Verwertungskündigung – So können Vermieter Immobilien wirtschaftlich verwerten

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Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht Dr. Ulrich Rösch und Vanessa Förster, Diplomjuristin I Wirtschaftsjuristin

A. Vermieter schöpfen nicht das volle Potential ihres Eigentums aus

Das deutsche Mietrecht will den Mieter als die regelmäßig schwächere Partei schützen und Waffengleichheit zwischen Mieter und Vermieter herstellen. Nicht immer wird damit das Gesetz den Interessen des Vermieters gerecht. Selbst dann nicht, wenn der Vermieter für sich genommen nachvollziehbare Gründe vorweisen kann. So hat der Vermieter etwa nur ein eingeschränktes Recht unbefristete Mietverträge über Wohnraum zu kündigen. Die gestellten Anforderungen sind hoch. Für einen juristischen Laien ist es daher nicht leicht zu erkennen, wann tatsächlich ein Kündigungsrecht besteht. Dies gilt auch für die sog. Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Aus Unsicherheit scheuen Vermieter den Schritt, ihre Immobilie einer anderweitigen Verwertung zuzuführen und schöpfen nicht das volle Potential ihres Eigentums aus.

Letztlich können dadurch für Vermieter erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen.

B. Zunehmende Nachfrage in der anwaltlichen Beratung

Seit Jahren ist der Münchner Wohnungsmarkt mehr als angespannt. Insbesondere der Preisanstieg im Bereich der Neubau-Wohnungen ist immens. Während im Frühjahr 2021 der Quadratmeter noch 9950 EUR kostete, liegt der Durchschnittswert nunmehr bei 11700 EUR (Immobilien in München: 11 700 Euro pro Quadratmeter Neubau-Wohnung - München - SZ.de (sueddeutsche.de)). Umso interessanter wird damit der Neubau von Wohnungen und die anschließende Verwertung. Neben der Bebauung freistehender Grundstücke scheint aufgrund der abnehmenden Anzahl von unbebauten Grundstücken der Abriss bestehender, sanierungsbedürftiger Immobilien sowie der anschließende Bau neuer Immobilien.

In unserer anwaltlichen Beratung tritt seit geraumer Zeit häufiger die Frage auf, wie mit bestehenden Mietverträgen in sanierungsbedürftigen Immobilien umgegangen werden kann. Die bestehenden Immobilien sollen einer neuen Verwertung zugeführt werden; bestehende Mietverträge sind dabei jedoch ein nicht ohne Weiteres zu überwindendes Hindernis.

I. Die Verwertungskündigung als taugliches Mittel zur wirtschaftlichen Verwertung

Die Möglichkeiten des Vermieters, bestehende Mietverhältnisse zu beenden, sind begrenzt. Das Recht zur Kündigung durch den Vermieter besteht nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB nur, sofern er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Neben der Möglichkeit zur Eigenbedarfskündigung oder der Kündigung wegen schuldhafter Pflichtverletzung seitens des Mieters sieht das Gesetz ausdrücklich die sogenannte Verwertungskündigung vor (vgl. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB).

II. Die zentralen Voraussetzungen der Verwertungskündigung 

Das Gesetz stellt – wie auch an die übrigen Kündigungsgründe des § 573 BGB – besondere Anforderungen an die Verwertungskündigung des Vermieters. Nur wenn diese erfüllt sind, ist die Kündigung zulässig. Anderenfalls drohen dem Vermieter schlimmstenfalls Schadensersatzansprüche seitens des Mieters.

Im Wesentlichen ist damit auf Folgendes zu achten:

1. Der Vermieter muss die Absicht zur anderen Verwertung der Immobilie haben

Ein berechtigtes Interesse an der Kündigung besteht nur dann, wenn der Vermieter eine andere wirtschaftliche Verwertung beabsichtigt. Wichtig ist, dass der Vermieter selbst – und kein Dritter – die Absicht zur Verwertung hat.

Bsp.: Ein Vermieter beabsichtigt, ein Wohnhaus abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Der Neubau soll sodann veräußert oder vermietet werden.

2. Die anderweitige Verwendung muss für die Immobilie angemessen sein

Der Vermieter muss darüber hinaus die anderweitige Verwertung ernsthaft beabsichtigen, d. h. die konkrete Art der Verwertung muss tatsächlich und auch rechtlich möglich sein. Hinsichtlich der Frage, ob eine Baugenehmigung im Zeitpunkt der Kündigung bereits vorliegen muss, herrscht Uneinigkeit. Steht jedoch fest, dass eine Baugenehmigung nicht erreicht werden kann, soll die Verwertungskündigung unzulässig sein.

Feststeht, dass ein lediglich künftiges Verwertungsinteresse nicht ausreicht. Vielmehr muss der Vermieter bereits im Zeitpunkt der Kündigung ein gegenwärtiges Interesse an der Verwertung der Immobilie haben. In diesem Zusammenhang forderte das LG Berlin, Urt. v. 18.06.2009 eine hinreichend konkrete Bauplanung, welche Grundlage für eine tatsächliche Bauausführung sein kann.

Bsp.: Es liegt eine Bauplanung vor, aus welcher erkennbar wird, was nach dem beabsichtigten Abriss errichtet werden soll und wann die Baumaßnahmen des Neubaus beginnen sollen. Im Idealfall liegt bereits eine Baugenehmigung seitens der zuständigen Behörde vor.

Daneben muss die wirtschaftliche Verwertung auch angemessen sein, d. h. sie muss von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen werden und mit der Rechts- und Sozialordnung vereinbar sein.

Bsp.: Bestehende Wohnflächen sollen durch einen Neubau der Immobilie erweitert werden.

Negatives Bsp.: Ein Grundstück wird zielgerichtet als vermietet und somit günstiger erworben. Es soll nach der Kündigung sodann unvermietet zu einem höheren Preis verwertet werden (Spekulationsgeschäft)

Hinsichtlich des Vorliegens eines Spekulationsgeschäfts wird letztlich wohl auf den konkreten Einzelfall abzustellen sein. So liegt nach Ansicht des BGH (Urt. v. 28.01.2009) ein solches noch nicht vor, wenn „der Kündigende das Grundstück angesichts der objektiv bestehenden Sanierungsbedürftigkeit des vorhandenen Gebäudes von vornherein zum Zweck eines Neubaus erworben und für das Grundstück einen Preis gezahlt hat, der durch die Erwartung beeinflusst worden ist, dass er mit einem Neubau und anschließendem Verkauf – auch wegen der besseren Ausnutzung der bebaubaren Fläche – voraussichtlich einen erheblichen Gewinn realisieren kann.“

3. Der Vermieter muss durch den bestehenden Mietvertrag an dieser angemessenen Verwendung gehindert sein

Durch die Vermietung der Immobilie muss die Verwertung unmöglich sein – sei es aus rein tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen. Eine bloße Erschwerung der Verwertung reicht hingegen nicht.

4. Dem Vermieter müssen durch die Hinderung erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen

Die Gerichte stellen hohe Anforderungen an die für die Verwertungskündigung erforderlichen Nachteile. Diskutiert werden als solche

  • Beeinträchtigung bestehender Rechtspositionen
  • Entgehen realistischer Gewinnchancen

Dabei ist zu beachten, dass es sich um Nachteile handeln muss, die beim Vermieter selbst eintreten. Wie bereits im Rahmen der erforderlichen Verwertungsabsicht ist somit ein bei einem Dritten eintretender Nachteil nicht ausreichend.

Bsp.: Die Fortführung des Mietvertrags erweist sich für den Vermieter bezogen auf die erzielbaren Einnahmen als unrentabel.

Bsp.: Dem Vermieter entgehen reale Gewinnchancen, wenn die Fortsetzung des Mietverhältnisses eine rentablere Nutzung des Grundstücks hindert.

Hinsichtlich der Erheblichkeit des Nachteils, der dem Vermieter entsteht, sind verfassungsrechtliche Erwägungen mit in die Bewertung einzubeziehen. Art. 14 Abs. 2 GG schützt das Bestandsinteresse des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben (sog. Sozialpflichtigkeit des Eigentums). Auch das Besitzrecht an der gemieteten Wohnung wird durch Art. 14. Abs. 1 S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt. Nicht geschützt sind hingegen die Interessen des Vermieters an einer Gewinnoptimierung oder an der Einräumung einer Nutzungsmöglichkeit, welche den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil verspricht. Im Rahmen der Abwägung der entgegenstehenden Interessen wird auch einbezogen, ob der Vermieter die Immobilie in Kenntnis der Vermietung und damit in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben hat.

Jedoch dürfen die dem Vermieter entstehenden Nachteile nicht einen solchen Umfang annehmen, welcher die Nachteile übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen würden.

Negatives Bsp.:  Grundstücke werden aufgekauft, um die bestehende und intakte Bausubstanz zum Zwecke der besseren Renditeerzielung durch neue Bausubstanz zu ersetzen. 

III. Richtiges Formulieren der Kündigungsgründe - Wesentlicher Inhalt der Kündigungserklärung

Die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Kündigung müssen in der Kündigungserklärung angegeben werden (vgl. § 573 Abs. 3 S. 1 BGB). Widerspricht der Mieter der Kündigung und kommt es letztlich zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, ist der Inhalt der Kündigungserklärung wesentlicher Bestandteil des Verfahrens.

Entsprechend ist auf eine fundierte Argumentation zu achten, die der gerichtlichen Prüfung standhält. Auch sind regelmäßig im Prozess detaillierte Wirtschaftlichkeitsberechnungen hinsichtlich der behaupteten erheblichen Nachteile vorzulegen.

Negatives Bsp.: Aufgrund der bestehenden Vermietungen der Immobilie ist es dem Vermieter nicht möglich, einen geplanten Neubau zu errichten und den erstreben Gewinn durch die Verwertung des Neubaus zu erzielen.

In der Kündigungserklärung ist vielmehr darzulegen, weshalb die Bausubstanz nicht erhaltenswert und welche baulichen Maßnahmen mit welchem Ziel durchgeführt werden sollen.

Positives Bsp.: Der schlechte Zustand des Gebäudes macht eine umfassende und nachhaltige Sanierung/ einen Abriss mit anschließendem Neubau erforderlich. Würden die bestehenden Mietverhältnisse fortgesetzt, wäre allenfalls eine „Minimalsanierung“ möglich. Diese würde jedoch zu keiner Verlängerung der Nutzungsdauer der Immobilie führen.

IV. Mögliche Folgen und Alternativen der Verwertungskündigung

Das Gesetz gibt Mietern das Recht, der Kündigung zu widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu verlangen (vgl. § 574 BGB). Ein Widerspruchsrecht besteht jedoch nur dann, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder anderen Angehörigen des Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.

Zu beachten ist auch, dass im Falle einer unwirksamen Verwertungskündigung Mieter Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter geltend machen können. Umso mehr gilt es, den Inhalt der Kündigungserklärung entsprechend den obigen Ausführungen zu gestalten.

Da die Anforderungen an eine wirksame Verwertungskündigung hoch sind und diese keinen zeitnahen Weg zur Beendigung des Mietvertrags bieten kann, ist alternativ auf eine Mietaufhebungsvereinbarung mit den betroffenen Mietern hinzuweisen. Diese beruht jedoch auf gegenseitigem Einvernehmen, sodass auch hier nicht zwangsläufig von einem kooperativen Verhalten seitens der Mieter ausgegangen werden kann.

C. Fazit

Letztlich wird auch im Rahmen der Verwertungskündigung deutlich, dass der Mieter im Rahmen des deutschen Mietrechts erhöhten Schutz genießt. Doch sollten Vermieter nicht voreilig die Idee einer Verwertungskündigung verwerfen. Vielmehr kann eine Prüfung der Sach- und Rechtslage ergeben, dass im konkreten Einzelfall die Interessen des Vermieters überwiegen. Liegen die Voraussetzungen für eine Verwertungskündigung vor, kann er im Idealfall das volle Potential seines Eigentums ausschöpfen. Wird eine ohnehin sanierungsbedürftige Immobilie abgerissen und durch einen modernen, energieeffizienten Neubau ersetzt, welcher noch dazu über mehr Wohneinheiten verfügt als die bisherige Bebauung, kommt dies letztlich auch dem weiter zunehmenden Bedarf nach Wohnraum zugute.

Gerne unterstützen wir Sie bei der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Verwertungskündigung.

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