Gegen wen gelten die Grundrechte?

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Nachdem wir uns im letzten Beitrag angeschaut haben, für wen die Grundrechte gelten, widmen wir uns jetzt der Frage, gegen wen sie gelten, wer sich also an die Grundrechte anderer Personen zu halten hat.

In diesem Artikel wurde der folgende Grundsatz aufgestellt: Grundrechte gelten für den Bürger und gegen den Staat. Dieser Satz ist weiterhin ein guter Einstieg.


Umfassende Grundrechtsbindung des Staates

Art. 1 Abs. 3 GG führt auch ausdrücklich aus, dass die Grundrechte "Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht" verpflichten. Die drei klassischen Staatsgewalten Legislative (Parlament), Exekutive (Regierung) und Judikative (Gerichte) müssen die Grundrechte beachten.

Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde können somit Gesetze, behördliche Verfügungen und Urteile sein. In den ersten beiden Fällen muss häufig erst der Rechtsweg beschritten werden, sodass sich die allermeisten Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsurteile richten.

Zudem gilt dies für alle staatlichen Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden. Die Landesgrundrechte können die Bundesgrundrechte des Grundgesetzes allenfalls ergänzen, aber nicht einschränken.


Grundrechtsverpflichtung selbständiger staatlicher Institutionen

Aber nicht nur die unmittelbaren staatlichen Stellen sind an die Grundrechte gebunden. Auch im Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung hat der Bürger einen Freiheitsanspruch. Dies gilt insbesondere hinsichtlich teilweise verselbständiger Institutionen wie Universitäten oder Rundfunkanstalten.

Solche öffentlich-rechtlichen Körperschaften oder Anstalten sind trotz des etwas verschleiernden Begriffs "öffentlich-rechtlich" ebenfalls Teile des Staates. Damit sind sie umfassend an die Grundrechte gebunden, auch wenn sie sich daneben im Rahmen ihrer Kerntätigkeit selbst auch Grundrechte berufen können.


Grundrechtsbindung von Straf- und Verwaltungsgerichten

Gerichte müssen als staatliche Hoheitsträger im engsten Sinne (siehe oben) natürlich auch die Grundrechte beachten. Dies ergibt im Strafrecht und im Verwaltungsrecht, wo fast immer der (grundrechtsverpflichtete) Staat gegen den (grundrechtsberechtigten) Bürger streitet, auch kein Problem:

Ob sich der Bürger strafbar gemacht hat, ergibt sich aus dem Strafgesetz und aus einer grundrechtskonformen Auslegung des Gesetzes.

Ob der angefochtene Bescheid der Verwaltungsbehörde rechtmäßig ist, beurteilt sich auch nach den Grundrechten des Betroffenen.


Problem: Grundrechte im Zivilrecht

Im Zivilrecht dagegen prozessieren Bürger (oder auch Unternehmen) gegeneinander. Zwischen solchen Privatpersonen gelten die Grundrechte grundsätzlich nicht.

Allerdings ist das Gericht nun dazu berufen, staatliche Gewalt auszuüben und bspw. dem Kläger das Recht zuzusprechen, Geld vom Beklagten zu verlangen. Diese staatliche Gewaltausübung darf die Grundrechte freilich nicht ignorieren.

Dieses Dilemma wird so gelöst, dass das Gericht zwar nicht so urteilen darf als wäre der Klagegegner an die Grundrechte seines Kontrahenten gebunden. Soweit jedoch offene, interpretierungsbedürftige zivilrechtliche Regelungen (unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln) vorliegen, muss das Gericht diese unter Berücksichtigung grundrechtlicher Positionen auslegen.


Mittelbare Drittwirkung bei unbestimmten Rechtsbegriffen

Solche Rechtsbegriffe sind beispielsweise:

  • besondere Härte
  • Arglist
  • Treu und Glauben
  • wichtiger/vernünftiger Grund
  • unbillig
  • unangemessen
  • zumutbar
  • Interesse
  • Gemeinwohl/öffentliches Wohl

Man spricht insoweit von "mittelbarer Drittwirkung". Der Dritte, also der Gegner im Prozess, ist nicht wie der Staat unmittelbar an die Grundrechte gebunden, sie entfalten aber im Rechtsstaat die dargestellte indirekte Wirkung, die seine Rechtsposition beeinflussen kann.

Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gegen Urteile ist daher stets zu beachten, in welchem Umfang die Grundrechte hätten Beachtung finden müssen. Ein spezialisierter Rechtsanwalt für Verfassungsbeschwerden kann mit dieser Problematik professionell umgehen. Ohne diese Kenntnis kann es sein, dass die Begründung der Verfassungsbeschwerde an der Sache vorbei geht, weil man eine unrichtige Geltung der Grundrechte angenommen hat.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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