesse daran habe, nicht mit „altem“ (quasi vergammelten weil schon älter als drei Jahre) Urlaub konfrontiert werden zu müssen. Allerdings sei dieses Interesse nicht berechtigt, wenn der AG den AN zuvor nicht in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen. Denn dadurch habe sich der AG selbst in eine Situation gebracht, in der er eben mit so etwas rechnen müsse (also ätsch.. selbst schuld).

Der EuGH sagt also vereinfacht gesagt, dass wenn der AN nichts von der Verjährung weiß, seine Urlaubsansprüche auch nicht verfallen können.
So!

Die zwei weiteren Fälle drehten sich um den Urlaubsanspruch bei Krankheit. Eine ehemalige Mitarbeiterin eines Krankenhauses und ein ehemaliger Frachtfahrer machten geltend, dass sie einen Anspruch auf bezahlten Urlaub für das Jahr haben, in dem sie aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgemindert bzw. arbeitsunfähig waren.

Auch diesen beiden AG urteilte der EuGH, dass die Urlaubsansprüche nicht erlöschen, wenn sie vor der Erwerbsunfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit entstanden waren und der AG den AN nicht rechtzeitig dazu aufforderte und es damit ermöglichte, seinen Urlaub noch zu nehmen.

Huiiii…. also ganz schön was los beim EuGH und durch diese Entscheidungen zeigt sich (wieder), wie wichtig dem europäischen Recht, die Urlaubsansprüche sind.

Nun befürchten viele AG, dass nun eine Klagewelle zur Urlaubsabgeltung durch Deutschland rollt. Und hierzu stellt sich die Frage, ob man dann den Urlaub der letzten Jahrzehnte, der verfallen ist, immer noch einklagen kann?!? Quasi zB. 40 Jahre rückwirkend? Wohl nicht… mhhh....oder doch ?!?

Viel wird wohl auch davon abhängen wie das BAG, dass über diese Fälle im Dezember entscheiden will (oder muss?!?) und damit an die Auslegungsmaßstäbe des EuGH gebunden ist, entscheiden wird.

Sicherlich wird es nun noch mehr Hinweisschreiben von AG an (arbeitsunfähige und erwerbsunfähige) AN geben, dass diese doch bitte ihren Urlaub nehmen mögen, da dieser ansonsten verfalle. Und sicherlich werden sich diese AN darüber wundern....

Und… sicherlich wird auch darüber nachzudenken sein, ob die immer wieder umstrittenen Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen nun nach AGB-Grundsätzen aufgrund der EuGH-Rechtsprechung unwirksam sind.

Es wird also nicht langweilig….  

*(zum besseren Verständnis wird hier ausschließlich die männliche Form verwendet; gemeint sind damit natürlich alle Geschlechter!)

Stephanie Merz

Rechtsanwältin & Fachanwältin für Arbeitsrecht

www.zuberundmerz.de

Kanzlei für Arbeitsrecht - Zuber & Merz

... spezialisiert auf die Interessenwahrnehmung von Arbeitnehmer*innen, Betriebsräten und Personalräten ....

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