Pflichtteilsrecht: Pflichten des Notars zu Nachforschungen beim Erstellen eines Nachlassverzeichnisses

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Zusammenfassung:


Pflichtteilsberechtigte sind darauf angewiesen, sich ein umfassendes Bild vom Wert des Nachlasses machen zu können, um ihren Pflichtteilsanspruch zu beziffern. Sie haben z.B. das Recht, von dem oder den Erben die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zu fordern, sei es ein privatschriftliches Verzeichnis und/oder ein notarielles Nachlassverzeichnis. Ob und inwieweit der Notar dabei eigene Nachforschungen anstellen muss, und warum dies für den Pflichtteilsberechtigten so wichtig ist, lesen Sie in diesem Beitrag. Angesprochen wird ein jüngerer Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Köln.


Der Pflichtteil und der Pflichtteilsanspruch


Wer enterbt wurde, kann sich dennoch „eine Scheibe“ vom Nachlass „abschneiden“, sofern er ein Pflichtteilsrecht hat. Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge, Ehegatten, oder, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind, die Eltern des Erblassers.


Das Pflichtteilsrecht ist zu unterscheiden vom Pflichtteilsanspruch: Der Pflichtteilsanspruch entsteht nur, wenn der Nachlass werthaltig, also nicht überschuldet ist.


Wie man seinen Pflichtteilsanspruch beziffert


Das Pflichtteilsrecht besteht in Höhe der Hälfte der gesetzlichen Erbquote. Und die Höhe der gesetzlichen Erbquote wiederum bemisst sich danach, ob der Erblasser verheiratet war, wenn ja, in welchem Güterstand, und wie viel Abkömmlinge er hat.


Angenommen, eine Person ist pflichtteilsberechtigt mit einer Quote von 1/8. Dann besteht ihr Pflichtteilsanspruch in Höhe von 1/8 des Wertes, den der Reinnachlass im Zeitpunkt des Erbfalls (d.h. zum Stichtag) hatte. Der Reinnachlass ist der Netto-Nachlass: Das sind alle positiven Nachlasswerte (Aktiva) abzüglich aller negativen Nachlasswerte (Passiva).


Der Pflichtteilsanspruch kann also nur dann beziffert werden, wenn der Pflichtteilsberechtigte Kenntnisse über alle Aktiva und Passiva des Nachlasses hat.


Der Pflichtteilsanspruch und das Nachlassverzeichnis


Der Pflichtteilsberechtigte hat einen Anspruch gegen den oder die Erben auf Vorlage eines umfassenden und wahrheitsgemäßen Nachlassverzeichnisses, wofür den Erben eine – angemessene – Frist gesetzt werden darf.


Das Nachlassverzeichnis muss eine geordnete und nachprüfbare Zusammenstellung aller Aktiva und alle Passiva enthalten. Aktiva sind z.B. Grundeigentum/Eigentumswohnung, Kontoguthaben und andere Forderungen, Pkw, Hausrat, Schmuck, Uhren und persönliche Sachen des Erblassers. Passiva sind die Schulden des Erblassers, z.B. Miet-, Bank- oder Steuerschulden.


Der Pflichtteilsberechtigte hat einen Anspruch auf Vorlage eines privatschriftlichen und auch auf Vorlage eines – kostenpflichtigen – notariellen Nachlassverzeichnisses. Die entstehenden Notarkosten werden vom Reinnachlass abgezogen, d.h. der Pflichtteilsberechtigte trägt sie anteilig mit.


Wird das Nachlassverzeichnis nicht oder nicht fristgerecht erstellt, kann der Pflichtteilsberechtigte den Erben auf Auskunft verklagen. Der Erbe muss dem Gericht dann ein privatschriftliches oder, wenn der Pflichtteilsberechtigte dies verlangt, ein notarielles Nachlassverzeichnis vorlegen.


Das notarielle Nachlassverzeichnis und die Pflichten des Notars


Der Notar ermittelt den Nachlassbestand in der Regel vor Ort, also im Haus oder in der Wohnung des Erblassers. Bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses muss er sich ebenso viel Mühe geben wie der Erbe.

Mehr noch:


Ist das Bestehen von Nachlassgegenständen, z.B. von Kontoguthaben, oder der Verbleib von Nachlassgegenständen unklar, muss der Notar – in vertretbarem Umfang – eigene Nachforschungen anstellen. Im Nachlassverzeichnis muss der Notar schließlich zum Ausdruck bringen, dass der Inhalt des Verzeichnisses auf seinen eigenen Ermittlungen beruht und dass er für diesen Inhalt verantwortlich ist (BVerfG NJW 2016, 2643 Rz.3, BGH NJW 2019, 231 Rz. 32 und ständige Rechtsprechung der Obergerichte).


Darüber, in welchem Ausmaß der Notar gewissermaßen detektivisch tätig werden muss, gibt es eine Fülle von Gerichtsurteilen zu unterschiedlichen Situationen. Einen „Aufgabenkatalog“ zur Ermittlungstätigkeit hatte zunächst das OLG Koblenz aufgestellt (NJW 2014, 1972). Ein neuerer Beschluss des OLG Köln hierzu wird am Ende dieses Beitrags vorgestellt.


Wichtig: Das Recht des Pflichtteilsberechtigten auf Hinzuziehung


Der Pflichtteilsberechtigte darf verlangen, bei dem Termin zur Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses hinzugezogen zu werden. Der Notar muss ihm hierzu einige Terminvorschläge machen und diese mit dem Erben abstimmen.


Dieses Recht sollte der Pflichtteilsberechtigte unbedingt selbst oder durch einen Vertreter wahrnehmen. Denn es verschafft ihm die Gelegenheit, dem Notar „über die Schulter“ zu blicken und sich so selbst davon zu überzeugen, dass der Notar den Nachlassbestand sorgfältig ermittelt und Unklarheiten gewissenhaft nachgeht.


Warum die Sorgfalt des Notars bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses so wichtig ist – und warum auch der Pflichtteilsberechtigte das Verzeichnis sorgfältig überprüfen sollte


Der Pflichtteilsberechtigte kann die Ergänzung eines Nachlassverzeichnisses verlangen, wenn eine oder mehrere Positionen nicht angegeben wurden, z.B. wenn ein vorhandener Pkw oder vorhandene Kontoguthaben nicht angegeben wurden. In dem nachfolgend angesprochenen Fall des OLG Köln fehlte die Angabe von Schmuck, Bargeld und Hausrat der Erblasserin.


Die Berichtigung eines fehlerhaften Nachlassverzeichnisses, wenn z.B. statt vorhandener zwölf goldenen Löffel nur sechs goldene Löffel angegeben wurden, kann der Pflichtteilsberechtigte aber nicht verlangen. Sollte der Erbe den Fehler in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung nicht freiwillig berichtigen, müsste der Pflichtteilsberechtigte ihn auf Auskunft verklagen.


Wenn der Pflichtteilsberechtigte den Eindruck hat, dass bei bestimmten Positionen, z.B. bei Konten oder Schmuck, zu wenig Gegenstände angegeben wurden, hat er – vor dem Notar und auch vor Gericht – lediglich die Möglichkeit, zu beantragen, dass der Erbe die eidesstattliche Versicherung über die Richtigkeit und Vollständigkeit des Nachlassverzeichnisses abgibt.


Der Notar oder das Gericht werden den Erben zur Wahrheit ermahnen und ihn über die Strafbarkeit einer fahrlässigen oder vorsätzlichen falschen Versicherung an Eides Statt belehren. Dies bewegt so machen Auskunftsschuldner dazu, seine Angaben zu korrigieren. Es gibt allerdings auch eiskalte Lügner. Um so wichtiger ist es, dass der Pflichtteilsberechtigte bei der Ermittlung der Nachlassgegenstände selbst aktiv wird und Fragen stellt.


Wann Nachforschungen des Notars geboten sind


Der Notar muss immer dann nachforschen, wenn es einigermaßen greifbare Hinweise auf das Vorhandensein noch nicht offengelegter Nachlassgegenstände gibt, z.B. auf Konten im Inland oder auch im Ausland.


In dem vom OLG Köln entschiedenen Fall hatte der Pflichtteilsberechtigte dem Notar Kontoauszüge vorgelegt, die Anhaltspunkte dafür gaben, dass von den Erblasserkonten Zahlungen auf eine (bis dahin unbekannte) Sterbegeldversicherung abgebucht und Gutschriften von einem (bis dahin unbekannten) Treuhandkonto hinzugebucht worden waren. Diesen Hinweisen war der Notar nur insoweit nachgegangen, als er die Banken telefonisch nach dort bestehenden Konten gefragt hatte, was das OLG Köln für unzureichend erachtete.

Das OLG Köln befand das Nachlassverzeichnis als nicht für erfüllungstauglich und setzte gegen den Erben wurde ein Zwangsgeld fest.

(OLG Köln, Beschluss v. 08.11.2023, Az. 24 W 49/23; BeckRS 2023, 44035; NJW-Spezial 2024, 232).

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