Mangelfallberechnung bei mehreren Unterhaltsberechtigten

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Gibt es mehrere Unterhaltsberechtigte, steht der Unterhaltspflichtige vor der Herausforderung, wie er mit seinem verfügbaren Einkommen allen Unterhaltspflichten gerecht wird und sein Einkommen verteilt. Es muss eine Mangelfallberechnung erfolgen. Dazu stellt das Gesetz eine Rangfolge auf, in der Kinder, Elternteile, Ehegatten und sonstige Verwandte beim Unterhalt rangmäßig berücksichtigt werden.

Insoweit ist die Unterhaltsberechnung immer nur der erste Schritt. Im Nachhinein kommt es entscheidend darauf an, den auf dem Papier berechneten Unterhalt tatsächlich zu realisieren und zu begründen, warum der Unterhaltspflichtige einen Unterhaltsanspruch vorrangig bedienen muss und einen anderen Unterhaltsanspruch erst im Nachhinein berücksichtigen darf.

Was ist ein Mangelfall?

Kann der Unterhaltspflichtige aufgrund seines verfügbaren Einkommens nicht alle Unterhaltsansprüche mehrere Unterhaltsberechtigte gleichermaßen bezahlen, liegt ein Mangelfall vor. Dabei ist sein eigener Selbstbehalt (Eigenbedarf) zu berücksichtigen, der den Lebensunterhalt des Unterhaltspflichtigen gewährleisten soll.

Was ist eine Mangelfallberechnung?

Liegt ein Mangelfall vor, sind die Ansprüche mehrerer Unterhaltsberechtigter in der vom Gesetz vorgegebenen Rangfolge zu berücksichtigen. Sind Unterhaltsansprüche gleichrangig, sind die Ansprüche in einer Verhältnisrechnung zu kürzen.

Wie ist die gesetzliche Rangfolge von Unterhaltsansprüchen?

§ 1609 BGB bestimmt bei mehreren Unterhaltsberechtigten folgende Rangfolge:

  1. Minderjährige Kinder bis zum 18. Lebensjahr stehen an vorderster Stelle der Rangfolge. Minderjährigen Kindern sind volljährige privilegierte Kinder gleichgestellt. Dies sind Kinder bis zum 21. Lebensjahr, die sich in der Schul- oder Berufsausbildung befinden und im Haushalt der Eltern oder nach der Trennung der Eltern im Haushalt eines Elternteils wohnen.
  2. Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt wären (nicht verheiratete Partner) oder im Fall einer Scheidung unterhaltsberechtigt wären sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei Ehen von langer Dauer.
  3. Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nr. 2 fallen,
  4. Kinder, die nicht unter Nr. 1 fallen (also volljährige, nicht privilegierte Kinder),
  5. Enkelkinder,
  6. Eltern,
  7. sonstige Verwandte in aufsteigender Linie (Großeltern, Urgroßeltern).

Beispiel:

Ein Unterhaltspflichtiger muss seinem minderjährigen Kind Kindesunterhalt und seinem Ex-Partner Betreuungsunterhalt (wegen des minderjährigen Kindes) zahlen. Reicht sein verfügbares Einkommen nicht aus, die rechnerisch begründeten Unterhaltsansprüche in voller Höhe zu bezahlen, ist vorrangig der Kindesunterhalt in voller Höhe zu bedienen. Das restliche verfügbare Einkommen ist unter Berücksichtigung seines Eigenbedarfs für den Betreuungsunterhalt des Ex-Partners zu verwenden.

Was sind relativer und absoluter Mangelfall?

Ein absoluter Mangelfall ist ein Mangelfall auf der ersten Rangstufe, in der minderjährige und privilegiert volljährige Kinder betroffen sind. Ein relativer Mangelfall liegt bei der Mangelfallberechnung im zweiten Rang vor.

Wie erfolgt die Mangelfallberechnung?

Zunächst ist bei Unterhaltsansprüchen von mehreren gleichrangigen Unterhaltsberechtigten zu prüfen, welcher Unterhaltsanspruch jedem Unterhaltsberechtigten bei voller Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zustehen würde. Sodann ist jeder Anspruch in dem Verhältnis zu kürzen, in dem die verfügbaren Mittel zu der Summe aller Ansprüche stehen. Bei einem absoluten Mangelfall, also einem Mangelfall auf der ersten Rangstufe, sind dies die Mindestunterhaltsbeträge nach Abzug des anzurechnenden Kindergeldes. Wegen der Rangfolge bei minderjährigen Kindern kommt es darauf an, ob es sich um minderjährige, privilegiert volljährige oder nicht privilegiert volljährige Kinder handelt.

Bei der Mangelfallberechnung im zweiten Rang, also zwischen Unterhaltsansprüchen von Ehegatten oder Unterhaltsansprüchen aus Anlass der Geburt, sind die individuellen Unterhaltsbedarfe maßgebend.

Im nächsten Schritt ist das zur Verfügung stehende Einkommen festzulegen. Dies ist das Einkommen, das über dem Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen liegt. Das Kindergeld erhöht die Verteilungsmasse nicht.

Bei unterschiedlich rangigen Unterhaltsberechtigten ist zudem mit unterschiedlichen Selbstbehalten zu rechnen. Die Selbstbehalte betragen (schon nach Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. Januar 2024)

  •  1.200 €, wenn der nicht erwerbstätige Unterhaltspflichtige minderjährigen und privilegiert volljährigen Kindern Kindesunterhalt schuldet und
  • 1.450 €, wenn er erwerbstätig ist.
  • Anderen Kindern gegenüber beträgt der Selbstbehalt 1.750 €.
  • Der Selbstbehalt gegenüber dem getrenntlebenden und geschiedenen Ex-Partner beträgt 1.600 € bei Erwerbstätigkeit und
  • 1.475 €, wenn der Unterhaltspflichtige nicht erwerbstätig ist.

Beispiel nach Düsseldorfer Tabelle 

Der Unterhaltspflichtige (U) hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.750 €. Er schuldet Unterhalt für drei unterhaltsberechtigte Kinder im Alter von 18 Jahren (K1), sieben Jahren (K2) und fünf Jahren (K3). Sie leben beim betreuenden Elternteil. Dieser bezieht das Kindergeld. Es ergibt sich folgende Mangelfallberechnung:

Notwendiger Eigenbedarf des U = 1.450 €

  • Teilungsmasse 1.750 € - 1.450 € = 300 €
  • Einsatzbeträge der unterhaltsberechtigten Kinder:
  • K1: (689 € Kindesunterhalt - 250 € Kindergeld) = 439 €

Hinweis: Bei volljährigen Kindern ist das Kindergeld in voller Höhe auf den Unterhalt anzurechnen

  • K2: (551 € Kindesunterhalt - 125 € Kindergeld) = 426 €
  • K3: (480 € Kindesunterhalt - 125 € Kindergeld) = 355 €
  • Summe = 1220 €

Mangelfallberechnung:

K1: 439 x 300 : 1220   = 107,95 € Kindesunterhalt

K2: 426 x 300 : 1220 = 104,75 € Kindesunterhalt

K3: 355 x 300 : 1220 = 87,30 € Kindesunterhalt

Wer zahlt im Mangelfall die Differenz, besteht Anspruch auf Unterhaltsvorschuss?

Erhalten Sie für Ihr Kind auch nur teilweise Kindesunterhalt, wird der gezahlte Unterhalt auf den eventuell beantragten Unterhaltsvorschuss angerechnet (§ 2 Abs. III Unterhaltsvorschussgesetzes). Die Differenz zum rechnerisch bestehenden Unterhalt geht zu Lasten des unterhaltsberechtigten Kindes. Es empfiehlt sich, den Kindesunterhalt rechtsverbindlich feststellen und titulieren zu lassen. Aus dem Titel kann dann letztlich wegen des Differenzbetrages die Zwangsvollstreckung gegen den unterhaltspflichtigen Elternteil eingeleitet werden. Ob sich dabei mehr Unterhalt erzielen lässt, hängt von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Elternteils ab.

Was ist die Dreiteilung beim Ehegattenunterhalt?

Heiratet ein Partner nach der Scheidung erneut und ist gegenüber dem Ex-Partner aus der früheren Ehe sowie dem neuen Ehepartner unterhaltspflichtig, ist zu klären, wie das verfügbare Einkommen zu verteilen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind einander nachfolgende Ehen grundgesetzlich gleichrangig und gleichwertig geschützt.

Die Unterhaltspflicht gegenüber dem neuen Ehegatten sowie die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten sind nach den Grundsätzen der Dreiteilung zu bewerten. Die ursprünglich vom Bundesgerichtshof vorgenommene Drittelung des gesamten unterhaltsrelevanten Einkommens der aus allen Ehepartnern bestehenden Unterhaltsgemeinschaft ist nur noch insoweit relevant, als die Dreiteilung nur noch im Rahmen der Leistungsfähigkeit angewandt werden kann.

Eine Mangelfallberechnung wird dann relevant, wenn dem Unterhaltspflichtigen im Verhältnis zum geschiedenen Ehegatten mehr auf die Hälfte des Einkommens verbleiben muss, damit er weitere Unterhaltspflichten erfüllen kann. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit ist dann das Gesamteinkommen aller Beteiligten zu berücksichtigen, wobei der Bedarf des neuen Partners vom Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehepartners beeinflusst wird. Dieser prägt nämlich auch die ehelichen Lebensverhältnisse des neuen Partners.

Was ist bei mehreren Unterhaltspfändungen?

Erfolgt wegen Kindesunterhalt oder wegen Unterhaltsansprüchen des Ehegatten oder wegen des Unterhaltsanspruchs eines nicht verheirateten Elternteils aus Anlass der Geburt die Zwangsvollstreckung, gelten nicht die in § 850c ZPO (Zivilprozessordnung) bestimmten Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen. Vielmehr bestimmt das Vollstreckungsgericht nach seinem Ermessen, welcher Betrag dem Unterhaltspflichtigen verbleiben muss, um seine notwendigen Ausgaben zu decken.

Die Höhe dieser Beträge ist von Gericht zu Gericht verschieden. Der dabei maßgebende notwendige Unterhalt entspricht in der Regel dem notwendigen Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz. Der Betrag kann also nicht nach den Grundsätzen bemessen werden, die im Unterhaltsrecht für den notwendigen Selbstbehalt gelten. Dieser liegt in der Regel etwas oberhalb der Sozialhilfesätze.

Wird wegen mehrerer Unterhaltsansprüche gepfändet, kommt es darauf an, welche Pfändung zuerst beim Vollstreckungsgericht eingeht. Die zuerst eingehende Pfändung ist vorrangig zu berücksichtigen. Später eingehende Pfändungen sind nachrangig.

Alles in allem

Eine Unterhaltsberechnung ist immer nur der erste Schritt. Danach kommt es entscheidend darauf an, den errechneten Unterhalt gegenüber dem Unterhaltspflichtigen auch durchzusetzen. Ergibt sich dabei ein Mangelfall, sind bei der Unterhaltsberechnung eine Reihe von Grundsätzen zu berücksichtigen, für die es keine pauschalen Regeln gibt. Wegen der Komplexität der Materie und der empfehlenswerten Strategie ist die Kontaktierung eines Anwalts sinnvoll.

Foto(s): iurFRIEND

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