Keine eindeutige Haftungslage bei Vorfahrtsverstoß

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Immer wieder ergehen Urteile zum Vorfahrtsverstoß. Auf den ersten Blick scheint die Sachlage auch klar. Derjenige, der einem die Vorfahrt nimmt, haftet doch voll dafür, oder? Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass zwar grundsätzlich der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer auf die Beachtung seiner Vorfahrt vertrauen darf und ihm diese Regel nicht nur dann zusteht, wenn auf einer vorfahrtsberechtigten Straße fährt, sondern auch dann, wenn ihm das Vorfahrtsrecht deshalb zusteht, weil er von rechts kommt. Seine Grenze findet der Vertrauensschutz in das Vorfahrtsrecht jedoch im allgemeinen Rücksichtnahmegebot des §§ 1 Abs. 2 StVO.

Danach darf sich der Vorfahrtsberechtigte dann nicht auf die Beachtung seiner Vorfahrt verlassen, wenn es konkrete Umstände gibt, die darauf hinweisen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer seine Vorfahrt verletzt. Diese Befürchtung ist begründet, wenn sich der andere Verkehrsteilnehmer entweder auffällig verhält oder besondere Verhältnisse bei der Einmündung vorliegen.

So muss der Vorfahrtsberechtigte bei Annäherung an eine Kreuzung stets reaktionsbereit sein und ein maßvolles Bremsen ist ihm jederzeit zumutbar. Ebenfalls ist anerkannt, dass der Vorfahrtsberechtigte, der aus einem Weg mit geringer Verkehrsbedeutung kommt, bei der Überquerung einer dem Durchgangsverkehr dienenden Straße nicht auf die Beachtung seiner Vorfahrt vertrauen darf. Ebenso wenig darf sich der Vorfahrtsberechtigte auf einer Straße, die in eine Querstraße einmündet (sogenannte T-Einmündung) auf sein Vorfahrtsrecht verlassen, wenn die Straße für die Wartepflichtigen nicht oder nicht voll einsehbar ist.

In diesen Fällen wird von der sogenannten „halben Vorfahrt“ gesprochen, denn auch der Vorfahrtsberechtigte ist in diesen Fällen dem aus seiner Sicht von rechts kommenden Verkehr gegenüber wartepflichtig. In diesen Fällen muss er vor der Inanspruchnahme der Vorfahrt besonders gründlich prüfen, ob von links kommende Fahrzeuge seine Vorfahrt beachten. Eine weitere Besonderheit besteht bei zweispurigen Straßen, die sich beiderseitig verengen. Auf diesen Straßen gilt nicht „rechts vor links“ oder das Reißverschlussverfahren, wenn zwei Fahrzeuge nebeneinander in die gleiche Richtung fahren, sondern es ist ausschließlich das Gebot der Rücksichtnahme zu beachten. Daher sind die Verkehrsteilnehmer verpflichtet „mit gegenseitiger Aufmerksamkeit, Besonnenheit und Geistesgegenwärtigkeit eine Abstimmung über das Einordnen vor bzw. hintereinander zu finden“.


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