Nachprüfungsverfahren in der Berufsfähigkeitsversicherung: Anspruch auf Erhalt ärztlicher Gutachten?

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Das Landgericht Hamburg hat sich in einer jüngeren Entscheidung damit befasst, ob der Versicherungsnehmer im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens über den Fortbestand der Berufsunfähigkeit ein ärztliches Gutachten erhalten müssen.

1.  Sachverhalt

Durch den Berufsunfähigkeit-Versicherer wurde bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit zunächst anerkannt. Im Rahmen eines (grundsätzlich zulässigen) Nachprüfungsverfahrens wurde die Versicherungsnehmerin im Auftrag des Versicherers durch eine Ärztin für Neurologie begutachtet. Diese kam zur Auffassung, dass sich die Beschwerden merklich gebessert haben und nur noch eine Berufsunfähigkeit von 20 % vorlag (statt der im Vertrag vorgesehenen 50 %). Der Versicherer nahm dies zum Anlass, seine Leistungen einzustellen, was er der Versicherungsnehmerin schriftlich mitteilte und hierbei inhaltlich auf das Gutachten Bezug nahm. Das Gutachten legte er indes nicht vor. Die Versicherungsnehmerin klagte schließlich vor dem Landgericht Hamburg auf weitere Leistungen.

2. Gerichtliche Entscheidung

Das Landgericht Hamburg (Urteil vom 14. Februar 2020, Az. 314 O 71/19) stellte fest, dass die Einstellungsmitteilung des Versicherers nicht ausreichend war, um als wirksame Einstellungsmitteilung zu einem Ende der Leistungspflicht zu führen. Hierbei waren primär formelle Gründe maßgeblich.

Das Gericht geht, insofern in Übereinstimmungmit der Rechtsprechung des BGH, davon aus, dass Mindestvoraussetzung für die Nachvollziehbarkeit einer Einstellungsmitteilung des Versicherers und damit zugleich der Wirksamkeit seiner Mitteilung ist, dass er ein zu Grunde liegendes ärztliches Gutachten dem Versicherten mit der Einstellungsmitteilung zugänglich macht. 

Dies hatte der Versicherer vorliegend versäumt. Aus Sicht des Gerichts war insbesondere unbeachtlich, dass die Versicherungsnehmerin eine Besserung ihrer Beschwerdesymptomatik möglicherweiseselbst wahrnehmen konnte und es sich ihr daher aufgedrängt hat, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegen dürfte. Hierauf komme es, so das Landgericht Hamburg, nicht an. Im Ergebnis wurde der Klage der Versicherungsnehmerin stattgegeben und der Versicherer zur Zahlung weiterer Berufsunfähigkeitsleistungen verurteilt.

3. Praxistipp

Das von uns zitierte Urteil ist zwar derzeit noch nicht rechtskräftig, sondern wird vom Oberlandesgericht Hamburg überprüft. Es zeigt jedoch anschaulich, dass dann, wenn die Berufsunfähigkeit durch den Versicherer anerkannt ist, der Versicherte eine durchaus starke Rechtsposition hat. Der Versicherer muss z darlegen und im Falle einer gerichtlichen Aufarbeitung beweisen, dass die einmal anerkannte Berufsunfähigkeit nunmehr weggefallen ist. Die Leistungspflicht entfällt insbesondere nicht automatisch, sondern es bedarf stets einer Einstellungsmitteilung.

Durch die Rechtsprechung sind verschiedene formale Kriterien entwickelt worden, deren Nichteinhaltung zu einer Unwirksamkeit der Nachprüfungsentscheidung führen können. Selbst wenn eine gewisse Besserung der Beschwerden auch vom Versicherungsnehmer selbst bemerkt wird, empfehlen wir grundsätzlich, die Nachprüfungsentscheidung einer anwaltlichen Prüfung zu unterziehen. Es gibt hier vielfältige rechtliche Aspekte zu kennen und es stellen sich aus Sicht des Versicherungsnehmers mitunter auch taktische Erwägungen, die eine sorgfältige und versierte Prüfung und Beratung durch einen Fachanwalt für Versicherungsrecht sinnvoll machen. Dies sollte stets "im Vorfeld" einer möglichen Kontaktaufnahme mit dem Versicherer geschehen.

Sprechen Sie uns gerne an!

Kanzlei MEILENSTEIN Rechtsanwälte: 06221/7151617


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