Merkzeichen H ist bei Kindern nicht vom Grad der Behinderung (GdB) abhängig – Mukoviszidose

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Das Sozialgericht Detmold hat unserer 11-jährigen Klägerin im Verfahren S 15 SB 1021/19 recht gegeben und ihr das Merkzeichen H bei einem Grad der Behinderung von 40 zugesprochen. Im Verhandlungstermin gab daraufhin der Kreis Gütersloh ein Anerkenntnis ab.

Aber warum musste es überhaupt soweit kommen? Der Fall:

Die 11-jährige Klägerin leidet unter den Folgen der angeborenen Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose, auch zystische Fibrose genannt. Daher stellte sie beim Kreis Gütersloh einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht. Der Kreis Gütersloh erkannte ihr daraufhin einen Grad der Behinderung zu, lehnte jedoch das beantragte Merkzeichen H ab. Zur Begründung führte der Kreis aus, dass erst ab einem GdB von 50 das Merkzeichen H erteilt werden könnte. Hiergegen zogen die Eltern des Mädchens vor Gericht. Mit Erfolg.

Der Grad der Behinderung bei Mukoviszidose

Nach der VersMedV gelten für die Bestimmung des Grades der Behinderung bei Mukoviszidose die folgenden Richtlinien 5.5 Mukoviszidose (zystische Fibrose)
- unter Therapie Aktivitäten, Gedeihen und Ernährung altersgemäß, GdB 20
- unter Therapie Aktivitäten und Lungenfunktion leicht eingeschränkt, Gedeihen und Ernährung noch altersgemäß, GdB 30-40
- Aktivitäten und Lungenfunktion deutlich eingeschränkt, häufig Gedeih- und Entwicklungsstörungen, Schulbesuch und Erwerbstätigkeit in der Regel noch möglich, GdB 50-70
- schwere bis schwerste Einschränkung der Aktivitäten, der Lungenfunktion und des Ernährungszustandes, GdB 80-100
--> Folgekrankheiten (z. B. Diabetes mellitus, Impotenz, Leberzirrhose) sind ggf. zusätzlich zu berücksichtigen.

Das Problem bei der Einstufung mit diesen Richtlinien ist, dass es durchaus Betroffene gibt, die alle ihnen möglichen Therapieformen ausschöpfen, wodurch es den Betroffenen automatisch besser geht. So auch im vorliegenden Falle. Die Mutter der Klägerin achtete immer sehr darauf, dass alle Therapiemaßnahmen eingehalten werden. Dadurch war der Verlauf der Cystischen Fibrose bislang gut bzw. konnte sehr stabil gehalten werden.

Das vom Sozialgericht Detmold eingeholte Sachverständigengutachten kam daher vorliegend zu dem Ergebnis, dass zum jetzigen Zeitpunkt – eben weil der Gesundheitszustand der kleinen Klägerin momentan recht stabil war - ein Grad der Behinderung von 40 zu gewähren ist. Zudem müsste allerdings auch das Merkzeichen H zuerkannt werden.

Der Kreis Gütersloh sträubte sich jedoch weiterhin und lehnte die Zuerkennung des Merkzeichens H mit der Begründung ab, dass ein Merkzeichen erst ab einem GdB von 50 erteilt werden könnte. Dies sah das Sozialgericht Detmold jedoch anders.

Das Merkzeichen H

Hilflos ist eine Person, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.

Die 11-jährige Klägerin ist bei einer Vielzahl täglicher bzw. regelmäßiger Verrichtungen auf Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Insbesondere besteht der Hilfebedarf in den folgenden Bereichen: Ständige Überwachung und Anleitung der Atemtherapie, Ständige Überwachung und Anleitung der Inhalation, Tägliche Desinfektion der Atemtherapiegeräte und der Inhaletten, Ständige Überwachung und Unterstützung und Anleitung bei der Nahrungsaufnahme, Regelmäßige Begleitung zu Therapien und Arztbesuchen, sowie Unterstützung und psychische Führung.

Das Leben mit Mukoviszidose bedeutet nachvollziehbar eine sehr große Herausforderung, die ein elfjähriges Kind ohne ständige Hilfe, Begleitung und Überwachung eines Erwachsenen in den unterschiedlichen Lebensbereichen nicht alleine bewältigen kann. Aus diesen Gründen war auch laut dem vorliegenden Sachverständigengutachten das Merkzeichen H zuzuerkennen.

Dazu ist in der VersMedV festgehalten: Bei der Mukoviszidose ist bei der Notwendigkeit umfangreicher Betreuungsmaßnahmen - im Allgemeinen bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres - Hilflosigkeit anzunehmen. Das ist immer der Fall bei Mukoviszidose, die für sich allein einen GdB von wenigstens 50 bedingt. Nach Vollendung des 16. Lebensjahres kommt Hilflosigkeit bei schweren und schwersten Einschränkungen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in Betracht.

Das bedeutet, dass Kindern und Jugendlichen mit Mukoviszidose mindestens bis zum 16. Lebensjahr immer das Merkzeichen H erhalten, wenn ein GdB von 50 zuerkannt worden ist. Die Vorschrift in der VersMedV schließt aber nicht aus, dass bei einem geringeren GdB nicht auch die Zuerkennung des Merkzeichens H bei Kindern und Jugendlichen erfolgen kann. Bei der Mukoviszidose ist bei der Notwendigkeit umfangreicher Betreuungsmaßnahmen (im Allgemeinen bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres) Hilflosigkeit anzunehmen. So war es auch vorliegend.

Fazit

Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation besteht, so dass – anders als bei Erwachsenen – auch schon bei niedrigerem GdB Hilflosigkeit vorliegen kann.

Die Autorin vertritt als Fachanwältin für Sozial- und Medizinrecht bundesweit die Interessen von Kindern, die unter einer Behinderung leiden.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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