Versagung der Akteneinsicht für den Nebenkläger wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks

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An vielen Strafverfahren nimmt außer dem Gericht, der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger auch noch der (vermeintlich) Geschädigte bzw. sein Anwalt als Nebenklagevertreter teil. Der Anwalt des Nebenklägers beantragt dann meist Akteneinsicht in die gesamte Verfahrensakte, in der sich auch die Beschuldigtenvernehmung und die Vernehmungen des Nebenklägers sowie ggf. auch ein aussagepsychologisches Gutachten befinden. Einige Nebenklagevertreter geben gegenüber der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht eine Versicherung ab, den Akteninhalt nicht an ihre Mandanten weiterzugeben. 


Die Verteidigung streitet sich sodann mit Staatsanwaltschaft und Gericht darum, ob die Akteneinsicht dem Nebenklagevertreter wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 406e StPO) vorzuenthalten ist. Im Falle der Aktenkenntnis könnte der Nebenkläger sich gezielt in den Inhalt der bereits erfolgten Vernehmungen einarbeiten und so seine Aussage dem Akteninhalt anpassen und dafür sorgen, sich selbst nicht in Widerspruch zu eigenen vorherigen Angaben zu setzen. 


Die Verteidigung weist darauf hin, dass der Anwalt des Nebenklägers schon aus seinem Mandatsverhältnis heraus verpflichtet ist, seinen Mandanten über den wesentlichen Akteninhalt zu informieren und ihn gegebenenfalls auf drohende Widersprüche hinzuweisen. Diese Verpflichtung ergibt sich zudem auch ausdrücklich aus § 11 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA). 


Das Hanseatische Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde des Verfassers hin nunmehr einen Beschluss des Landgerichts Hamburg, mit dem der Nebenklage umfangreich Akteneinsicht gewährt werden sollte, überwiegend aufgehoben (Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts, 5. Strafsenat, vom 31.08.2023 zum Az. 5 Ws 69/23) und zu den obigen Rechtsfragen Stellung genommen.


Das Hanseatische Oberlandesgericht erkennt zunächst an, dass dem Interesse der Nebenklage, den Akteninhalt zu kennen und sich insoweit ordnungsgemäß auf die Hauptverhandlung vorzubereiten, ein wesentliches Gewicht zukommt. In einer „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ sei die Beweiswürdigung jedoch besonders schwierig und den Angaben des Nebenklägers als Belastungszeugen komme eine zentrale Bedeutung zu. Die Prüfung des Realitätskriterium der Aussagekonstanz, gerade aufgrund des jungen Alters des Nebenklägers zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat, habe in diesem Zusammenhang eine besondere Relevanz. 


Im vorliegenden Fall betraf der Tatzeitraum das Jahr 2014, die polizeiliche Aussage des 2002 geborenen Nebenklägers stammt allerdings aus dem Jahre 2020, und seine Angaben im Rahmen der Exploration gegenüber einer aussagepsychologischen Sachverständigen stammten aus dem Jahr 2022. 


Das Oberlandesgericht sah in dieser Konstellation eine besondere Gefahr einer erheblichen Beeinflussung des Zeugen für den Fall, dass er seine vorherigen Angaben aus der Akte zur Kenntnis nehmen kann und insoweit seine Aussage „nachjustieren“ könne. 


Dies gelte insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Zeuge gegenüber einer aussagepsychologischen Gutachterin umfassende Angaben in einem Explorationsgespräch gemacht hatte. 


Die Zusicherung der Anwältin des Nebenklägers, Akteninhalte nicht an ihren Mandanten weiterzugeben, bezeichnet das Oberlandesgericht zutreffend als unverbindlich, da die Einhaltung einer solchen Zusage weder erzwungen noch sanktioniert werden könnte (HansOLG Hamburg, Beschluss vom 11.11.2022 zum Az. 6 Ws 74/22; OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.07.2022 zum Az. 1 Ws 81/20). 


Insbesondere in Fällen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation sollte die Verteidigung demnach bereits im Ermittlungsverfahren darauf dringen, dass der Nebenklage nicht in vollem Umfang Akteneinsicht gewährt wird. Die Differenzierung, ob der Nebenkläger konstante Angaben deshalb macht, weil ihm im Rahmen der Akteneinsicht die vorherigen Vernehmungen noch einmal bekannt gemacht wurden oder ob es sich um präsente Erinnerungen handelt, ist in Fällen der gewährten Akteneinsicht erheblich erschwert. Im Sinne der Wahrheitsfindung ist demnach dem Interesse an einer unbeeinflussten und der präsenten Erinnerung entspringenden Zeugenaussage der Vorzug gegenüber einer sachgerechten Vorbereitung des Nebenklägers auf seine Vernehmung zu geben. 


Arne Timmermann, Hamburg

Rechtsanwalt



Foto(s): rechtsanwalt.timmermann@hamburg.de

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