Staatshaftung im Fall von Thomas Cook? Unsere vollständige Analyse

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Thomas Cook und seine Tochtergesellschaften haben Insolvenzantrag gestellt. Millionen von Pauschalurlauber sind betroffen. Aktuell wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder über Staatshaftung diskutiert, doch woher rührt eigentlich genau diese Diskussion?

Begrenzung des Versicherungsschutzes in Deutschland

Reisen hat in Europa und besonders natürlich auch in Deutschland einen hohen Stellenwert. Es ist nicht ungewöhnlich, dass zum Teil lange für einen Urlaub gespart wird. Es liegt daher nahe, dass gerade Pauschalurlauber vor finanziellen Nachteilen geschützt werden sollen. 

Wer einmal eine Pauschalreise angetreten hat, der kennt vielleicht auch den sogenannten Reisesicherungsschein. Dieser Sicherungsschein zeigt, dass eine Absicherung auch für den Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters bestehen soll. Doch gerade jetzt zeigt sich auch, dass das (deutsche) Gesetz diese Absicherung letztlich im Wesentlichen auf 110 Millionen € begrenzt hat. 

Reicht der Versicherungsschutz?

Die Zurich als Versicherung von Thomas Cook und seinen Tochtergesellschaften hat bereits bekannt gegeben, dass die Versicherungssumme bei weitem nicht ausreichen wird und somit Millionen von Pauschalurlaubern einen finanziellen Schaden erleiden werden. Dies war so sicherlich nicht gewollt und daraus resultiert die Frage, ob der deutsche Staat etwas falsch gemacht hat.

EU-Richtlinie & Versäumnis der Umsetzung in Deutschland?

Tatsächlich existiert eine EU-Richtlinie zu Pauschalreisen vom 25.11.2015, die auch in Deutschland umgesetzt werden musste. In dieser EU-Richtlinie heißt es, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten sollten, dass Pauschalreisende vor der Insolvenz des Reiseveranstalters in vollem Umfang geschützt sind. Weiter wird in der Richtlinie ausgeführt, dass – damit der Schutz vor Insolvenz wirksam – „die vorhersehbaren Zahlungsbeträge, die von der Insolvenz eines Reiseveranstalters betroffen sind, und gegebenenfalls die vorhersehbaren Kosten der Rückbeförderungen“ abgedeckt sein sollten.

Es stellt sich daher die Frage, ob Deutschland diese Anforderungen korrekt in das deutsche Recht umgesetzt hat. Die deutsche Regelung zur Insolvenzsicherung bei Pauschalreisen findet sich in § 651 r BGB. Hier ist doch recht überraschender Weise in Abs. 3 geregelt, dass der Kundengeldabsicherer seine Haftung für die von ihm in einem Geschäftsjahr insgesamt nach diesem Gesetz erstattenden Beträge auf 110 Millionen € begrenzen kann. Dies bedeutet, dass der Versicherer tatsächlich sicher sein kann, in einem Geschäftsjahr nicht mehr als 110 Millionen € aufzuwenden und zwar unabhängig davon, wie viele der von ihm versicherten Reiseveranstalter in einem Geschäftsjahr in die Insolvenz gehen.

Blickt man nun zurück auf die EU-Richtlinie, die letztendlich einen vollumfänglichen Schutz postuliert, so liegt die Frage nahe, ob die Begrenzung auf 110 Millionen € tatsächlich mit einem solchen vollumfänglichen Schutz vereinbart werden kann. Angesichts der Umsätze, die in den letzten Jahren im Reisebereich erzielt wurden, kommen hier sicherlich bereits erste Zweifel auf. Noch deutlicher werden die Zweifel aber, wenn man feststellen muss, dass die entsprechende Regelung des §651 r BGB und die darin verankerte Haftungsbegrenzung auf 110 Millionen € letztlich mehr oder weniger unverändert seit 1994 besteht. 

Natürlich liegt die Frage nahe, ob tatsächlich nicht innerhalb der letzten 25 Jahre (!) eine Anpassung erforderlich gewesen wäre. Tatsächlich wurde darüber auch im Zusammenhang mit der Umsetzung der oben genannten EU Richtlinie im Jahre 2017 diskutiert, aber im Wesentlichen recht pauschal darauf verwiesen, dass die Obergrenze „nach wie vor ausreichend bemessen“ sei. Argumentiert wurde letztlich auch mehr weniger damit, dass Versicherungen keinen Versicherungsschutz „unter unbegrenztem Einschluss des Haftungsrisikos“ anbieten könnten. Es fragt sich, ob die Erwägungen hier nicht eher zugunsten des Verbraucherschutzes hätten ausfallen müssen und nicht zugunsten der Versicherung.

Tourismusausschuss des Bundestages sieht keinen Grund für eine Anpassung des Höchstbetrages

Entsprechend hatte auch die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen – ganz unabhängig von der Thomas Cook-Insolvenz bereits im März 2019 einen Antrag eingebracht, in dem gefordert wurde, die jährliche Haftungshöchstgrenze von derzeit 110 Millionen auf mindestens 300 Millionen € zu erhöhen. Überraschenderweise wurde dies mit den Stimmen der Fraktionen von Union, SPD und AfD abgelehnt, wie einer Pressemitteilung des Deutschen Bundestages vom 25.09.2019, bezeichnenderweise nach Insolvenzantrag von Thomas Cook, zu entnehmen war. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass der geltende Haftungsrahmen von 110 Millionen € noch nie ausgeschöpft worden sei. An der Tragfähigkeit dieses Argumentes mag man zweifeln. Der Pressemitteilung des Bundestages vom 24.10.2019 ist sodann jedenfalls zu entnehmen, dass auch nach Ansicht der Bundesregierung zu prüfen sei, ob „qualifizierte Verstöße“ gegen die EU-Richtlinie vorliegen würden, sodass „gegebenenfalls auch der Staat für gravierende Versäumnisse haftbar“ sei.

Nach alldem dürfte aber nachvollziehbar sein, dass der Gedanke an Staatshaftung so fernliegend nicht ist.

Ausführlichere Infos auch in unserem Video.



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