Gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren in Russland

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In der russischen Wirtschaftspraxis treten gesellschaftsrechtliche Schiedsvereinbarungen mit Beteiligung ausländischer Parteien gehäuft auf. Dies gilt insbesondere für internationale Aktienkaufverträge und Joint Venture-Vereinbarungen. Jene Praxis wurde jedoch lange Zeit - nicht zuletzt mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung - durch keine eindeutige Rechtsprechung unterstützt.

Gesellschaftsrechtliche Fragen betreffen ein Drittel aller innerdeutschen Schiedsverfahren (Karl-Heinz Böckstiegel, Schiedsgerichtsbarkeit in gesellschaftsrechtlichen und erbrechtlichen Angelegenheiten, 1996, S. 1). Im Vergleich zu Deutschland besteht heutzutage keine innerhalb Russlands etablierte Praxis des Schiedsrechts im Bereich des Gesellschaftsrechts.

In Maksimov gegen Hüttenwerk Novolipezk (OAO NLMK) wurde in Frage gestellt, ob gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten überhaupt schiedsfähig sind. In dieser Sache hob das Gericht den Schiedsspruch des Internationalen Handelsschiedsgerichts („MKAS“) bei der Industrie- und Handelskammer der RF vom 21.03.2011 Nr. 244/2009 auf, mit dem das Hüttenwerk zur Zahlung eines Restkaufpreises für die bei Herrn Maksimov übernommenen Aktien verurteilt worden war. Das Gericht erklärte die Schiedsklausel im Kaufvertrag als unwirksam, denn die russische Wirtschaftsprozessordnung („WPO“) ließ es nicht zu, einen gesellschaftsrechtlichen Streit durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen (HWG RF, Urt. v. 30.1.2012 Nr. 15384/2011).

Nach Maksimov gegen Hüttenwerk Novolipezk (OAO NLMK) wurde die Praxis von Verhandlungen gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten, russische Unternehmen betreffend, durch ausländische Schiedsinstitute weiter ausgeweitet.

Wie es sich z.B. aus dem LCIA Registrar's Report 2015 ergibt, begeben die Parteien aus Russland den zweiten Platz mit 10,3% von 326 Sachen und folgen somit den britischen Parteien (15,6%). Bei den deutschen Parteien handelte es sich 2015 z.B. um 2,2%. Im Jahre 2020 beteiligten sich die Russen an 6,8% und die Deutschen 2,9% aller LCIA-Sachen. Der Anteil gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten vor dem LCIA beläuft sich auf 20%. 

Die veröffentlichten Statistiken zeigen auf, dass die Russen eine der größten Ausländergruppen darstellen, die die Schiedsgerichtsbarkeit dazu nutzen, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten aus Unternehmenskaufverträgen (M&A) und den Gesellschaftervereinbarungen beizulegen.

Die Neuregelung des russischen Schiedsrechts vom 29.12.2015 bezweckte u.a. die Festlegung eines klaren gesetzlichen Rahmens für gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren, der mit dem Mindeststandard für Gerichtsverfahren gem. Abschnitt 28-1 WPO - Verhandlung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten - vergleichbar sein sollte.

Vom Stellenwert der Schiedsfähigkeit sind drei Fallgruppen zu unterscheiden:

1.         Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, die unzulässig sind (Ziff. II);

2.         Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, die schiedsfähig sind, sofern die vier folgenden Voraussetzungen erfüllt sind (Ziff. III):

-          der Schiedsort befindet sich in Russland;

-          das Verfahren findet vor einem Schiedsinstitut statt;

-          es wurde eine Schiedsvereinbarung durch alle Gesellschafter und die Gesellschaft unterzeichnet; und

-          eine besondere Schiedsordnung wurde durch das Schiedsinstitut bestätigt;

3.         Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, die auch ohne die zwei letztgenannten Voraussetzungen der Mitunterzeichnung der Schiedsvereinbarung und einer besonderen Schiedsordnung schiedsfähig sind, einschließlich Anteilskaufverträge und Aktienregistrierung.

II.        Unzulässige gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten beziehen sich auf:

-          notarielle Beurkundungen von Rechtsgeschäften über Anteile von OOO;

-          Anfechtungen behördlicher Beschlüsse, z.B. über die Ablehnung der Registrierung einer Aktienausgabe durch die Kapitalmarktaufsichtsbehörde;

-          eine strategische Gesellschaft, wie ein Flughafen oder ein Medienträger;

-          Einberufungen von Haupt- und Gesellschafterversammlungen;

-          Aufkäufe eigener Aktien durch AO;

-          Ausschlüsse eines Gesellschafters von der Gesellschaft;

-          Erwerbe von über 30% Aktien an einer öffentlichen AO; und

-          andere Streitigkeiten, die sich auf eine öffentliche AO beziehen, da es untersagt ist, eine Schiedsklausel in deren Satzung und in die Satzung einer AO mit über 1.000 stimmberechtigten Aktionären aufzunehmen.

Für einen Teil der genannten Streitigkeiten scheidet das Schiedsverfahren wegen ihrer vorherrschenden öffentlich-rechtlichen Elemente - Beteiligung eines Notars oder einer Behörde, einer strategischen oder einer börsennotierten Gesellschaft - als Mittel zur Streiterledigung aus.

Die anderen Streitigkeiten - wie über Einberufung einer Versammlung oder Bestimmung eines Anteilswertes - erfordern vom Schiedsrichter die Sachkunde eines Kaufmanns, die von ihm als einem Rechtsexperten nicht erwartet werden kann.

III.      Anforderungen für die Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten

1.         Schiedsort in Russland

Die erste Voraussetzung ist, dass sich der Schiedsort in Russland befinden muss (Art. 225-1 (3), (4) WPO).

Der Gesetzgeber möchte vor dem Hintergrund, dass gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, in die russische Gesellschaften involviert sind, zunehmend vor ausländischen Schiedsgerichten ausgetragen werden, dass die Verfahren in Russland geführt werden.

Diese Regelung könnte mit dem Minderheitsanlegerschutz gerechtfertigt werden. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn durch eine Schiedsklausel ein ausländisches Schiedsgericht benannt würde und daraufhin ein wenig liquider Gesellschafter durch die daraus resultierenden Kosten, wie Kosten für den örtlichen Schiedsprozessanwalt, die Übersetzung, die Teilnahme an einer ausländischen Verhandlung, daran gehindert würde, sein Recht auf rechtliches Gehör auszuüben.

Unter Umständen könnte eine solche satzungsmäßige Schiedsklausel als Rechtsmissbrauch i.S.v. Art. 10 ZGB gesehen werden. Insoweit entspricht diese Regelung der Rechtsprechung, die es den Gesellschaften untersagt, Hauptversammlungen im Ausland durchzuführen (vgl. WG des Wolga-Gerichtsbezirks, Urt. v. 26.1.2007 Nr. A57-10213-06-25: so wie bei satzungsmäßiger Bestimmung von Katmandu (Nepal) und Minsk (Weißrussland) als Orte für Hauptversammlungen einer AO mit Sitz in Saratow).

Ein Nachteil dieser Anforderung ist, dass ein neutrales Forum nicht mehr gewählt werden kann. Die JV-Parteien sind somit nicht mehr frei bei der Wahl eines Schiedsortes in einem Drittland. Genauso wenig dürfen ausländische Gesellschafter des gleichen Staates nicht mehr ein heimisches, für sie passenderes Schiedsgericht bestellen.

2.         Verfahren vor einem Schiedsinstitut

Überdies können gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten nur durch ein Schiedsgericht, das eine ständige Schiedsinstitution administriert hat, entschieden werden (Art. 225-1(5) der WPO).

Sie dürfen jedoch nicht zur Entscheidung einem fallbezogenen Ad-hoc-Schiedsgericht übertragen werden. Ein ähnliches Verbot wurde vor zehn Jahren für Schiedsstreitigkeiten im Clearingverrechungsverkehr und aus Börsengeschäften eingeführt.

Jene Beschränkung könnte allerdings für Ad-hoc-Schiedsverfahren im Hinblick auf die mit der Reform bezweckte größtmögliche Steigerung der Attraktivität Russlands als Schiedsort nicht nachvollziehbar sein. Denn das UNCITRAL-Modellgesetz behandelt institutionelle Schiedsverfahren und Ad-hoc-Schiedsverfahren als grundsätzlich gleich.

Zudem finden sich inländische gesellschaftsrechtliche Ad-hoc-Schiedsverfahren in vielen Ländern. So fällt mehr beispielsweise Unzulässigkeit von Ad-hoc-Schiedsverfahren in China vermehrt auf, welche der Untersagung in der UdSSR vor der Verabschiedung des IHS-Gesetzes von 1993 in Russland gleicht.

Generell sind Ad-hoc-Schiedsverfahren jedoch geeignet, wenn sich der Rechtsstreit in einfachen Verhältnissen abspielt, etwa bei einer Zwei-Mann-Gesellschaft oder wenn alle beteiligten Gesellschafter dem gleichen Rechtskreis angehören. Solche Verfahren setzen einen hohen Kooperationswillen zwischen den Parteien voraus. Nach Meinung des russischen Gesetzgebers können somit nur institutionalisierte Schiedsverfahren rechtssichere und schnelle Verhandlung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten gewährleisten.

3.         Abschluss einer Schiedsvereinbarung durch alle Gesellschafter

Weiter sind die meisten gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten schiedsfähig, vorausgesetzt, dass (i) die Gesellschafter, (ii) die Gesellschaft und (iii) Dritte, die als Kläger bzw. Beklagten agieren, eine Schiedsvereinbarung geschlossen haben (Art. 225-1(3), (4) WPO).

Generell bedarf eine Schiedsvereinbarung der Schriftform. Dies gilt z.B. für Schiedsklauseln, die in Gesellschaftervereinbarungen und Aktienkaufverträge aufgenommen werden. Darin können auch Dritte, wie Gläubiger der Gesellschaft oder Garanten aus einem SPA-Zahlungsanspruch, eingeschaltet werden.

Eine Schiedsklausel kann ferner auf einstimmigen Gesellschafterbeschluss in die Satzung der Gesellschaft aufgenommen werden (vgl. unseren Rechtstipp Schiedsklausel in einer Satzung einer russischen Gesellschaft).

4.         Bestätigung einer Schiedsordnung über gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten

Viertens können gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten generell nur durch eine ständige Schiedsinstitution entschieden werden, die eine besondere Schiedsordnung bestätigt, online gestellt und bei dem Justizministerium angezeigt hat.

Jeder Gesellschafter muss im Voraus über das Schiedsverfahren benachrichtigt werden und soll berechtigt sein, diesem beizutreten. Dieser Grundsatz ist von besonderer Bedeutung für gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren, denen die Vertraulichkeit und die Endgültigkeit eines Schiedsurteils, unabhängig davon, ob der Gesellschafter am Verfahren beteiligt war, zugrunde liegen.

In diesem Zusammenhang legt Art. 45(8) russ. Schiedsgesetz vom 29.12.2015 Nr. 382-FZ verschiedene Informationspflichten der Schiedsinstitution und der Gesellschaft und Rechte der Mitgesellschafter, usw. fest. Als Modellwerk diente Ergänzende Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (DIS-ERGeS), deren erste Fassung die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit 2009 bestätigt hat.

Mit Stand zum 11.06.2021 haben drei russische Schiedsinstitutionen ihre Schiedsordnungen für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten angezeigt:

-          MKAS (https://mkas.tpprf.ru/en/);

-           das Russische Institut für moderne Schiedsgerichtsbarkeit (https://centerarbitr.ru/en/); und

-          das Schiedszentrum beim Russischen Verband der Industriellen und Unternehmer.

Foto(s): Rustem Karimullin


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