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Haftungsrisiko Gesamtsozialversicherungsbeitrag / Betriebsprüfung

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Gesamtsozialversicherungsbeitrag

- Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfasst die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung.

- Allein der Arbeitgeber schuldet (bzw. haftet für) den Gesamtsozialversicherungsbeitrag!

- Müssen Beiträge, bspw. aufgrund einer erfolgten Betriebsprüfung, nachträglich vom Arbeitgeber erbracht werden (bis zu 4 Jahre rückwirkend, bei vorsätzlich vorenthaltenen Beiträgen sogar bis zu 30 Jahren), kann der Arbeitgeber gegenüber dem Beschäftigten hinsichtlich der von diesem zu tragendenden Arbeitnehmeranteile ausschließlich mit den nächsten 3 Lohnzahlungen aufrechnen. Daraus folgt: Ist der Arbeitnehmer nicht mehr im Unternehmen beschäftigt, kommt gar kein Rückgriff auf den Arbeitnehmer in Betracht und auch ansonsten nur in Höhe der nächsten 3 Monatsgehälter.

- Für vorsätzlich nicht rechtzeitig oder vollständig abgeführte Beiträge werden Säumniszuschläge von 1 % pro Monat(!) erhoben (jeder nicht abgeführte Monatsbeitrag ist folglich mit 12 % pro Jahr zu verzinsen; die Säumniszuschläge addieren sich bei Nachforderungen für mehrere Jahre daher erheblich auf).

Betriebsprüfung

- Erfolgt von Gesetzes wegen durch die Rentenversicherung mindestens alle 4 Jahre, wenn das Unternehmen Arbeitnehmer beschäftigt.

- Prüfungsgegenstand: Melde- und sonstige Pflichten im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Regelmäßig werden die Entgeltunterlagen der Angestellten geprüft, aber ebenso die derjenigen Beschäftigten, für die (bisher) keine Beiträge abgeführt wurden (freie Mitarbeiter, Honorarkräfte, (Schein-) Selbständige, etc.).

- Eine vorangegangene Prüfung, die lediglich mit den früher üblichen schlichten Prüfmitteilungen endete (regelmäßig in etwa: „Die stichprobenweise durchgeführte Prüfung hat keine Feststellungen hinsichtlich des Gesamtversicherungsbeitrages ergeben“), entfaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keinen Vertrauensschutz! Bisher nicht beanstandete Arbeitnehmer bzw. (schein-) selbständige Aufragnehmer können daher bei der nächsten Prüfung auf einmal als beitragspflichtig durch den Prüfer beurteilt werden.

- Vertrauensschutz kann nur entstehen, wenn ausdrücklich einzelne, konkrete Beschäftigungs- und Auftragsverhältnisse im abschließenden Bescheid aufgeführt sind und somit klar ersichtlich ist, dass diese einer Prüfung unterzogen worden sind. Von Gesetzes wegen hat ein aussagekräftiger Prüfbescheid zu ergehen, lassen Sie sich daher nicht mit einer schlichten Prüfmitteilung, wie oben beschrieben, oder mit einem mündlichen Abschlussgespräch abspeisen.

- Vor Erlass eines Betriebsprüfungsbescheids, der Grundlage einer Nachforderung von Beiträgen werden kann, muss Ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt werden – sog. Anhörungsverfahren. Spätestens jetzt sollten Sie spezialisierten anwaltlichen Rat in Anspruch nehmen, um etwaige Forderungen abzuwehren.

Wird ein Bescheid von der Rentenversicherung erlassen, fordern die zuständigen Einzugsstellen die Beiträge umgehend ein. Widerspruch und Anfechtungsklage haben bei Beitragsforderungen keine aufschiebende Wirkung, Sie müssten also zunächst die Forderungen begleichen. Ist das Unternehmen dazu finanziell nicht in der Lage, muss ggf. auch vorsorglich Insolvenz beantragt werden.

weitere Konsequenzen

- Auf die nacherhobenen Beiträge ist zusätzlich Lohnsteuer abzuführen; ggf. droht ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung.

- Über das Ergebnis der Betriebsprüfung wird der Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft) informiert, sodass dieser ggf. gesondert auf das Unternehmen zukommt und ebenfalls den Unfallversicherungsbeitrag nachfordert.

- Da in dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung enthalten sind, kann die nicht rechtzeitige Abführung zum Fälligkeitstermin zu einer Strafbarkeit nach § 266a StGB führen. Zusätzlich kommen Insolvenzdelikte und weitere Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten in Betracht.

- Die im Unternehmen verantwortlichen Personen bzw. Organe, insbesondere Geschäftsführer einer GmbH, haften ggf. für den ihrem Unternehmen entstandenen Schaden.

Fazit: 

  1. Der Arbeitgeber haftet in der Praxis meist vollständig und allein für das Risiko nicht korrekt abgeführter Beiträge. Aufgrund der regelmäßigen Prüfungen besteht ein hohes Entdeckungsrisiko.
  2. Werden Beiträge für mehrere Beschäftigte oder über viele Jahre nachgefordert, entstehen nicht selten – auch aufgrund der enormen Säumniszuschläge - Beitragsforderungen in 6-stelliger und somit häufig existenzbedrohender, einen Insolvenzantrag notwendig machender Höhe.
  3. Verantwortliche, wie z.B. Geschäftsführer einer GmbH, unterliegen einem hohem strafrechtlichen Risiko. Werden aufgrund einer Fehleinschätzung Beiträge nicht abgeführt, droht die strafrechtliche Verfolgung wegen des Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung (§ 266a StGB). Zusätzlich kann bei existenzbedrohenden Nachforderungen der strafrechtliche Vorwurf der Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO) oder des Bankrotts (§ 283 StGB) im Raume stehen. Ebenso kann der Vorwurf der Steuerhinterziehung drohen.
  4. Geschäftsführern droht darüber hinaus eine zivilrechtliche Haftung für die gesamte Nachforderungssumme, da sie als verantwortliches Organ der Gesellschaft womöglich vorwerfbar einen Schaden für die Gesellschaft verursacht haben (§ 823 Abs. 2 BGB).
  5. Lesen Sie zu den Schwierigkeiten bei der rechtlichen Einordnung von selbständigen oder abhängig Beschäftigten bitte unseren Rechtstipp „Für Unternehmen: Scheinselbständigkeit und Statusfeststellung“.
  6. Lassen Sie sich bei Zweifeln hinsichtlich der Verpflichtung zur Abführung des Sozialversicherungsbeitrages oder bei einer angekündigten Betriebsprüfung umgehend bzw. bereits im Anhörungsverfahren rechtlich beraten/vertreten. Ist ein Betriebsprüfungsbescheid erst einmal erlassen, folgt die Beitragsnachforderung durch die zuständige Einzugsstelle. Widerspruch und Klage haben bei Beitragsforderungen keine aufschiebende Wirkung. Ggf. muss vorsorglich Insolvenz angemeldet werden!

Sollten Sie eine persönliche Beratung unter Berücksichtigung Ihrer konkreten Ausgangslage wünschen, sprechen Sie uns gerne an.                                                                                                                                       

Tobias Blume
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht 

(Stand April 2022 - alle Angaben nach bestem Wissen, ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit)


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