Müssen deutsche Beamte und Soldaten, die Israels Verhalten in Gaza als Völkermord einstufen, aus dem Dienst ausscheiden?

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Am 26. Januar 2024 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof seine Entscheidung im Verfahren Südafrika gegen Israel, mit der er Israel zu sofortigen Maßnahmen verurteilte aufgrund der Einschätzung, dass Israel plausibler weise im Gazastreifen Völkermord begeht.

Am 2. Februar 2024, also genau eine Woche danach, veröffentlichten mehr als 800 "transatlantische" Beamte der EU, Kanadas, der USA und 13 europäischen Ländern unter Einschluss Deutschlands ein gemeinsames Schreiben mit dem Titel Transatlantic Civil Servants’ Statement on Gaza: It is Our Duty to Speak out, in welchem sie die Politik ihrer Regierungen in Bezug auf den Gaza-Krieg anprangern.

In dem Schreiben heißt es (übersetzt): "Es besteht ein plausibles Risiko, dass die Politik unserer Regierungen zu schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts, Kriegsverbrechen und sogar ethnischen Säuberungen oder Völkermord beiträgt". Die Regierungen werden unter anderem aufgefordert, die vollständige Umsetzung der Eilentscheidung des IGH zu verlangen und sämtliche verfügbare Verhandlungsmacht - einschließlich eines Stopps militärischer Unterstützung - zu nutzen, um einen dauernden Waffenstillstand und eine sichere Freilassung aller Geiseln zu erreichen.

Weiterhin werden die Regierungen aufgefordert, nicht mehr zu behaupten, dass hinter den israelischen Militäroperationen eine sinnvolle und legitime Strategie steckt, deren Unterstützung im nationalen Interesse liegt und stattdessen Israel wie alle anderen Beteiligten anhand allgemein gültiger humanitärer und menschenrechtlicher Standards zu messen.

Inzwischen gibt es Berichte, dass nicht nur Beamte der US-Administration, sondern auch erste europäische Beamte und Bedienstete, einschließlich von Beamten nationaler diplomatischer Dienste, angesichts der unveränderten Haltung ihrer Regierungen ihre Posten kündigen. Müssen deutsche Beamte notwendig das Gleiche tun, wenn sie der Meinung sind, Israel begehe Kriegsverbrechen oder sogar Völkermord in Gaza und ihre Regierung leiste Beihilfe hierzu und sie sich hieran nicht beteiligen wollen?

Ist ein Beamter der Meinung, dass eine ihm erteilte Weisung die Begehung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit oder einen Verstoß gegen die Menschenwürde beinhaltet und wird dem keine Abhilfe durch Vorgesetzte geschaffen, muss, ja darf er diese Weisung nach § 63 Bundesbeamtengesetz nicht befolgen. Gemäß § 11 Abs. 2 Soldatengesetz darf ein Befehl nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde.

Beihilfe zu Kriegsverbrechen oder Völkermord ist unbestreitbar eine Straftat.

Das Problem ist jedoch, dass in den meisten Fällen dieser Art zwar der Verdacht einer Straftat - in unserem Fall Beihilfe zu Völkermord und anderen Kriegsverbrechen Israels - besteht, aber noch kein Gericht das definitive Vorliegen einer derartigen Straftat bestätigt hat.

Einen Ausweg könnte allerdings ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.06.2005 bieten: In diesem Fall weigerte sich ein deutscher Soldat, an einem Softwareprojekt zu arbeiten, das bei der Durchführung des von den Regierungen der USA und des UK am 20.3.2003 ausgelösten Irak-Krieges helfen konnte. Das Bundesverwaltungsgericht befand:

"Gegen diesen Krieg bestanden und bestehen gravierende völkerrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht."

Ebenso klare Worte fand das Gericht im Hinblick auf die Unterstützungsleistungen der deutschen Regierung:

"Objektiver Sinn und Zweck dieser Maßnahmen war es, das militärische Vorgehen der USA und des UK zu erleichtern oder gar zu fördern. Auch hiergegen bestehen im Hinblick auf das völkerrechtliche Gewaltverbot gravierende völkerrechtliche Bedenken".

Das Gericht ließ es dahingestellt, ob mit der Weiterentwicklung des Softwareprogramms durch den Soldaten tatsächlich eine - schwer zu beweisende - kausale Unterstützung der Kriegshandlungen im Irak verbunden war: Ein nachvollziehbarer Anlass, dies zu befürchten, habe in jedem Fall bestanden, so dass sich der Soldat mit Erfolg auf sein Grundrecht der Gewissensfreiheit gemäß Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz berufen konnte und ein Fall der "Gehorsamsverweigerung" nicht vorlag. 

Für unsere deutschen, von den Horrormeldungen aus Gaza und dem Verhalten der Bundesregierung hierzu geschockten Amtsträger, die zu den mutmaßlichen - oder nach der Formulierung des Internationalen Gerichtshofs "plausiblen" - Kriegsverbrechen Israels keine Beihilfe leisten wollen, besteht also durchaus eine Chance, nach erfolglosen Gesprächen mit Vorgesetzten und mit Hilfe eines/einer im Beamten- oder Wehrrecht versierten Rechtsanwalts/Rechtsanwältin ihrem Gewissen zu folgen, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlieren.



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