Neue Regeln für die Kündigung schwerbehinderter Menschen

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Das Bundesteilhabegesetz hat unter anderem auch Neuregelungen bezüglich der Kündigung schwerbehinderter Menschen gebracht. Diese Regelungen betreffen das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und gelten seit 30.12.2016.

Verschärfung der Anforderungen an Kündigungen gegenüber schwerbehinderten Beschäftigten

Die Rechte der Schwerbehindertenvertretung werden durch das Bundesteilhabegesetz gestärkt. Bereits in der Vergangenheit war der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Kündigung zu beteiligen, § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Danach hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die schwerbehinderte Menschen berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Eine unterlassene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung durch den Arbeitgeber hatte jedoch nicht die Folge der Unwirksamkeit der später ausgesprochenen Kündigung, jedenfalls galt dies nach überwiegender Auffassung in der Literatur. Die Neufassung des Gesetzes regelt jetzt hingegen:

§ 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX: Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.

Wie ist das Verhältnis von Beteiligungsverfahren oder Behördenanträgen zu § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX?

Damit muss der Arbeitgeber neben bzw. vor anderen ggf. notwendigen Beteiligungsverfahren (bei Schwangeren § 9 MuSchG: Antrag auf Erteilung der Zulässigkeitserklärung durch die Mutterschutzbehörde, bei Elternzeitlern Zulässigkeitserklärung durch die Arbeitsschutzbehörde § 18 BEEG, § 102 BetrVG: Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch von Kündigungen, §§ 85 ff. SGB IX: Zustimmungsantrag vor dem Integrationsamt, bei größeren Abbaumaßnahmen § 17 KSchG: Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit etc.) ein weiteres Verfahren zwingend vorschalten.

Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist vorsorglich vor dem Verfahren nach §§ 85 ff. SGB IX (Antrag auf Zustimmung durch das Integrationsamt) durchzuführen. Das Integrationsamt könnte ansonsten den Antrag zurückweisen, weil der Arbeitgeber den Schwerbehindertenschutz des SGB IX nicht eingehalten hat.

Der Arbeitgeber muss allerdings vor Abschluss der Verfahren nach § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX und §§ 85 ff. SGB IX keine Betriebsratsanhörung einleiten, weil zur ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung nicht gehört, dass über das Ergebnis der erstgenannten Verfahren berichtet wird. Der Arbeitgeber kann aber die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung parallel zur Betriebsratsbeteiligung durchführen.

S. Bayreuther, Der neue Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer nach § 95 Abs. 2 SGB IX, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2017, Seite 87 ff.

Welche Kündigungen sind betroffen?

§ 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX nF betrifft alle Kündigungen eines schwerbehinderten Arbeitnehmers, unabhängig von § 90 Abs. 1 SGB IX, nach der das Zustimmungserfordernis des Integrationsamts erst nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses entsteht (§§ 85 ff. SGB IX) bedarf.

Was ist bei der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu beachten?

Der Umfang der Beteiligung ist im Gesetz nicht genau vorgegeben, dürfte aber dem Umfang der Beteiligung in § 102 BetrVG ähnlich sein. Der Schwerbehindertenvertretung sind demnach die Sozialdaten des Beschäftigten mitzuteilen sowie die subjektiv aus Sicht des Arbeitgebers vorliegenden Umstände, die den Kündigungsentschluss stützen.

Wann kann der Arbeitgeber nach Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung frühestens kündigen?

Da § 102 BetrVG eine Frist von mindestens einer Woche vorsieht, innerhalb derer der Betriebsrat zur Kündigung Stellung nehmen kann, darf der Arbeitgeber vor Ablauf dieser Frist nur dann kündigen, wenn der Betriebsrat zuvor erkennbar abschließend Stellung genommen hat. Die Wochenfrist oder alternativ dazu die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats markiert im Rahmen des Verfahrens nach § 102 BetrVG den Verfahrensabschluss, also den Zeitpunkt, zu dem frühestens eine Kündigung ausgesprochen werden darf. Für die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach dem Bundesteilhabegesetz gibt es keine ausdrückliche derartige Frist.

Zu empfehlen ist gleichwohl, im Fall einer ordentlichen Kündigung mindestens sieben Tage zuzuwarten (s. Bayreuther, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2017, Seite 87 ff.

Dies wird aus § 95 Abs. 2 S. 2 SGB IX geschlossen, der lautet:

„Die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung nach Satz 1 getroffenen Entscheidung ist auszusetzen, die Beteiligung ist innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden.“

Fazit

Wenngleich im Gesetzgebungsverfahren an vielen Stellen und von vielen Seiten Kritik erhoben wurde, dürfte immerhin durch das Bundesteilhabegesetz der Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen verbessert worden sein. Gleichzeitig werden die Rechte der Schwerbehindertenvertretung gestärkt.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart


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