Zeugenvernehmung: Ermittlungsverfahren vs. Hauptverhandlung

  • 4 Minuten Lesezeit

Gegen meinen Mandanten wurde ein Strafverfahren wegen versuchter Nötigung (§§ 240 Abs 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB), fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB) in Folge eines schweren Verkehrsunfalls auf einer Bundesautobahn mit zwei direkt am Unfall beteiligten Fahrzeugen geführt.

Der zugrundeliegende Sachverhalt sah meinen Mandanten auf dem linken von 3 Fahrstreifen mit hoher Geschwindigkeit hinter dem unfallbeteiligten Fahrzeug herfahrend. Laut Aussage eines unbeteiligten Zeugen (Belastungszeuge), welcher den mittleren Fahrstreifen befuhr, habe das unfallbeteiligte, vor dem Fahrzeug meines Mandanten befindliche Fahrzeug mehrmals zum Wechsel von dem linken Fahrstreifen auf den mittleren Fahrstreifen angesetzt, diesen Fahrstreifenwechsel jedoch - und darauf kam es an - schließlich maximal zu 50% vollzogen, als es zur Kollision mit dem Fahrzeug meines Mandanten kam, während dieser versucht haben soll, auf dem linken Fahrstreifen zu überholen.

Gegen meinen Mandanten wurde ein Strafbefehl erlassen; eine hohe Geldstrafe wurde verhängt, die Fahrerlaubnis wurde entzogen, ein Fahrverbot wurde verhängt. Bereits im Ermittlungsverfahren wurde die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet.

Durch mich wurde Einspruch eingelegt und Akteneinsicht beantragt.

Die Ermittlungsakte wurde ausgewertet.

Der Mandant hatte unmittelbar nach der Unfallaufnahme gegenüber der Polizei angegeben, - und das auch mir gegenüber bekräftigt - das vor ihm gefahrene unfallbeteiligte Fahrzeug hätte den Fahrstreifenwechsel bereits vollständig vollzogen, als er zum Überholvorgang angesetzt hatte. Zur Kollision sei es gekommen, weil der Unfallgegener anscheinend meinen Mandanten übersehen hatte, als dieser (der Unfallgegner) auf den linken Fahrstreifen zurückwechseln wollte. Die Einlassung meines Mandanten stand der - scheinbar - klaren Aussage des Belastungszeugen gegenüber.

Ich klärte meinen Mandanten über das Risiko einer Verurteilung nach durchgeführter Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung aufgrund der Aussage des Belastungszeugen auf. Der Einspruch wurde aufrechterhalten.

In der Hauptverhandlung riet ich meinem Mandanten, sich zur Sache einzulassen. Dieser wiederholte seine Angaben aus der polizeilichen Vernehmung.

Im Rahmen der auf die Einlassung meines Mandanten folgenden Beweisaufnahme stellte sich bei der Vernehmung des Belastungszeugen heraus, dass dieser die eigentliche Kollision der beiden Fahrzeuge nicht wahrgenommen hatte. Das von ihm geschilderte Geschehen, das unfallbeteiligte Fahrzeug habe mehrmals zum Fahrstreifenwechsel angesetzt, diesen jedoch nicht vollständig vollzogen, wiederholte der Zeuge zwar, die Frage ob er auch den Moment der Kollision wahrgenommen hatte verneinte er jedoch. Der Zeuge erklärte, er habe die beiden Fahrzeuge zwischenzeitlich aus den Augen verloren und sei erst wieder nach der Kollision auf das Geschehen aufmerksam geworden. 

Die beiden Insassen des unfallbeteiligten Fahrzeugs hatten jeweils erklärt, deren Fahrzeug sei zu jeder Zeit vollständig auf dem linken Fahrstreifen verblieben (Beifahrer) bzw. maximal mit den rechten Reifen auf den mittleren Fahrstreifen übergewechselt (Fahrer); beide Alternativen konnten aufgrund der örtlichen Gegegebenheiten ausgeschlossen werden, sodass sich das Gericht eine Überzeugung, mein Mandant habe zum Überholvorgang angesetzt, als das vor ihm befindliche Fahrzeug den Fahrstreifenwechsel noch nicht vollzogen hatte nicht bilden konnte.

Dies hatte zur Folge, dass gegen meinen Mandanten ein Tatnachweis wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nicht geführt werden konnte. Der Führerschein musste an meinen Mandanten herausgegeben werden. Eine Verurteilung erfolgte nur wegen Nötigung. 


Bemerkenswert

Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte der Vertreter der Staatsanwaltschaft das Wort ergriffen und auf die sogenannte Geständnisfiktion im Strafbefehlsverfahren hingewiesen. 

Soll heißen: weil es sich bei dem Strafbefehlsverfahren sozusagen um ein schriftliches Urteilsverfahren handelt und eine Hauptverhandlung nur bei Einlegung eines Einspruchs vorgesehen ist, macht die Staatsanwaltschaft bei Beantragung des Strafbefehls grundsätzlich einen Abschlag bei der Strafhöhe, setzt diese also herab, ausgehend davon, dass der Angeklagte Einspruch gegen den Strafbefehl nicht einlegt und dadurch sozusagen den Vorwurf gesteht. 

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft führte zu Beginn der Hauptverhandlung also aus, diese Geständnisfiktion wäre wegen des Einspruchs und der nun durchzuführenden Beweisaufnahme weggefallen, weswegen mein Mandant bei einer Verurteilung mit einer höheren Strafe - als in dem Strafbefehl beantragt - rechnen müsste. Er erklärte letztlich, zu diesem Zeitpunkt einer Rücknahme des Einspruchs noch zugestimmt zu haben, dies aber nach erfolgter Beweisaufnahme nicht mehr getan zu haben.


Fazit

Die Aussage eines Zeugen bei der Polizei wird durch den vernehmenden Polizeibeamten schriftlich protokolliert. Die Protokollierung erfolgt auf Grundlage der Befragung durch den protokollierenden Polizeibeamten. 

Es ist denkbar, dass die Befragung durch den Polizeibeamten nicht detailliert genug erfolgt, sodass dieser die Schilderung eines tatsächlich getrennten Geschehens fälschlicherweise als zusammenhängendes Geschehen wahrnimmt und entsprechend falsch protokolliert. Denkbar ist auch, dass dem Polizeibeamten bei der Protokollierung ein Fehler unterläuft und das, durch den vernommenen Zeugen geschilderte Geschehen von dem Polizeibeamten zwar korrekt wahrgenommen wird, im Rahmen der Protokollierung jedoch falsch festgehalten wird. Denkbar ist schließlich, dass der Zeuge selbst das Geschehen noch unter dem Eindruck des Erlebten (Schock) als zusammenhängendes Geschehen schildert und dabei ein tatsächliches Zwischengeschehen unbewusst ausblendet.


Für den Verteidiger bedeutet dies, dass selbst bei einer, anahnd der Ermittlungsakte eindeutig und plausibel erscheinenden Aussage eines unbeteiligten Zeugen grundsätzlich höchste Vorsicht geboten ist.


Gegen das Urteil, nämlich die Verurteilung wegen Nötigung wurde durch mich übrigens Rechtsmittel eingelegt.


TELEFON: 07851 64 307 63

E-MAIL: HUSSAIN@MILES-LAW.DE



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Faris Hussain

Beiträge zum Thema