Elektrorollstuhl für Blinde kostenübernahmefähig - Teilhabe

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Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 04.10.21, Az. L 16 KR 423/20,   erfreulicherweise entschieden, dass die Versorgung eines Multiple-Sklerose Patienten mit einem Elektrorollstuhl nicht wegen Blindheit verweigert werden darf.

Der Fall

Der 57-jährige Kläger leidet unter den Folgen der Multiplen Sklerose. Dadurch baute er in seiner Gehfähigkeit immer weiter ab. Zuletzt war er deshalb mit einem einfachen Greifreifen-Rollstuhl versorgt. Im Laufe der Jahre verschlimmerte sich die Krankheit derart, dass auch der Arm kraftlos wurde. Den einfachen Rollstuhl konnte er daher nur noch mit kleinen Trippelschritten bewegen.

Der Kläger beantragte daher bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl. Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab. Zu Begründung führte sie aus, dass der Mann blind sei und daher auch nicht verkehrstauglich sei. Die Blindheit führte nach Auffassung der Krankenkasse auch bei zulassungsfreien Kraftfahrzeugen, wie hier einem Elektrorollstuhl, generell zu einer fehlenden Eignung. Eine Eigen- und Fremdgefährdung lasse sich bei blinden Menschen nicht ausschließen. Und dafür könne die Kasse auch nicht haften.

Der Kläger führte aus, dass er sich mit dem Langstock schon früher gut habe orientieren können. Das habe er nun auch im Elektrorollstuhl trainiert. Den vorhandenen Handrollstuhl könne er aufgrund der MS-Erkrankung nicht mehr bedienen. Ohne fremde Hilfe könne er das Haus sonst nicht mehr verlassen, daher sei er auf den Elektrorollstuhl angewiesen.

Sehbeeinträchtigung kein Grund um Verkehrstauglichkeit auszuschließen

Das Landessozialgericht gab dem Kläger Recht und hat die Krankenkasse zur Gewährung des Elektrorollstuhls verpflichtet. Zur Begründung führte der Senat aus, dass es inakzeptabel sei, den Mann auf die behelfsmäßige Fortbewegung mit dem bisherigen Greifreifen-Rollstuhl zu verweisen. Eine vorhandene Sehbeeinträchtigung sei kein genereller Grund, eine Verkehrstauglichkeit bei Elektrorollstühlen abzulehnen. In dem vorliegenden Fall seien auch keine individuellen Gründe bei dem Mann gegeben, aus denen er mit einem Elektrorollstuhl nicht umgehen könne. Dies habe auch das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten festgestellt. Etwaige Restgefährdungen seien dem Bereich der Eigenverantwortung zuzuordnen und in Kauf zu nehmen, so die LSG-Richter.

Fazit

Die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ist zu begrüßen. Dabei hat das Gericht dem neuen, dynamischen Behindertenbegriff eine zentrale Bedeutung beigemessen. Der Senat führte dabei aus, dass es die Aufgabe des Hilfsmittelrechts sei, dem Behinderten ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und nicht, ihn von sämtlichen Lebensgefahren fernzuhalten und ihn damit einer weitgehenden Unmündigkeit anheimfallen zu lassen.

Damit hält sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen an die Vorgaben des Bundessozialgerichts. Das BSG führte aus, dass zum 23.12.16 mit dem Bundesteilhabegesetz der Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX neugefasst wurde. Im Vordergrund des Behinderungsbegriffes stehen nun das Ziel der Teilhabe, die Stärkung individueller Möglichkeiten und der individuelle Bedarf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht fernliegend, die speziellen Gegebenheiten des Einzelnen auch im Blick zu haben und diese entsprechend zu berücksichtigen.

Die Autorin ist als Fachanwältin für Sozialrecht in den medizinrechtlichen Bereichen der Hilfsmittelversorgungen bundesweit tätig.


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