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Anfechtung der Erbschaftsannahme bei nachträglicher Kenntnis der Nachlassüberschuldung

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Die Anfechtung der Annahme der Erbschaft ist ein komplexes und aber auch folgenreiches Thema. Die Anfechtung der Erbannahme ist insbesondere bei der Überschuldung eines Nachlasses ein wichtiges Gestaltungsmittel – neben den Mittel der Nachlasspflegschaft und Nachlassinsolvenz sowie Dürftigkeitseinrede.

1. Anfechtung wegen Überschuldung bei Grundstückskäufen

Dabei ist immer wieder fraglich, welche Gründe eine Anfechtung ermöglichen und ab welchem Zeitpunkt die Anfechtungsfrist beginnt. Dies gestaltet sich insbesondere bei der rechtlichen Einordnung und Bewertung von testamentarischen Verfügungen als schwierig. Denn oft folgt erst dieser rechtlichen Einordnung auch die finanzielle Bewertung eines Nachlasses. Besondere Schwierigkeiten bereiten dabei komplexe Immobilienfinanzierungen. Hierbei wird oft ein Bankkredit und entsprechende Sicherungen auf das Grundstück aufgenommen. Diese wiederum belasten den Nachlass und aber auch das erworbene, mit der Sicherheit belastete Grundstück.

Sofern dasselbe Grundstück aber gleichzeitig Gegenstand eines Vermächtnisses ist, ist fraglich, wer die Finanzierung ablösen soll und wer für die Belastung des vom Vermächtnis betroffenen Grundstückes haftbar sein soll.

2. Zweifelsregelung des § 2166 BGB

Im Zweifel gilt hierfür die Regelung des § 2166 BGB, wenn nicht das Testament/erbvertrag etwas anderes vorsehen bzw. eine andere Auslegung ermöglichen. Die Anwendung dieses Paragrafen ist aber umstritten. Bedeutet für die Praxis, das je nach Anwendung des § 2166 ein Nachlass überschuldet sein kann oder aber auch nicht. Insbesondere kritisch wird es, wenn das Vermächtnis derart gestaltet wurde, dass es ein sogenanntes Vorausvermächtnis ist oder ein Ober- und Untervermächtnis vorliegt – also der erste das Grundstück nutzen darf, es aber später an einen anderen weitergeben muss. Dann ist völlig unklar, wer nun den Bankkredit ablösen soll, eigentlich der Erbe, und wer die Grundschuld auf dem Grundstück übernehmen soll, eigentlich der Profiteur des Vermächtnisses. Ist das nicht geklärt, weiß eigentlich niemand der Beteiligten, wer was bezahlen soll und aus welchem Vermögen – meistens wird der Erbe bei zu viel Schulden sagen: „der Nachlass ist überschuldet, ich will nicht mehr Erbe sein“. Weil aber die Situation nicht einmal rechtlich einwandfrei beurteilt werden kann, könnte aus dieser Unsicherheit ein Anfechtungsrecht für den die Erbschaft annehmenden Erben erwachsen:

3. Entscheidung des OLG Bremen v. 19. November 2020

Das Oberlandesgericht Bremen hat nun in seiner Entscheidung vom 19. November 2020, Aktenzeichen 5 U 22/20, entschieden, dass bei einer rechtlich strittigen Einordnung einer Grundstücksbelastung im Rahmen des § 2166 es dem Erben gestattet werden kann, erst infolge eines Rechtsstreites in dem die Anwendung des § 2166 BGB von gerichtswegen geklärt wurde, die daraus resultierende Überschuldung als Anfechtungsgrund heranzuziehen. Denn - so das Oberlandesgericht Bremen - erst dann kann der Erbe beurteilen, ob aufgrund der vom Gericht vorgenommenen rechtlichen Würdigung eine Überschuldung des Nachlasses vorliegt und er deshalb die Annahme der Erbschaft nachträglich anfechten kann. Als Anfechtungszeitpunkt wird dabei der früheste Zeitpunkt angesetzt, nämlich dann, wenn das Gericht seine Rechtseinschätzung erstmalig bekannt gegeben hat. So konnte sich hier der Miterbe der Nachlasshaftung entziehen, indem er die Erbschaftsannahme nachträglich angefochten hat.

4. Praxistipp

Für die Praxis bedeutet dies, dass der Erbe nicht verpflichtet ist, eine eventuale Anfechtung auszusprechen, wenn er sich nicht über den Bestand und den Nachlasswert und über eine mögliche Überschuldung sicher sein kann, weil es auf die rechtliche Einordnung einer finanziellen Belastung ankommt. Ob diese Ansicht auch vor dem Bundesgerichtshof Bestandskraft haben wird, ist abzuwarten. Es kommt wie immer auf den Einzelfall an. Denn ein Anfechtungsrecht könnte nicht in Betracht kommen, wenn der Erbe auch aus anderen Gründen von der Überschuldung des Nachlasses ausgehen musste und die Anfechtungsfrist aber verstreichen ließ.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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