Ab Oktober 2020 schuldenfrei in nur 3 Jahren? Strategische Tipps zur bevorstehenden Insolvenzreform

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Aktualisiert!! Stand: 14.Dezember 2020:

Bundestag entscheidet voraussichtlich am 17.12.2020 über die Verkürzung der Restschuldbefreiung von sechs auf drei Jahre!

Der Rechtssauschuss tagt diesbezüglich allerdings nochmal am 15.12.2020, so dass die endgültige Beschlussempfehlung noch nicht vorliegt. 

Nach aktuellen Informationen soll das Gesetz rückwirkend zum 1. Oktober in Kraft treten.    

Vorgeschichte

Am 17.07.2019 hat die EU die Richtlinie 2019/1023 erlassen, durch welche eine europaweite Verkürzung des Insolvenzverfahrens auf drei Jahre normiert wurde.

Da die Richtlinie spätestens innerhalb von drei Jahren in deutsches Recht umgesetzt werden muss, musste die Änderung spätestes bis zum 17.07.2022 in Deutschland eingeführt werden. Bislang ging man davon aus, dass die Umsetzung nicht vor diesem Termin erfolgen wird.

Aufgrund der Auswirkungen der Corona Pandemie wird das neue Gesetz nun aber scheinbar viel früher als erwartet in Kraft treten.

Bisher mussten Schuldner in der Regel sechs Jahre lang ihr pfändbares Einkommen an den Insolvenzverwalter abtreten. Nur wenn Schuldner in der Lage waren 35 % der Schulden und die gesamten Verfahrenskosten zu zahlen, war auch bisher schon ein Ausstieg bereits nach drei Jahren möglich. Kaum ein Schuldner war aber in der Lage, diese Beträge aufzubringen, so dass die Verkürzung ins Leere lief.

Diese Verkürzung soll durch die Reform nun für alle Schuldner, unabhängig davon ob Zahlungen geleistet werden, möglich werden. 

Dazu hat die Bundesregierung am 01. Juli 2020 einen Entwurf vorgelegt, der bereits am 01. Oktober 2020 in Kraft treten soll. 

Für alle zwischen dem 17. Dezember 2019 und dem 1. Oktober 2020 bereits eingeleiteten Verfahren soll eine Übergangsfrist gelten. 

Wie berechnet sich die Übergangszeit?

Gerechnet vom Tag des Inkrafttretens der EU-Richtlinie am 16.07.2019 soll sich die Dauer des Verfahrens kontinuierlich bis zum 16.07.2022 verkürzen.

Dies bedeutet konkret, dass sich bereits jetzt die Laufzeit des Verfahrens kontinuierlich verkürzt. Es ist also nicht so, dass ein Insolvenzverfahren bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts sechs Jahre dauert und ab Inkrafttreten abrupt nur noch drei Jahre.

Stellen Sie beispielsweise einen Antrag zwischen dem 17. Juli und 16. August 2020, soll das Verfahren nach dem Gesetzesentwurf noch 60 Monate dauern. 

Näheres lässt sich der folgenden Tabelle entnehmen: 


Datum der Stellung des Insolvenzantrages:
Abtretungsfrist:
zwischen 17. Dezember 2019 und 16. Januar 2020
fünf Jahre und sieben Monate
zwischen 17. Januar 2020 und 16. Februar 2020
fünf Jahre und sechs Monate
zwischen 17. Februar 2020 und 16. März 2020
fünf Jahre und fünf Monate
zwischen 17. März 2020 und 16. April 2020
fünf Jahre und vier Monate
zwischen 17. April 2020 und 16. Mai 2020
fünf Jahre und drei Monate
zwischen 17. Mai 2020 und 16. Juni 2020
fünf Jahre und zwei Monat
zwischen 17. Juni 2020 und 16. Juli 2020
fünf Jahre und ein Monat
zwischen 17. Juli 2020 und 16. August 2020
fünf Jahre
zwischen 17. August 2020 und 16. September 2020
 vier Jahre und elf Monate
zwischen 17. September und 30.September 2020
Vier Jahre und 10 Monate


Wie sollten sich Schuldner verhalten, die gerade ein Insolvenzverfahren planen? Macht Abwarten trotzdem Sinn?

Mit Blick auf die bevorstehende neue Regelung sollten Schuldner nun in jedem Fall  bis Oktober abwarten. Bei Antragstellung am 30.09.2020 beträgt die Laufzeit des Verfahrens, wie oben ersichtlich, Vier Jahre und 10 Monate. Einen Tag später am 01. Oktober dann nur noch drei Jahre! 

Aber Achtung!

Für die Einleitung des Insolvenzverfahrens gelten Fristen.

Ist ein außergerichtlicher Vergleichsvorschlag erst einmal vorgelegt, beginnt die Zeit für den Insolvenzantrag zu ticken. Sobald der erste Gläubiger den Vorschlag abgelehnt hat, muss der Schuldner innerhalb von sechs Monaten das mehr als 40-seitige Insolvenzantragsformular beim zuständigen Insolvenzgericht eingereicht haben (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO)). Andernfalls muss das Schuldenbereinigungsverfahren erneut durchgeführt werden.

Schuldner, bei denen diese Frist bereits abzulaufen droht, müssen sorgfältig überlegen, welche Vor- und Nachteile ein Abwarten mit sich bringt. Welches Vorgehen sinnvoll ist, hängt von den individuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ab.  

Was sollten Sie tun, wenn Ihr Insolvenzverfahren bereits läuft?

Eine Verkürzung bereits laufender Insolvenzverfahren ist eigentlich nur für die ab dem 17.12.2019 eingeleiteten Verfahren vorgesehen. Mit Blick auf die bevorstehende Änderung, sollte jedoch jeder bereits in Insolvenz befindliche Schuldner dringend prüfen lassen, ob ein vorzeitige Beendigung des Verfahrens möglich ist. Auch in bereits länger laufenden Verfahren bestehen einige wenig genutzte Möglichkeiten vor dem regulären Ende des Verfahrens auszusteigen. Die Darstellung würde allerdings den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

Fazit

Die Chancen der Reform sind groß. Grundsätzlich sollten Schuldner das Inkrafttreten der Regelung abwarten. Was im Einzelfall die beste Strategie ist, hängt von einer Vielzahl von Kriterien und Ihrer individuellen Lebenssituation ab und kann nicht pauschal beantwortet werden. Hier bedarf es einer auf den Einzelfall abgestimmten individuellen Beratung durch einen auf diesem Gebiet erfahrenen Rechtsanwalt.

Aufgrund zahlreicher Anfragen weise ich darauf hin, dass Verbraucher erst einen außergerichtlichen Einigungsversuch unternehmen müssen bevor sie den Insolvenzantrag stellen können. Das Scheitern dieses Einigungsversuches muss von einem Anwalt oder einer Schuldnerberatungsstelle bescheinigt werden.



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