Klage in Russland einreichen

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Für zivilrechtliche Streitigkeiten sind die ordentlichen Gerichte sowie die Wirtschaftsgerichte zuständig.

Verfahren mit Beteiligung von juristischen Personen und Kaufleuten ("Unternehmern") sind den Wirtschaftsgerichten zugewiesen. Die Bedeutung von Wirtschaftsgerichten ist also für die Außenhandelspraxis um ein Vielfaches größer als die der ordentlichen Gerichte.

Sofern ein Nichtunternehmer an einem Streit beteiligt ist, wird ein ordentliches Gericht zuständig. Die Kompetenzen der ordentlichen Gerichte im zivilrechtlichen Bereich betreffen hauptsächlich produkthaftungs-, urheber-, arbeits-, familien- und erbrechtliche Streitigkeiten. Für die Anfechtung arbeitsrechtsbezogener Gesellschafterbeschlüsse bzgl. Kündigung von Geschäftsführern sind ebenso ordentliche Gerichte zuständig. Im Hinblick auf die geringe Rolle der ordentlichen Gerichte für Außenhandelsstreitigkeiten werden die im Weiteren zu erörternden Fragen hauptsächlich auf Verfahren vor Wirtschaftsgerichten beschränkt bleiben.

Vorgerichtliche Aufforderung

Bevor man eine Klage einreicht, lohnt es sich in jedem Fall zu versuchen, den Streit außergerichtlich zu entscheiden. Zu diesen Zwecken wäre ein förmliches Drohschreiben mit Aufforderung zur freiwilligen Leistung geeignet. Antwortet der russische Schuldner innerhalb der im Schreiben festgesetzten Frist nicht, kann der Gläubiger Klage erheben.

Für eine Zahlungsklage ist dieses vorgerichtliche Aufforderungsverfahren zwingend. Sie kann erst nach Ablauf von 30 Kalendertagen nach Versendung des Drohschreibens eingereicht werden.

Dauer des Verfahrens und Instanzen

Das Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht nahm vor der Сorona-Pandemie häufig 3 Monate in Anspruch.

Gegen sein Urteil können Rechtsmittel innerhalb eines Monats nach der Fällung vor einem Appellations- und innerhalb von 2 Monaten nach seiner Inkraftsetzung vor einem Kassationsgericht eingelegt werden. Dauer des gesamten Verfahrens in drei Rechtszügen beläuft sich auf acht bis neun Monate.

Ab dem 6.8.2014 wurde das Höchste Wirtschaftsgericht der Russischen Föderation (HWG RF) abgeschafft. Seine Kompetenzen wurden auf das Oberste Gericht der Russischen Föderation (OG RF) übertragen, das momentan die einzige "zweite Kassationsinstanz" und die einzige Aufsichtsinstanz für alle zivilrechtlichen Streitigkeiten in Russland darstellt. Der Zugang zu den beiden Verfahren vor dem OG RF ist von der Zulassung des Rechtsmittels abhängig. Für Zulassung ist ein Richter des OG RF zuständig. 2019 wurden z. B. nur 464 (1,25 %) der 37.015 "zweiten Kassationsbeschwerden" zur Verhandlung durch ein Dreirichterkollegium des OG RF zugelassen.

Die Corona-Maßnahmen in Moskau haben die meisten, "nicht dringlichen" Verfahren für 2 Monate unterbrochen. Das Wirtschaftsgericht (WG) der Stadt Moskau begann erst ab dem 18. Mai 2020 Handelsstreitigkeiten weiter zu verhandeln. 

Die häusliche Quarantäne wurde ab dem 9.06.2020 in Moskau abgeschafft. Ab dem 01.06.2020 können die Parteien die Prozessakten beim WG der Stadt Moskau einsehen. Die Geschäftsstelle des WG der Stadt Moskau nimmt noch keine Unterlagen an. Prozessschriftstücke sollten per Post oder online durch my.arbitr.ru oder mittels Briefkasten, die am Eingang des Gerichtsgebäudes installiert sind, oder auch direkt im Gerichtstermin eingereicht werden. Eine Maskenpflicht gilt weiter. Nur ein Vertreter einer Partei wird in die mündliche Verhandlung zugelassen.

Internationale Zuständigkeit russischer Wirtschaftsgerichte

Russische Wirtschaftsgerichte sind in den folgenden Fällen zuständig:

i. wenn der Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz in Russland hat (Art. 247(1)(1) der russischen Wirtschaftsprozessordnung ("WPO").

Dasselbe gilt für Joint Ventures mit ausländischer Beteiligung und Tochtergesellschaften einer ausländischen Gesellschaft, gegen die Klagen gerichtet sind;

ii. wenn der ausländische Beklagte durch ein Organ oder eine Zweigniederlassung in Russland vertreten ist (Art. 247(1)(2) WPO);

iii. wenn der Erfüllungsort – wie z. B. durch Verweis auf eine Lieferungsbasis der Incoterms wie etwa ex works Moscow – in Russland liegt (Art. 247(1)(3) WPO);

iv. wenn die Klage auf einer in Russland vorgenommen deliktischen Handlung oder einem in in Russland eingetretenen Schaden beruht (Art. 247(1)(4) WPO);

v. wenn sich die Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung in Russland ergibt (Art. 247(1)(5) WPO);

vi. wenn der Kläger mit Sitz in Russland auf Schutz des geschäftlichen Rufs klagt (Art. 247(1)(6) WPO);

vii. wenn eine Rechtsstreitigkeit auf in Russland ausgegebene Wertpapiere, wie z. B. Aktien an einer russischen AO, bezieht (Art. 247(1)(7) WPO);

viii. wenn gerichtliches Erkenntnisverfahren auf eine Tatsache in Russland bezieht (Art. 247(1)(8) WPO);

ix. wenn sich eine Rechtsstreitigkeit aus Domain-Registrierung in Russland ergibt (Art. 247(1)(9) WPO);

x. wenn ein Streitverhältnis eine andere enge Verbindung – wie z. B. durch Hauptbeweise, anwendbares Recht oder Wohnsitz des Geschäftsführers einer ausländischen Partei – mit Russland aufweist (Art. 247(1)(10) WPO).

Die Zuständigkeit eines russischen Wirtschaftsgerichts kann durch eine Gerichtsvereinbarung begründet werden, sofern somit die ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts nicht betroffen wird.

Sollten sich die Parteien für ein russisches Wirtschaftsgericht entscheiden, empfiehlt es sich – aufgrund der höheren Qualifikation der Richter im Vergleich zu den Richtern in anderen Regionen und im Hinblick auf die Reisekosten –, die Zuständigkeit des Wirtschaftsgerichts der Stadt Moskau zu bestimmen.

Handelsregisterauszug und Verfahrensvollmacht

Ein ausländischer Gläubiger muss seiner Klage nebst den Beweisen, mit denen er seine Forderungen glaubhaft macht, einen beglaubigten Handelsregisterauszug, eine beglaubigte Verfahrensvollmacht und einen Nachweis über die Zahlung der Verfahrensgebühr beilegen.

Der Handelsregisterauszug und die Verfahrensvollmacht müssen legalisiert oder mit Apostille versehen werden. Ein Dokument, mit dem etwa das ausländische Konsulat in Russland die Rechtsstellung der betreffenden Streitpartei bestätigen will, ersetzt den Handelsregisterauszug nicht. Wie Deutschland ist Russland am Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation vom 05.10.1961 beteiligt. Ein deutscher Kläger kann deshalb diese Dokumente mit einer Apostille abstempeln lassen.

Eine allgemeine Bevollmächtigung im Namen des ausländischen Klägers reicht nach russischem Verfahrensrecht nicht aus.

Erforderlich ist, dass die vorgesehenen Verfahrenshandlungen ausdrücklich aufgeführt werden. Zu diesen Handlungen zählen nach Art. 59 WPO insbesondere 

(i) die Unterzeichnung einer Klageschrift und einer Klageerwiderung,

(ii) die Unterzeichnung eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz,

(iii) die Übergabe einer Sache ans Schiedsgericht,

(iv) die Änderung des Grundes oder des Gegenstandes einer Klage,

(v) der Vergleichsschluss und die Klagerücknahme,

(vi) die Anfechtung eines Urteils und

(vii) die Entgegennahme von zugesprochenem Vermögen.

Vertretung durch die russische Repräsentanz und Zustellung          

Eine Klage gegen einen russischen Schuldner kann nicht durch den Leiter der in Russland ansässigen Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens unterzeichnet werden. Als Prozessvertreter treten regelmäßig russische zugelassene Rechtsanwälte oder russische Jura-Hochschulabsolventen auf. Sonst wird die Klage entweder zurückgegeben oder ohne Verhandlung abgewiesen.

Verklagt der russische Partner eine ausländische Person, so gilt die Zustellung der gerichtlichen Ladung zum Termin als nicht ordnungsgemäß erfolgt, wenn die Klage etwa nur an ihre russische Zweigniederlassung zugestellt wurde.

Wie Deutschland ist Russland Teilnehmerstaat des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 ("H"). Als allgemeine Regel lässt HZÜ die unmittelbare Zustellung an die in dem ersuchten Vertragsstaat eingerichtete Zentrale Behörde, die den Antrag prüft und die Zustellung vornimmt, zu. In Russland ist das Justizministerium dafür zuständig.

Dieser Übermittlungsweg gilt als ordnungsgemäß. Verletzt das Wirtschaftsgericht dieses Übermittlungsverfahren, indem es die Ladung per Post an die Hauptgesellschaft ins Ausland absendet, steht es in freiem Ermessen des ausländischen Beklagten, ob er sich zur Hauptsache einlässt. Das Verfahren kann er durch eine Zustellungsrüge verhindern. Wird über die Sache ohne seine Beteiligung entschieden, ist das Urteil anfechtbar. 

In einer Sache hat das Gericht in St. Petersburg einen bekannten deutschen Autohersteller zum Ersatz eines Lkws und einer Geldstrafe verurteilt, obwohl der Beklagte unmittelbar durch die Post zur Verhandlung geladen war. Das Gericht ließ außer Acht, dass diese Zustellungsform gemäß dem eingelegten Widerspruch auf deutschem Staatsgebiet ausscheidet. Die oben stehende Kassationsinstanz gab unserer Kassationsbeschwerde statt und hob das erlassene Urteil auf. 

Verfahrenskosten

Die Verfahrenskosten setzen sich nach Art. 101 WPO zusammen aus (i) der bei Klageerhebung zu zahlenden Verfahrensgebühr und (ii) den Auslagen, die mit der Verhandlung der Sache verbunden sind. Hierbei handelt es sich um die Anwaltskosten, die Kosten für die Erstellung von Sachverständigengutachten, für die Ladung von Zeugen, für Inaugenscheinnahme und auch für Vollstreckungskosten. All diese Kosten, einschließlich angemessener Anwaltskosten, werden von der unterliegenden Streitpartei erstattet.

Die Verfahrensgebühr ist grundsätzlich vor Klageerhebung zu zahlen. Ein entsprechendes Zahlungsnachweis ist der Klage beizulegen. Die Höhe der Verfahrensgebühr hängt vom Umfang der Klageforderungen ab. Sie steigt nicht linear, sondern degressiv und wird gemäß Art. 333-21 des russischen Steuergesetzbuchs bestimmt. Der Mindestgebührsatz beträgt 4 % des Streitwerts, darf aber nicht unter dem Mindestlohn von RUR 2.000 (ca. EUR 25) liegen. Die höchstmögliche Verfahrensgebühr beträgt RUR 200.000, also ca. EUR 2.500.

Foto(s): www.karimullin.com


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