LSG: Krankenkasse ist zu eigenen Ermittlungen verpflichtet, keine Beurteilung rein nach Aktenlage

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Das Hessische LSG hat entschieden, dass Krankenkassen von Amts wegen zu eigenen Ermittlungen verpflichtet sind, wenn sie Versicherten trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Krankengeld zahlen.

Im vorliegenden Fall war einer 53-jährigen Frankfurterin, die unter einer Angstkrankheit und depressiven Störungen litt, von ihrer Ärztin Arbeitsunfähigkeit attestiert worden. Die Kasse zahlte zunächst Krankengeld, stellte diese Zahlungen jedoch nach einem halben Jahr ein (die maximale Bezugsdauer für Krankengeld beträgt 78 Wochen), obwohl von mehreren Ärzten die weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Die Krankenkasse berief sich bei ihrer Entscheidung auf eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK).

Das Hessische LSG verurteilte die Krankenkasse zur Weiterzahlung des Krankengeldes, weil die Krankenkasse bzw. der MDK ihrer Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung des medizinischen Sachverhalts nicht nachgekommen sind. 

Nach Ansicht des Gerichts hat die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt keine bindende Wirkung für die Krankenkasse, ihr kommt nur die Bedeutung einer ärztlich-gutachterlichen Stellungnahme zu. Will die Kasse jedoch von dieser ärztlichen Stellungnahme abweichen, so müsse der MDK ein medizinisches Gegengutachten vorlegen, das die ärztlichen Befunde bewerte und wissenschaftlich-methodisch untersuche. Gerade bei psychischen Krankheiten sei dabei die Befragung der behandelnden Ärzte und Untersuchung des Patienten zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit unerlässlich. Der MDK habe aber weder die behandelnden Ärzte noch die Patientin befragt bzw. untersucht und ausschließlich nach (zudem fehlerhaft interpretierter) Aktenlage entschieden. Dieses Vorgehen grenzt nach Ansicht des Gerichts an Willkür.

Darüber hinaus hat das Gericht darauf hingewiesen, dass den Versicherten zum Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit ausschließlich die Atteste ihrer behandelnden Ärzte zur Verfügung stehen. Kommen die Krankenkassen ihrer Pflicht zu einer möglichst schnellen Aufklärung des medizinischen Sachverhalts nicht nach, so werde es für die Versicherten mit dem Zeitablauf immer schwieriger, eine frühere Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Der dadurch entstehende prozessuale Nachteil für die Versicherten könnr nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dann durch Beweiserleichterungen ausgeglichen werden. Das heißt: Ermittelt die Krankenkasse nicht pflichtgemäß, verringern sich zugunsten des Versicherten die Anforderungen an den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit. Im Einzelfall könne das sogar bis zu einer Umkehr der Beweislast ! führen. Dann müsse die Krankenkasse den Beweis führen, dass der Versicherte arbeitsfähig war.  

LSG Darmstadt vom 18.10.2007, L 8 KR 228/06

RA Patrick Speckhardt, RAe Speckhardt & Schütz, Bahnhofstr. 10, 69469 Weinheim

 

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