Häftling begeht bei Freigang einen Mord – Strafbarkeit der JVA-Beamten wegen fahrlässiger Tötung?

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Die fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, § 222 StGB. Fahrlässigkeit ist dabei gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Es ist mithin notwendig, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt und dass diese für den Täter auch voraussehbar  war. Bei der Beurteilung, ob eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, wird auf objektive Maßstäbe abgestellt. Hierbei wird stets gefragt, wie ein besonnener und gewissenhafter Mensch sich in der konkreten Situation verhalten hätte.

Fahrlässige Tötung auch durch gewährten Freigang?

In seiner aktuellen Entscheidung vom 26. November 2019 (2 StR 557/18) befasste sich der Bundesgerichtshof nicht nur mit der Strafbarkeit wegen Mordes in den sog. „Raser- Fällen“, sondern auch mit der Strafbarkeit zweier Justizvollzugsbeamter wegen fahrlässiger Tötung.

Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, der sich 2015 in Rheinland-Pfalz zugetragen hatte. Die zuständigen Justizvollzugsbeamten hatten einem Strafgefangenen den offenen Vollzug sowie weitere Lockerungen in Form von Freigängen gewährt. Da der Strafgefangene vielfach wegen Verkehrsdelikten vorbestraft war, wurde ihm der Freigang nur unter der Auflage gewährt, kein Fahrzeug zu führen. Während einem dieser Freigänge beging der Häftling jedoch mehrere Straftaten und führte dennoch ohne Fahrerlaubnis ein Fahrzeug. Als er in eine Polizeikontrolle geriet, flüchtete er. Bei der Verfolgungsjagd auf der vierspurigen Bundesstraße, versuchte die Polizei dann, den Strafgefangenen zu rammen. Dieser wich jedoch auf die Gegenfahrbahn aus und setzte seine Flucht mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ fort, bis er mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenstieß und die 21 – jährige Fahrerin tötete.

Der überlebende Strafgefangene wurde wegen dieser Tat u. a. wegen Mordes unter Verwirklichung des Mordmerkmals der Gemeingefährlichkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Von einem Vorliegen des in den sog. „Raserfällen“ umstrittenen Vorsatzes in Form des dolus eventualis konnte hier insbesondere deshalb ausgegangen werden, da der Strafgefangene um jeden Preis vor der Polizei fliehen wollte und eine Gefährdung anderer und auch sich selbst zu diesem Zwecke bewusst in Kauf nahm.

Die Justizvollzugsbeamten verurteilte das Landgericht Limburg wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB zu jeweils neun Monaten auf Bewährung. Nach Ansicht des Landgerichts haben die Justizvollzugsbeamten eine Sorgfaltspflicht verletzt, indem sie dem Strafgefangenen den Freigang gewährten. Dieser soll objektiv vorhersehbar zur Tötung der jungen Frau geführt haben. Das Landgericht stützte sich dabei vor allem auf die Tatsache, dass der Strafgefangene bereits wegen einer Vielzahl von Verkehrsdelikten verurteilt worden war. Seine Neigung, unter riskanten Verkehrsverhalten vor der Polizei zu fliehen, habe sich ebenfalls bereits in der Vergangenheit gezeigt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof folgte der Argumentation des Landgerichts jedoch nicht und verneinte im Ergebnis eine Strafbarkeit der Justizvollzugsbeamten wegen fahrlässiger Tötung.

Die Entscheidungen, den Häftling in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, seien nicht sorgfaltspflichtwidrig gewesen.

Bei jeder Entscheidung über vollzugsöffnende Maßnahmen komme Justizvollzugsbeamten bei der Abwägung zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit und dem grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse eines Strafgefangenen ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Da die Angeklagten aus der maßgeblichen Sicht zum damaligen Zeitpunkt alle relevanten Aspekte für und gegen die Genehmigung eines Freigangs berücksichtigt hatten, sei dieser vorliegend nicht überschritten wurden. Zudem habe es keinen Anlass dazu gegeben, weitere Informationen einzuholen.

Des Weiteren sei auch eine objektive Vorhersehbarkeit des konkreten Taterfolgs nicht gegeben, da ein Fluchtverlauf, bei dem ein Häftling einen Mord begeht, so außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liegt, dass mit ihm grundsätzlich nicht gerechnet werden müsse.

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts deshalb aufgehoben und die Angeklagten freigesprochen.

Fazit 

Mit seiner Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mithin endlich Klarheit in die Frage gebracht, wann Bedienstete des Justizvollzugs für Prognoseentscheidungen im offenen Vollzug strafrechtlich selbst verantwortlich sind, indem er vorliegend festgestellt hat, dass sich Justizvollzugsbeamte, die einem Strafgefangenen ohne Sorgfaltspflichtverletzung einen Freigang gewähren, nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar machen, wenn der Gefangene beim Freigang einen Mord begeht.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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