Warum bezahlen Arbeitgeber Abfindungen?

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Es gibt zwei arbeitsrechtliche Märchen mit einem besonders ausgeprägten Lebenswillen – wenn man krank ist, kann einem nicht gekündigt werden und wenn einem gekündigt wird, dann ist eine Abfindung fällig. Beides grottenfalsch, wie wir hier in Baden sagen.

In meinem kleinen hier bereits veröffentlichten Clip habe ich erklärt, was nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu tun ist und mit was man rechnen kann oder muss.

Dort habe ich auch erläutert, dass entgegen landläufiger Meinung nicht zwingend und grundsätzlich eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes geschuldet ist.

Aber warum bei Gott zahlen Arbeitgeber in der überwiegenden Zahl der Fälle trotzdem eine solche Abfindung?

Das hat viel bis alles mit ihrem Prozessrisiko zu tun.

Nehmen wir einen Beispielsfall.

Arbeitgeber A mit 20 Mitarbeitern kündigt seinem seit fünf Jahren bei ihm beschäftigten Mitarbeiter M am 14.4.2023 mit der gesetzlich vorgegebenen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende, also zum 30.6.2023.

M sucht seinen versierten Arbeitsrechtler R auf und der beginnt zu rechnen. Eine Kündigungsschutzklage muss zwingend binnen dreier Wochen ab Zugang der Kündigung erhoben sein, was bedeutet, dass Ms Klage bis 5.5.2023 beim Arbeitsgericht sein muss.

R nutzt die Klagefrist bis kurz vor deren Ablauf aus und reicht die Klage am 3.5.2023 ein. Daraufhin wird das Arbeitsgericht tätig, d.h. der zuständige Vorsitzende V prüft alles und lässt die Klage A zustellen, gleichzeitig bestimmt er einen Gütetermin etwa vier Wochen später, sagen wir auf den 6.6.2023.

An diesem 6.6.2023 treffen sich A und M mit ihren Anwälten bei V vor Gericht und weil der Gütetermin Gütetermin heißt, wird in diesem Termin unter Mithilfe von V versucht, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Die sieht in der Regel so aus, dass M seinen Arbeitsplatz aufgibt und A dafür eine Abfindung bezahlt.

Was sind As Überlegungen, sich auf so etwas einzulassen?

Sein Anwalt hat ihm erklärt, dass bei Scheitern einer Einigung im Gütetermin der nächste Termin erst etwa vier bis fünf Monate später stattfinden wird, der sogenannte Kammertermin.

Regelmäßig werden dort die Zeugen vernommen und das Gericht entscheidet dann, ob die Kündigung begründet ist oder nicht. A wird also bis etwa Oktober oder November 2023 nicht wissen, ob er M zum 30.6.2023 losgeworden ist oder nicht.

Ist die Kündigung auswelchen Gründen auch immer unwirksam, wird eine Lawine für A losgetreten. Zum Einen wird er M wieder beschäftigen müssen, was je nach Kündigungsgründen eine echte Blamage für A etwa in den Augen der übrigen Belegschaftsmitglieder darstellen kann, zum Anderen muss er ihm grundsätzlich die gesamte Vergütung vom 1.7.2023 bis zur Entscheidung des Gerichts nachbezahlen, obwohl M wegen der Kündigung ab dort nicht mehr für ihn gearbeitet hat.

Das bedeutet vier bis fünf Monate Gehaltsnachzahlung ohne erhaltene Arbeitsleistung, und dieser Zeitraum verlängert sich noch einmal um sechs bis neun Monate, wenn A die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht akzeptieren will, Berufung zum Landesarbeitsgericht einlegt und dort nochmals Schiffbruch erleidet.

Das ist übrigens auch der Grund, warum R die Klagefrist fast voll ausgenutzt hat, er will die Entscheidung über die Kündigung möglichst weit in die Zukunft schieben, um das Risiko für A weiter zu erhöhen.

Es ist leicht erkennbar, dass wir hier über möglicherweise stattliche fünfstellige Beträge sprechen, die A als Risiko mit ins Verfahren nimmt.

Um dieses Risiko abzukaufen, wird er sich also je nach Güte seiner Kündigungsgründe auf einen Deal im Gütetermin einlassen. Er muss dann zwar eine frei verhandelte Abfindung bezahlen, weiß aber, dass und wann das Arbeitsverhältnis wie von ihm beabsichtigt tatsächlich endet.

Und weil wir hier über einen Deal sprechen, ist die allgemeine Ansicht, es werde in diesen Fällen ein halbes Gehalt pro Beschäftigungsjahr geschuldet, ebenfalls falsch. Es gibt zwar diesen als Faustformel bezeichneten „Tarif“, der ist aber keineswegs verbindlich, sondern kann je nach Ausgangslage gelegentlich auch deutlich über- oder unterschritten werden.

PS: Dieser Deal muss keineswegs im Gütetermin abgeschlossen werden. Sehr häufig kommt es vor oder nach diesem Termin zu telefonischen Verhandlungen zwischen den Anwälten und die dann getroffene Einigung wird dem Arbeitsgericht mitgeteilt, das dann einen Beschluss mit der getroffenen Vereinbarung erlässt.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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