Das notarielle Nachlassverzeichnis – Die Vor- und Nachteile für den Pflichtteilsberechtigten

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Ein Pflichtteilsanspruch besteht, wenn der Erblasser seine nächsten Angehörigen (Kinder, Ehegatte, bei kinderlosen Erblassern auch Eltern) in seiner letztwilligen Verfügung nicht bedacht hat oder nicht ausreichend berücksichtigt. Der Pflichtteil ist ein reiner Geldanspruch in Höhe der Hälfte der gesetzlichen Erbquote des Pflichtteilsberechtigten.


I. Auskunftsanspruch gegen den Erben

Da es sich um einen quotalen Anspruch handelt, bei dessen Berechnung also insbesondere der tatsächlich vorhandene Nachlass und etwaige ergänzungspflichtige Schenkungen zu berücksichtigen sind, gewährt das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigten einen Auskunftsanspruch gegen den Erben.

1. Inhalt der Auskunft

Der Pflichtteilsberechtigte kann gem. § 2314 BGB von dem Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses verlangen. Die Auskunft wird in Form eines sogenannten Nachlassverzeichnisses erteilt, aus dem sich folgende Umstände ergeben müssen:


  • Aktivvermögen (also z.B. Immobilie, Finanzvermögen, Hausrat, Gold, Briefmarkensammlungen, Kunst etc.)
  • Verbindlichkeiten (also z.B. Bestattungskosten, noch offene Rechnungen des Erblassers, Kosten für ein notarielles Nachlassverzeichnis oder vom Pflichtteilsberechtigten verlangte Wertgutachten etc.)
  • Ergänzungspflichtige Schenkungen (insbesondere innerhalb der letzten 10 Jahre, an den Ehegatten während der gesamten Ehezeit, etc.).


Stichtag ist der Todestag des Erblassers. Dies ist insbesondere bei Finanzvermögen oder z.B. Aktien wichtig. Auch wertlose Gegenstände sind anzugeben.

2. Umfang der Auskunft

Belege oder Kontoauszüge schuldet der Erbe grundsätzlich nicht. Gehört ein Unternehmen zum Nachlass, so kann der Pflichtteilsberechtigte ausnahmsweise die Vorlage von Bilanzen, Rechnungen etc. verlangen, die eine Ermittlung des Geschäftswertes ermöglichen.


 II. Wahl des Pflichtteilsberechtigten

Der Pflichtteilsberechtigte entscheidet, ob ihm ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis genügt oder ob er ein notarielles Nachlassverzeichnis erhalten möchte.


III. Notarielles Nachlassverzeichnis


1. Vorteile

Das notarielle Nachlassverzeichnis wird durch einen Notar aufgenommen. Der Notar ist zur Ermittlung des Nachlasses verpflichtet (BGH, Beschl. v. 13.09.18, I ZB 109/17; OLG Rostock, ZEV 2009, 396; OLG Saarbrücken, ZEV 2010, 416), dabei in der Praxis aber stets auf die Mitwirkung des Erben angewiesen (z.B. Einsicht in Kontoauszüge, Anfrage bei Grundbuchämtern, Besichtigung des Hausrates etc.). Der Notar weiß in aller Regel, welche Angaben ein Nachlassverzeichnis enthalten muss und fragt gezielt die Informationen bei dem Erben ab.

Die Ermittlungspflichten des Notars führen in der Praxis ab und zu dazu, dass dem Pflichtteilsberechtigten bisher unbekannte Vermögensgegenstände noch aufgeführt werden.

Daneben kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, bei der Aufnahme des Verzeichnisses hinzugezogen zu werden – dies gilt auch bei einem privatschriftlichen Nachlassverzeichnis. Er kann einen Beistand mitbringen oder einen Vertreter entsenden (z.B. Rechtsanwalt). Dies gibt dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit nach einzelnen Vermögensgegenständen zu fragen, aber auch dem Notar bei der Sichtung von Unterlagen „über die Schulter zu schauen“. Häufig fügen Notare Belege (z.B. Grundbuchauszüge, Verträge, Rechnungen) dem Nachlassverzeichnis bei.

Tipp: Wenn Sie von dem Erben die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses verlangen, bestehen Sie auf Ihre Hinzuziehung. Nutzen Sie die Möglichkeit bei den Terminen anwesend zu sein, stellen Sie aktiv Nachfragen. Wenn Sie konkrete Ermittlungsanregungen an den Notar haben (z.B. wenn Ihnen ein früheres Konto des Erblassers bei einer konkreten Bank bekannt war oder Sie von bestimmten Schenkungen gehört haben), teilen Sie diese dem Notar schriftlich rechtzeitig vor einem Termin mit.


2. Nachteile

Für das notarielle Nachlassverzeichnis stellt der Notar Kosten in Rechnung. Diese fallen gem. § 2314 II BGB dem Nachlass zu Last. D.h. der Erbe muss diese begleichen, die Kosten werden aber bei der Pflichtteilsberechnung – wie z.B. Bestattungskosten – mit berücksichtigt.

Beispiel: Bei einem Gegenstandswert von ca. 50.000 € fallen Notarkosten in Höhe von ca. 200 € zzgl. Auslagen an, bei einem Gegenstandswert von 500.000 € ca. 2.230 € zzgl. Auslagen.

Auch führt das Verlangen nach einem notariellen Nachlassverzeichnis zu einer erheblichen Verzögerung. Die Rechtsprechung geht zwar davon aus, dass ein Zeitraum von 3 – 4 Monaten für die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses ausreichend ist. Dies geht aber an der Praxis völlig vorbei. In der Praxis dauert es häufig 6 – 12 Monate, bis der Notar das Verzeichnis erstellt hat.

Tipp: Verlangen Sie zunächst ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis. Erteilt der Erbe nachvollziehbar ordnungsgemäß die Auskünfte, so kann auf dieser Basis in vielen Fällen eine Einigung erzielt werden. Ergeben sich daraus aber Unstimmigkeiten oder zweifeln Sie an den Angaben des Erben, so können Sie auch noch nach der Erteilung eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses ein notarielles Nachlassverzeichnis verlangen.


IV. Nachlassverzeichnis überprüfen

Häufig hat der Pflichtteilsberechtigte kaum eine Möglichkeit, die Angaben des Erben in dem Nachlassverzeichnis zu überprüfen – insbesondere bei einem privatschriftlichen Nachlassverzeichnis. Sammeln Sie also vorab – soweit möglich – Informationen über den Nachlass, z.B.:


  • Anfragen bei Grundbuchämtern über (ehemalige) Immobilien des Erblassers und etwaige Schenkungen

Achtung: Mandanten schildern mir häufig, dass Grundbuchämter ihnen keine oder nur unzureichende Auskünfte erteilen. Ein Anwalt kann diese Auskünfte für Sie in der Regel ohne große Schwierigkeiten besorgen.  


  • Bei Firmenvermögen: Einsicht in das Handelsregister


  • Einsicht in die Nachlassakte beim Nachlassgericht

Für die Berechnung der Gerichtskosten erhält der Erbe einen Wertfragebogen. Diese kann Ihnen Auskunft darüber geben, welche Nachlassgegenstände der Erbe zumindest gegenüber dem Nachlassgericht angegeben hat. Der Wertfragebogen ist nicht zwingend vollständig, kann aber wertvolle Anhaltspunkte geben.


  • Ggf. Betreuungsakte

Stand der Erblasser unter Betreuung, so ist der Betreuer zur Rechnungslegung verpflichtet. Die Betreuungsakte enthält daher in aller Regel nicht nur eine Vermögensaufstellung, sondern auch diese Rechnungslegung. Auch hier dürfte ein Anwalt aber höhere Chancen haben, diese Auskünfte – wenn überhaupt – zu erhalten, als eine Privatperson.


  • Ggf. Nachfragen bei Bekannten oder Verwandten.


V. Meine Empfehlung


  1. Verlangen Sie zeitnah ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis von dem Erben – denn ab Geltendmachung des Pflichtteils ist dieser nach den gesetzlichen Regelungen zu verzinsen.
  2. Prüfen Sie das Nachlassverzeichnis anhand eigener Recherchen auf Vollständigkeit und Richtigkeit.
  3. Sind Sie unsicher, ob der Erbe die Auskünfte tatsächlich vollständig und korrekt erteilt hat und ist eine einvernehmliche Einigung auf dieser Basis nicht möglich, so verlangen Sie ein notarielles Nachlassverzeichnis.
  4. Geben Sie dem Notar Ermittlungsanregungen und nehmen Sie an Terminen teil. Fragen Sie bei Unstimmigkeiten aktiv nach.
  5. Holen Sie sich frühzeitig die Hilfe eines Fachanwalts für Erbrecht. 


Gerne unterstütze ich Sie bei der Durchsetzung Ihres Pflichtteilsanspruches. Wir können für Sie nicht nur ein Nachlassverzeichnis prüfen und Ihnen bei weiteren Ermittlungsmaßnahmen helfen, sondern Sie auch – wenn keine einvernehmliche Lösung gelingt – bei der gerichtlichen Durchsetzung Ihres Pflichtteils unterstützen.

Bei Bedarf vereinbaren Sie gerne einen Beratungstermin mit mir unter 0351 / 65 88 77 0, über unser Kontaktformular oder info@ra-lauck.de.


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