Religiös motivierte Beschneidung bleibt in Berlin zunächst straffrei

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Letzten Mittwoch stellte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) eine neue Übergangsregelung vor, die religiös motivierte Beschneidung von Jungen unter strengen Auflagen in Berlin für straffrei erklärt. Sie soll in der Zeit gelten, in der noch keine bundesgesetzliche Regelung geschaffen worden ist.

Was zuvor geschah ..., das Beschneidungsurteil der Kölner Strafkammer

Das Land Berlin reagiert damit auf die durch ein Urteil des Landgerichts Köln ausgelöste Rechtsunsicherheit. Das Landgericht Köln hatte in seiner Entscheidung vom 7.5.2012 - 151 Ns 169/11 die religiös motivierte Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen männlichen Kleinkindes als tatbestandsmäßige Körperverletzung gemäß § 223 StGB gewertet.

Zum Sachverhalt

Angeklagt war ein Arzt, der die Beschneidung eines 4-jährigen Jungen auf den religiös motivierten Wunsch von dessen Eltern durchgeführt hatte, ohne dass hierfür eine medizinische Indikation vorlag. Die Operation wurde fachlich einwandfrei ausgeführt. Dennoch kam es am Abend zu Nachblutungen, die eine klinische Behandlung des Jungen in der Kindernotaufnahme erforderlich machten.

Rechtliche Würdigung

Tatbestand § 223 StGB

Das Landgericht Köln prüfte eine gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB, da der Angeklagte bei der Operation ein Skalpell benutzt hatte. Die Benutzung eines Skalpells erfüllt jedoch den Tatbestand des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB nicht, wenn es durch einen Arzt bestimmungsgemäß verwendet wird.

Eine einfache Körperverletzung sah das Landgericht Köln allerdings als erfüllt an.

Das Gericht beurteilte die Einwilligung der Eltern zur Beschneidung ihres Sohnes nicht als sozialadäquat und damit tatbestandsausschließend, obwohl dies von einer gegenteiligen Meinung in der Literatur aufgrund der allgemeinen Billigung und der üblichen Tradition der Beschneidung gefordert wird.

Rechtfertigung

Auch eine rechtfertigende Einwilligung der Eltern sah das Gericht nicht als gegeben an. Dies begründete es damit, dass vom Sorgerecht der Eltern im Sinne des § 1627 S. 1 BGB nur solche Erziehungsmaßnahmen gedeckt sind, die dem Wohl des Kindes dienen.

Die Beschneidung eines Jungen hingegen entspricht nach herrschender Meinung in der Literatur und der des Landgerichts Köln „weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung des innerhalb des jeweiligen religiös gesellschaftlichen Umfelds noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohl des Kindes".

Zwar sind Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern in Art. 4 I, 6 II des Grundgesetzes statuiert. Diese Grundrechte werden jedoch ihrerseits durch das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Art. 2 I und II 1 GG begrenzt. Außerdem muss im Rahmen der elterlichen Grundrechte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als verfassungsimmanente Schranke gewahrt werden.

Selbst wenn man also die Beschneidung für erforderlich halten würde, ist sie nach Auffassung des Gerichts jedenfalls unangemessen. Der Körper des Kindes würde durch die Beschneidung dauerhaft verändert und laufe dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider. Ferner nimmt das Gericht keine erhebliche Beeinträchtigung des Erziehungsrechts der Eltern an, wenn diese auf eine selbstständige Entscheidung des Sohnes, sich zum Islam zu bekennen, bis zur Mündigkeit warten müssen.

Schuld

Der angeklagte Arzt, der die Beschneidung durchgeführt hatte, handelte jedoch in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB. Er ging fest davon aus, dass sein Handeln gestattet und rechtmäßig war.

Dieser Irrtum war aufgrund der zum Tatzeitpunkt unklaren Rechtslage zur religiös motivierten Beschneidung auch unvermeidbar. So führt das Gericht aus, dass selbst der Versuch des Angeklagten, sich über die Rechtslage zu informieren, zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt hätte.

Der Arzt musste folglich trotz Feststellung einer tatbestandlichen Körperverletzung an dem Jungen vom Landgericht Köln freigesprochen werden, da er ohne Schuld handelte.

Die gegenwärtige Rechtslage nach dem Urteil

Die Kölner Strafkammer hat mit ihrem Urteil eine hitzige Diskussion über religiöse Traditionen, Selbstbestimmung und das Wohl des Kindes mit sich gebracht. Es gibt mittlerweile sowohl von Gegnern des Urteils als auch von Befürwortern unzählige Argumente für deren jeweilige Position.

Auch der Bundestag hat sich zu dem Kölner Urteil positioniert und mit großer Mehrheit ein Gesetz angekündigt, das Beschneidungen weiterhin straflos lässt. Da dieses Gesetz aber noch auf sich warten lässt, hat das Land Berlin nun eine Übergangsregelung geschaffen. Diese dient vor allem dazu, muslimisches und jüdisches Leben und deren Religionsausübung in Berlin ausdrücklich willkommen zu heißen, betonte Justizsenator Heilmann.

Die Einzelheiten der Übergangsregelung

Die Regelung des Berliner Justizsenators sieht die Straffreiheit für religiös motivierte Beschneidungen vor, wenn beide Elternteile schriftlich einwilligen, nachdem sie hinreichend über die gesundheitlichen Risiken der Operation aufgeklärt wurden.

Des Weiteren müssen die Eltern des Kindes ihre religiöse Motivation und die religiöse Notwendigkeit des Eingriffs nachweisen. Der Eingriff selbst muss von einem approbierten Arzt nach medizinisch fachgerechtem Standard durchgeführt werden. So soll eine möglichst schmerzfreie und sterile Operation garantiert werden.

Nur unter diesen strengen Voraussetzungen soll die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen. Fehlt eine der Voraussetzungen, ist die Strafbarkeit im Einzelfall zu prüfen.

Ob auch andere Bundesländer die Straffreiheit von religiös motivierter Beschneidung regeln, bevor der Bund ein solches Gesetz beschließt, bleibt mit Spannung zu erwarten. In Baden-Württemberg existiert bereits eine ähnliche Regelung. Bayern und Brandenburg kündigten hingegen an, auf eine eigene Landesregelung zu verzichten.

- mitgeteilt von Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin -

Rechtsanwalt Dietrich verteidigt häufig Mandanten, gegen die eine Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattet worden ist.


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