Verzicht auf Aufhebung eines Schiedsspruchs in Russland

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Ähnlich wie in der Schweiz, Frankreich, Belgien und Schweden können Schiedsvereinbarungen in Russland den pauschalen vertraglichen Ausschluss eines Antrags auf Aufhebung eines Schiedsspruchs (waiver of annulment/set aside clause) enthalten.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) bestätigte am 24.3.2016 in Tabbane v. Switzerland (ECHR 109 (2016)) die Übereinstimmung einer solchen in Art. 192 Abs. 1 des schweizerischen IPRG enthaltenen Verzichtsklausel mit Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Trotz des in der Schiedsvereinbarung enthaltenen Verzichts auf einen Aufhebungsantrag fochten die Vollstreckungsschuldner – eine tunesische Familie Tabbane – einen ICC-Schiedsspruch an, der sie zur Übertragung von Aktien gemäß eines Optionsvertrages an den Mitgesellschafter der Colgate-Palmolive verurteilt hat. Die Anfechtungsklage wurde vom Schweizer Gericht und anschließend vom EuGMR als unzulässig abgewiesen.

Anderes gilt nach deutschem Recht, gemäß dem die Parteien nicht im Voraus auf das Recht, aus den in § 1059 Abs. 2 ZPO genannten Gründen die Aufhebung eines Schiedsspruchs zu beantragen, verzichten dürfen. Erst nach der Verkündigung des Schiedsspruchs können sie einvernehmlich auf die Geltendmachung einzelner Aufhebungsgründe, die nur dem Schutz der Partei dienen bzw. an deren Einhaltung kein unmittelbares staatliches Interesse besteht, verzichten (Raeschke-Kessler/Berger, Recht und Praxis des Schiedsverfahrens, 2006, Rn. 1015; Zöller/Geimer, ZPO, 28 Aufl. 2010, § 1059 Rn. 80-82).

Dagegen können sich die Parteien ab dem 01.09.2016 nach Art. 34 Abs. 1 des russischen Gesetzes „Über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit“ vom 7.7.1993 Nr. 5338-1 (in der Fassung vom 29.12.2015) jederzeit darüber ausdrücklich einigen, dass ein Schiedsspruch endgültig ist und darauf verzichten, seine Aufhebung zu beantragen.

Eine allgemeine Bezugnahme auf eine Schiedsgerichtsordnung wird keinen wirksamen Verzicht auf einen Aufhebungsantrag begründen. So etwa wird ein Hinweis in Art. 35 Abs. 6 der ab dem 01.01.2021 gültigen ICC-Schiedsgerichtsordnung, dass die Parteien auf ihr Recht zur Geltendmachung jedweder Rechtsbehelfe gegen den Schiedsspruch [the parties shall be deemed to have waived their right to any form of recourse] verzichten, nicht automatisch ein Bestandteil ihrer Schiedsvereinbarung. Die Parteien müssen einen solchen Verzicht explizit vereinbaren.

Anders kann es sein, wenn die Schiedsvereinbarung vor dem 01.09.2016 geschlossen wurde. In einer Sache wollte eine deutsche Schuldnerin bereits im Jahre 2017 einen russischen MKAS-Schiedsspruch - u.a. wegen der aufgedeckten Befangenheit eines Schiedsrichters - anfechten. Die Schiedsklausel beinhaltete nur eine allgemeine Bezugnahme auf die gültige MKAS-Schiedsordnung, in die ein Verzicht auf Anfechtung eines Schiedsspruchs aufgenommen wurde. Die Gerichte, einschließlich des russischen Obersten Gerichts, lehnten überraschenderweise den Aufhebungsantrag mit Verweis darauf ab, dass die Schiedsklausel vor dem 01.09.2016 geschlossen wurde, weswegen angeblich kein Bedarf an einem speziellen Ausschluss von Rechtsmitteln gegen den Schiedsspruch besteht (Beschluss des Wirtschaftsgerichts des Moskauer Gerichtsbezirks vom 23.08.2017 Nr. A40-49278-2017). Das deutsche Vollstreckungsgericht erkannte diesen Schiedsspruch an (OLG Dresden, Beschluss v. 8.9.2017 in Sachen 3 Sch 1/17).  

Gemäß dem gesetzlichen Wortlaut des Art. 34 Abs. 1 des russischen IHS-Gesetzes kann der Verzicht auf Aufhebung von Schiedssprüchen unabhängig von einem Aufhebungsgrund vereinbart werden. Die Rechtsprechung hat jedoch seine Zulässigkeit für die bestimmten ordre public-Verstöße - wie z.B. ein Schiedsspruch gegen einen pleite gegangenen Schuldner - verneint (Pkt. 21 der Übersicht der Anwendungspraxis des Obersten Gerichts der RF vom 26.12.2018).

Der Anwendungsbereich dieser Vereinbarung erstreckt sich über nationale und internationale Schiedsverfahren. Eine ähnliche liberale Regelung findet sich in Art. 1522 Abs. 1 des französischen Code civil. Demgegenüber beschränken belgisches, schweizerisches und schwedisches Recht die Zulässigkeit solcher Vereinbarungen ausschließlich auf internationale Schiedsverfahren, wenn die Parteien keinen lokalen (Wohn-)Sitz, keine Staatsangehörigkeit oder keine Betriebsstätte im Inland haben. Auf diese Weise wird die Attraktivität eines nationalen Schiedsortes für ausländische Benutzer von Schiedsgerichtsbarkeit gefördert.

Nach russischem Recht ist der Verzicht grundsätzlich unwiderruflich; dafür spricht die Notwendigkeit, eine ausdrückliche Verzichtvereinbarung in eine Schiedsklausel aufzunehmen. Die Schiedsvereinbarungen mit dem Wortlaut, dass der Schiedsspruch für die Parteien endgültig (und somit anfechtungsfest) sei, waren in der bisherigen russischen Wirtschaftspraxis weit verbreitet.

Es empfiehlt sich deswegen zu prüfen, ob ein laufender, langfristiger Wirtschaftsvertrag – zB ein Miet-, Bau- oder ein Joint Venture-Vertrag – mit dem russischen Geschäftspartner eine solche Klausel enthält. Eventuell sollte diese vertragliche Bestimmung vereinbarungsgemäß gelöscht werden, bevor ein Schiedsverfahren eingeleitet bzw., falls möglich, beendet wird.

Nach Art. 13 Abs. 20 des Gesetzes Nr. 409-FZ vom 29.12.2015 richtet sich das Gericht bei Überprüfung des Aufhebungsantrags nach der jeweils gültigen Gesetzesfassung. Somit könnte es zu einer großen Überraschung für eine Parteien kommen, wenn russische Gerichte ab dem 1.9.2016 eine Verzichtsvereinbarung in einem vor langer Zeit abgeschlossenem Vertrag, die damals überflüssig erschien, nun als verbindlich ansehen und aufgrund dessen die Anfechtungsklage ablehnen.

Insoweit ist höchste Vorsicht bei Anwendung einer Verzichtvereinbarung in Russland geboten, da dadurch auch ungeachtet grober Prozessfehler, wie z.B. der Nichtzustellung von Ladungen, ein Schiedsurteil unanfechtbar sein wird.

Foto(s): Rustem Karimullin, russ. Kaukasus, Archyz


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