Finanzskandal Wirecard: EY Wirtschaftsprüfer als Haftungsgegner für Aktionäre?

  • 4 Minuten Lesezeit

Seit dem die Wirecard AG am 25.06.2020 einen Insolvenzantrag gestellt hat und die Schreckensnachricht an die Aktionäre ging, dass 1,9 Milliarden Euro mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existieren würden, überschlagen sich die Ereignisse. Eine Hiobsbotschaft folgt auf die nächste. Mittlerweile befassen sich länderübergreifend Aufsichtsbehörden und Staatsanwaltschaften mit den Vorgängen.

Vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet

Am 29.06.2020 hat das Insolvenzgericht in München unter dem Az: 1542 IN 1308/20 das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Jaffé  zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt.

Laut Mitteilung des Insolvenzverwalters wurde er am 01.07.2020 vom Gläubigerausschuss als vorläufiger Insolvenzverwalter bestätigt. Laut Mitteilung des Insolvenzverwalters Dr. Jaffé haben sich bereits zahlreiche Interessenten weltweit für den Erwerb von Geschäftsbereichen der Wirecard AG gemeldet. Der vorläufige Gläubigerausschuss habe ferner für einen internationalen Investorenprozess unter Einschaltung von Investmentbanken gestimmt. Dies bedeutet mit großer Wahrscheinlichkeit, dass zunächst der Versuch unternommen werden wird, das noch intakte „Tafelsilber“ der Wirecard Holding zu veräußern.

Hinweise für Wirecard Aktionäre

Unsere Kanzlei Aslanidis, Kress & Häcker-Hollmann wird gegenwärtig sehr stark von Aktionären der Wirecard AG angefragt. Unsere Mandanten sind zunehmend verunsichert und fragen sich, wie sie sich verhalten sollen und ob Möglichkeiten für Schadensersatz im Fall Wirecard bestehen.

Unser dringender Rat lautet: Ruhe bewahren. Aktuell laufen weder Fristen, noch sind Massenverfahren eröffnet worden, zu welchen man sich anmelden könnte. Die Nachrichtenlage ist sehr dynamisch und allmählich kristallisieren sich die Anspruchs- oder auch Klagegegner heraus. Unsere Kanzlei wird in den nächsten Wochen und Monaten jegliche Erkenntnisquellen weiter auswerten.

Schadensersatzansprüche gegen EY 

Hinsichtlich potentieller Anspruchsgegner sind wir zwischenzeitlich der Überzeugung, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (früher Ernst & Young) zur Verantwortung zu ziehen ist. Insolvenzrechtlich haben Aktionäre keine Ansprüche als Gläubiger der Gesellschaft. Ein Vorgehen gegen die Wirecard AG wird aufgrund der vorliegenden Insolvenzanmeldung kritisch zu betrachten sein. Letztlich ist niemandem geholfen, wenn ein möglicher Klagegegner nicht über die ausreichende Bonität verfügt, um Schadensersatzansprüche zu bedienen.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY nimmt seit Jahren die  Jahresabschlussprüfung der Wirecard AG vor  und hat die Jahresabschlüsse bis einschließlich 2018 ohne Beanstandungen testiert. Erst jetzt, im Juni 2020, ist das Testat für den Jahresabschluss 2019 verweigert worden. Dies geschah erst auf großen medialen Druck und nachdem sich die Betrugsvorwürfe derart verdichtet hatten, dass den Vorständen der Wirecard AG kein Ausweg mehr bliebt, als den Aktionären reinen Wein einzuschenken. Tatsächlich stand die Wirecard AG schon seit vielen Jahren in der Kritik, ihre Bilanzen nicht ordnungsgemäß zu erstellen und über das tatsächliche Volumen des operativen Geschäftes zu täuschen. Am 24.02.2016 stürzte die Wirecard Aktie nach der Veröffentlichung eines Berichts der Analysefirma „Zatarra Research & Investigations LLC“ ab. Dabei verlor der Konzern binnen kurzer Zeit etwa 1,3 Milliarden Euro an Börsenwert und brauchte Monate, um sich davon wieder zu erholen. Der Wirecard AG wurde  vorgeworfen, ihren wirtschaftlichen Aufstieg durch Geldwäsche, Betrug, künstliches Aufblähen der Bilanz und weitere illegale Praktiken erreicht zu haben. Die Wirecard AG wies die Vorwürfe zurück. EY als Jahresabschlussprüfer ist wiederum nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches und internationalen Prüfungsstandards verpflichtet, möglichen Unregelmäßigkeiten nachzugehen und gewissenhaft sowie unparteiisch die Bilanzen zu prüfen (§ 317 HGB). Dabei hat der Abschlussprüfer umfassende Auskunfts- und Einsichtsrechte gegen das zu prüfende Unternehmen (§ 320 HGB). Unserer Ansicht nach hätte EY hier genauer hinsehen müssen. Dann wäre frühzeitig aufgefallen, dass die betreffenden Treuhandkonten keine nennenswerten Guthaben aufwiesen.

Auch wenn Sie als Aktionäre sich zu Recht als Gläubiger der Wirecard AG fühlen und das Insolvenzverfahren mit der Verteilung der Unternehmenswerte oft als nahe liegende Lösung zur Schadenskompensation angesehen wird, ist dies rechtlich leider nicht so. Als Aktionär sind Sie Gesellschafter des Unternehmens und damit streng genommen sogar Schuldner. Hier können wir jedoch Ihre Sorgen nehmen, denn Sie sind als Aktionär nicht zu Nachschüssen verpflichtet. Das maximale Risiko liegt im Totalverlust des investierten Geldes.

Die „Sammelklage“: Kapitalanlegermusterverfahren

Beim Vorgehen gegen die Wirecard AG wird nunmehr abzuwarten sein, ob und wann ein sogenanntes KapMuG Verfahren (Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz) eingeleitet wird. Hier besteht zum einen die Problemstellung, dass mit großer Wahrscheinlichkeit selbst bei einem erfolgreichen Vorgehen die Bonität der Wirecard AG durch die Insolvenz nicht zur Befriedigung der Aktionäre ausreichen wird. Ferner werden laufende gerichtliche Verfahren gemäß § 240 ZPO regelmäßig bei Vorliegen einer Insolvenz unterbrochen. Tatsächlich wären aber mindestens zehn laufende Verfahren notwendig, um überhaupt zu einem KapMuG Verfahren zu gelangen. Wir raten unseren Mandanten daher bezüglich eines möglichen KapMuG Verfahrens zur Weitsicht. Sollte wider Erwarten zügig eine Eröffnung eines KapMuG Verfahrens stattfinden und Aussichten auf eine Entschädigung bestehen, kann unsere Kanzlei kostengünstig und rechtssicher Anmeldungen vornehmen. Dies könnte im Bedarfsfall Ansprüche gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY flankieren.  

Foto(s): adobe stock © monropic


Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Georgios Aslanidis

Beiträge zum Thema