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Sittenwidrigkeit der Bürgschaft eines Arbeitnehmers

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In einem Urteil hat der BGH erneut zur Sittenwidrigkeit der Bürgschaft eines Arbeitnehmers entschieden. Der Leitsatz heißt wie folgt: 

„Die Bürgschaft eines Arbeitnehmers für Verbindlichkeiten des Arbeitgebers ist nicht schon deswegen sittenwidrig, weil sie vom Arbeitnehmer ohne eine Gegenleistung in einer wirtschaftlichen Notlage des Arbeitsgebers übernommen wird.“

[BGH, Urteil vom 11.09.2018, AZ: XI ZR 380/16]

Interessant in dieser Entscheidung war der Umstand, dass beide Vorinstanzen, das Landgericht als auch das Oberlandesgericht, die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft festgestellt haben. Dabei hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine Arbeitnehmerbürgschaft per se sittenwidrig sei, da „sie ohne Gegenleistung [den Beklagten] in erheblicher Weise mit dem wirtschaftlichen Risiko der Arbeitgeberin“ belaste. 

Bereits am 14.10.2003 hat der BGH dagegen in einer Entscheidung zum Aktenzeichen XI ZR 121/02 Folgendes festgestellt: 

„Eine von einem Arbeitnehmer mit mäßigem Einkommen aus Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes für einen Bankkredit des Arbeitsgebers übernommene Bürgschaft ist sittenwidrig, wenn sie den Arbeitnehmer krass überfordert und sich der Arbeitgeber in einer wirtschaftlichen Notlage befindet.“

Hier stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die zwei vorgenannten und anscheinend „widersprechenden“ Urteile zustande gekommen sind. 

Die Rechtsprechung zum Bürgschaftsrecht hat mit Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1993 zum Aktenzeichen 1 BvR 567/89 eine grundlegende Änderung erfahren. Das Bundesverfassungsgericht stellte Folgendes fest: 

„Die Zivilgerichte müssen – insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB – die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG beachten. Daraus ergibt sich ihre Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einer der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind.“ 

Maßgeblich ist vorliegend der Hinweis auf § 138 BGB, der Hinweis auf die Sittenwidrigkeit eines (Bürgschafts-)Vertrages. Grundsätzlich, so das Bundesverfassungsgericht, obliegt es jedem Einzelnen im Rahmen seiner Privatautonomie, wie dieser seine Rechtsverhältnisse gestaltet. Grenzen erfährt diese Gestaltungsfreiheit nur dort, wo eine Vertragspartei ein erhebliches Übergewicht z. B. in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht hat, der andere Vertragsteil durch weitere Umstände in seiner individuellen Handlungsfreiheit stark eingeschränkt ist. Dadurch kann ein Vertragsteil den Inhalt des Vertrages aufgrund seiner „Verhandlungsmacht“ bestimmen. Der zweite Vertragsteil, z. B. der Bürge, ist folglich fremdbestimmt. Ihm ist seine individuelle Handlungsfreiheit genommen. Eine solche Fallgruppe trifft insbesondere auf Familienangehörige zu, z. B. Ehegattinnen, die sich für ein vom Ehegatten existenziell benötigten Kredit aus innerer Verbundenheit verbürgen. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass die Zivilgerichte bei der Überprüfung der (Bürgschafts-)Verträge die Einzelheiten des Vertragsschlusses auf diese Komponenten mit Blick auf die Sittenwidrigkeit zu überprüfen und einzuordnen haben. Maßgeblich ist insbesondere die finanzielle krasse Überforderung des Bürgen bezogen auf die übernommene Bürgschaftsverpflichtung und zusätzlich erschwerende, der Bank zurechenbaren Umstände, die den Bürgen in seiner Entscheidungsfreiheit einschränken. Hierzu gehört insbesondere die emotionale Verbundenheit, welche in verwerflicher Weise vom Vertragspartner ausgenutzt worden ist. 

In der Rechtsprechung liegt eine finanziell krasse Überforderung zumindest immer dann vor, wenn die Zinslast aus der übernommenen Verpflichtung schon aus dem pfändbaren Teil des Einkommens des Bürgens bei Eintritt des Sicherungsfalls nicht gedeckt werden kann. Ein anderes Maß ist die Unmöglichkeit des Bürgen ¼-tel der Bürgschaftsverpflichtung innerhalb von 5 Jahren aus dem pfändbaren Vermögen zurückzuführen. Eigenes Vermögen, wie z. B. Grundeigentum, Sparguthaben oder ähnliches, sind selbstverständlich hinzu zu rechnen. Prognosen auf zukünftiges (steigendes) Einkommen sind möglich, sofern diese Prognosen eine überprüfbare Basis haben. Wenn ein finanziell krass überforderter Bürge die Bürgschaft übernimmt und dieser z. B. dem Hauptschuldner persönlich sehr nahe steht, wird widerleglich vermutet, dass er für den Hauptschuldner die Bürgschaft nur aus der emotionalen Verbundenheit übernommen hat und der Hauptschuldner die Situation in verwerflicher Weise ausgenutzt hat. 

Eine solche emotionale Verbundenheit muss, so der BGH, bei Arbeitsvertragsparteien nicht zwingend bestehen. Eine die Sittenwidrigkeit der die Bürgschaft begründende Ungleichheit kann demnach nur darin bestehen, dass der Bürge an dem Kredit kein eigenes Interesse, allerdings erhebliche Angst um seinen Arbeitsplatz bei der Hauptschuldnerin, verbunden mit dem Verlust seines Einkommens, hat. Dieses, so der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003, sei vor allem dann anzunehmen, wenn die Arbeitslosigkeit hoch sei.

Das Bundesarbeitsgericht dagegen hat in einigen Entscheidungen geäußert, dass eine Arbeitnehmerbürgschaft bereits wegen des Verstoßes gegen das „Leitbild“ des Arbeitsvertrages per se unwirksam sei. Insoweit bedürfe es keiner finanziellen Überforderung.

In seiner Entscheidung vom 11.09.2018 hat der Bundesgerichtshof dieser Auffassung eine Absage erteilt. Es liege in der Natur der Bürgschaft, dass gerade keine Gegenleistung gefordert werde. Es bedürfe, so der Bundesgerichtshof, folglich immer der krassen finanziellen Überforderung. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass die widerlegliche Vermutung, der Bürge habe die Bürgschaft allein aus Angst um seinen Arbeitsplatz übernommen, tatsächlich nur in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit greife. Da in dem vom BGH zu entscheidenden Fall eine krasse finanzielle Überforderung nicht vorlag, die widerlegliche Vermutung [Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes verbunden mit Einkommensverlust] ebenfalls verneint wurde, bestand nur noch die Möglichkeit, die Sittenwidrigkeit festzustellen, wenn die Bürgschaft „nur aufgrund besonders erschwerender und dem Bürgschaftsgläubiger zurechenbarer sonstiger Umstände als sittenwidrig und nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB“ einzustufen sei. Diese liege z. B. dann vor, wenn der Hauptschuldner, der Arbeitgeber, auf die Entschließung des Bürgen zur Übernahme durch z. B. eklatante Verharmlosung der übernommenen Verpflichtung gedrängt hat.

Im Ergebnis handelt es sich also nicht um widerstreitende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, vielmehr um die Ausgestaltung der Wertungen einzelner Tatbestandsmerkmale. Dieses gilt für jedwede Bürgschaft, ob gegenüber einer Bank, einem Unternehmen, einem Arbeitgeber oder auch einer Verwaltungsbehörde abgegeben. Eine sorgfältige Prüfung der Umstände, welche zur Übernahme der Bürgschaft führten, ist hier erforderlich.

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