Kein Aufenthaltsbestimmungsrecht bei starker Beeinflussung des Kindeswillens

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(OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.06.2017)

In dem entschiedenen Fall hatte die siebenjährige Tochter den Wunsch geäußert, bei der Mutter leben zu wollen. Das OLG kam jedoch zu der Überzeugung, dass die Äußerungen des Kindes nicht ihrem wirklichen Willen entsprechen, sondern auf Fremdbeeinflussung durch die Mutter zurückzuführen sei und übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater

Mein Kind will nicht bei mir leben, weil die Mutter schlecht über mich redet

Mein Kind will mich nicht besuchen, weil es der Vater nicht will

So oder ähnlich äußern sich Eltern oft im Streit um das Kind nach der Trennung. Im gerichtlichen Verfahren muss auch das Kind angehört werdenSpricht es sich allein für einen Elternteil aus, stellt sich immer die Frage nach der Berücksichtigung des Kindeswillens im Verfahren. Bei Kindern unter 12 Jahren ist stets genau zu prüfen, ob der geäußerte Wunsch vom Kind selbst kommt oder starke Beeinflussung und Manipulation durch den anderen Elternteil das Kind zu seinen Äußerungen veranlasst. Dies hängt von Alter und Einsichtsfähigkeit des Kindes ab. Das BVerfG hat im Jahr 2015 darauf hingewiesen, dass auch der beeinflusste Kindeswille nicht übergangen werden darf (BVerfG, Beschl. v. 25.04.2015).

Ab 12 Jahren ist der Kindeswille stets zu berücksichtigen

Das OLG Brandenburg hat in seiner Entscheidung wesentlich auf den von der Sachverständigen eingeführten Begriff der Selbstwirksamkeitsüberzeugung abgestellt. Er bedeutet, dass ein Gefühl von „ich kann das, ich schaffe das“, Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, ausreichend vorhanden ist. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Kind erst ab dem Alter von 12 Jahren über genügend innere Unabhängigkeit von den Eltern verfügt, um einen eigenen Standpunkt zu äußern. 

Bei jüngeren Kindern Entscheidung gegen Kindeswillen möglich 

Bei jüngeren Kindern ist die Gefahr der Fremdbeeinflussung immer sehr groß, weshalb das Gericht an seine Äußerungen nicht zwingend gebunden ist. Spricht sich das Kind zwar für einen Elternteil aus, ist aber der eigene Wunsch des Kindes spürbar vorhanden, nämlich mit beiden Elternteilen gleichermaßen emotional verbunden zu bleiben, kann das Gericht gegen den geäußerten Willen des Kindes entscheiden. So lag der Fall in der hier wiedergegebenen Entscheidung des OLG Brandenburg. Die Äußerung der Tochter, bei der Mutter leben zu wollen, bewertete das Gericht als fremdbestimmt durch die Mutter. Die Entscheidung des OLG gegen den Kindeswillen entspricht daher dem Kindeswohl.

Trotz starker Beeinflussung entscheidet Kindeswille

Am schwierigsten ist der Fall zu beurteilen, wenn das Kind gänzlich die ablehnende Haltung des manipulierenden Elternteils gegenüber dem anderen angenommen hat, also die eigenen Wünsche nach emotionaler Bindung zu beiden Elternteilen aufgegeben hat. In diesem Fall gebietet das Kindeswohl, auch den Willen des beeinflussten Kindes zu respektieren als Akt der Selbstbestimmung (BGH, Beschl. v.15.06.2016). Das OLG Brandenburg hat dies hier verneint und konnte deshalb zu seiner Entscheidung gegen den Kindeswillen kommen.

Praxishinweis:

Fachanwältin Cornelia Werner-Schneider aus Wiesbaden rät in gleichgelagerten Fällen, Hinweisen dafür nachzugehen, dass das Kind stark beeinflusst ist und seine Äußerungen nicht seinem eigenen Wunsch entsprechen. Beispielsweise können das sein: wenig authentische, nicht kind- und altersgemäße Äußerungen. Äußerungen über rechtliche Dinge im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren, was ein Kind in dem Alter noch gar nicht wissen kann. In vielen Fällen bleibt jedoch nur die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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