Klimaaktivisten “Tyre Extinguishers“ lassen erneut Luft aus Reifen von SUVs – Straftat oder ziviler Ungehorsam

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In den letzten Wochen und Monaten sind zahlreiche Aktionen von Klimaaktivisten in den Fokus der medialen Berichterstattung gerückt. Kaum ein Tag verging ohne Berichte über blockierte Straßen oder beschädigte Kunstwerke durch sogenannte „Klimakleber“.

Ein besonderes Feindbild der Aktivisten sind Kraftfahrzeuge mit einem erhöhten Schadstoffausstoß, wie es bei den meisten SUVs der Fall ist. Daher mag es kaum verwundern, dass deren Fahrer ebenfalls von mutmaßlichen Straftaten betroffen sind. In der Nacht von Montag auf Dienstag soll die Aktivistengruppe “The Tyre Extinguishers“ (Die Reifenlöscher) in Europa und den USA aus den Reifen von knapp 900 Fahrzeugen die Luft herausgelassen haben. Wie ist eine solche Aktion strafrechtlich zu bewerten?

Welche Straftaten sind im Zusammenhang mit den „Tyre Extinguishers“ besonders relevant?    

Im Zusammenhang mit Handlungen von Klimaaktivisten sind mittlerweile hunderte Ermittlungsverfahren anhängig, allein über 200 in Berlin. Dabei haben sich verschiedene Taten herauskristallisiert, die entweder besonders häufig Gegenstand eines Verfahrens sind, oder die in der Politik und allgemeinen Öffentlichkeit besonders diskutiert werden. Sie treffen auch auf die “Tyre Extinguishers“zu.

Was sind die Probleme im Zusammenhang mit einer Sachbeschädigung?

In erster Linie ist an den Tatbestand der Sachbeschädigung zu denken, der mit einer Freiheitsstraße bis zu zwei Jahre oder mit Geldstrafe bestraft wird. Der Tatbestand der Sachbeschädigung ist unproblematisch erfüllt, wenn ein Aktivist beim Herauslassen der Luft ein Fahrzeug oder den Reifen direkt beschädigt. Anders sieht es hingegen aus, wenn am Auto selbst zunächst kein äußerer Schaden entsteht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll es in einem solchen Fall darauf ankommen, ob der mögliche Gebrauch an einer Sache (hier dem Auto) nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn es dem Fahrer nicht ohne weiteres möglich ist, die Reifen wieder mit Luft zu befüllen (BGH NJW 1959, 1547).

Unter Umständen könnte auch eine Sachbeschädigung vorliegen, wenn der Fahrer erst auf dem Weg bemerkt, dass die Luft aus seinen Reifen herausgelassen wurde. Wird dadurch die Felge beschädigt, dürfte dieser Schaden auf das Verhalten des Täters zurückzuführen sein. Hat er dies beim Herauslassen der Luft aus dem Reifen erkannt zumindest billigend in Kauf genommen, liegt in der Regel eine Sachbeschädigung vor.   

Wie sieht es mit Nötigung aus?

Ein weiteres Delikt, das bei Aktionen von Klimaaktivisten häufig diskutiert wird, ist die Nötigung nach § 240 StGB. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel eine andere Person rechtswidrig zu einer Handlung, Duldung oder zu einem Unterlassen nötigt. Insoweit ließe sich das Herauslassend er Luft als eine Nötigung mit dem Ziel, dass das Opfer nicht mit seinem Auto fährt, verstehen. Allerdings bestehen zwei grundsätzliche Problematiken.

Erstens ist der Zwang, der auf das Opfer wirkt, primär psychischer Natur, wohingegen Gewalt im Sinne einer Nötigung eine gewisse körperliche Reaktion erfordert. Auf der anderen Seite soll der Tatbestand der Nötigung die Freiheit schützen, seinen Willen zu äußern. Bezieht sich dieser darauf, mit dem Auto zu fahren, ist diese Freiheit beeinträchtigt. Die Strafbarkeit bemisst sich stets nach den Umständen des Einzelfalls.

Zweitens beinhaltet der Tatbestand der Nötigung eine spezielle Rechtswidrigkeitsklausel, die eine Besonderheit des § 240 StGB darstellt. Ihr zufolge ist eine Nötigung nur strafbar, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Der Zweck der Aktionen der Aktivisten liegt im Klimaschutz.

Diesem Ziel hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich verpflichtet und auch das Grundgesetz enthält mit Art. 20a GG das Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen. Demnach schützt der Staat in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Der Zweck der Aktivisten ist nach der gesetzlichen Wertung also nicht unmittelbar als verwerflich anzusehen. Allerdings heiligt der Zweck nicht die Mittel. Vielmehr führen die Gerichte bei der Anwendung der Rechtswidrigkeitsklausel eine Abwägung mit der Gewalt oder der Androhung des Übels durch.

Interessant ist in dem Zusammenhang eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg, das zwei Tierschutzaktivisten vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen hatte, die in einem Tierstall eingedrungen waren, um die dortigen Zustände zu filmen. Die Tat sei vor dem Hintergrund des Staatsziels des Tier- und Umweltschutzes wegen eines rechtfertigenden Notstands gerechtfertigt (OLG Naumburg, 22.02.2018, Az. 2 Rv 157/17). Derartige Erwägungen ließen unter Umständen auf Abwägungen im Kontext des § 240 StGB übertragen.   

Handelt es sich um ein Delikt im Bereich der Tötung oder Körperverletzung, wenn ein ärztlicher Notfall eintritt und der Patient nicht rechtzeitig in Krankenhaus gebracht werden kann?

Vor allem den Anhängern der „Letzten Generation“ wird der Vorwurf gemacht, dass der Einsatz von Rettungskräften behindert wird, wenn sich Personen auf der Autobahn festkleben. Hier kommt in Betracht, dass eine solche Behinderung von Rettungskräften den Tatbestand (fahrlässiger) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte erfüllt, wenn eine Person gerade wegen des Protests der Aktivisten nicht gerettet werden kann.

Einen ähnlichen Vorwurf erheben Inhaber von SUVs, denen Aktivisten der „Tyre Extinguishers“ die Luft aus den Reifen lassen. Das betroffene Fahrzeug kann nämlich in der Folge nicht genutzt werden, um eine verletzte oder kranke Person ins Krankenhaus zu bringen. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass sowohl die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) als auch die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) voraussetzen, dass die Tatfolgen dem Täter zuzurechnen sind und dass der Geschehensablauf in seinen wesentlichen Zügen vorhersehbar ist. Dies dürfte nicht der Fall sein, wenn ein Rettungsdienst ungestört arbeiten kann. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu einer blockierten Straße.

Allerspätestens dann, wenn tatsächlich eine Behinderung der Arbeiten eines Rettungsdiensts im Raum steht, oder wenn jemand nicht ins Krankenhaus gefahren werden kann, weil die Luft aus einem Autoreifen gelassen wurde, sollte ein Fachanwalt in Strafrecht hinzugezogen werden.

Handeln Klimaaktivisten staatsgefährdend?

In Anbetracht der konzertierten Handlungen der “Tyre Extinguishers“ in mehrere Staaten ermitteln teilweise Abteilungen des Staatsschutzes der Polizei. Auch aus der Politik kommen entsprechende Forderungen. Staatsschutzdelikte im eigentlichen Sinn sind solche Delikte, die sich gegen die Verfassung, den Bestand des Staats oder gegen seine innere und äußere Sicherheit richten. Im engen Zusammenhang dazu stehen politisch motivierte Straftaten, die eine besondere Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellen.

Bislang ist nicht bekannt, dass sich Gruppierungen der Klimaaktivisten oder die “Tyre Extinguishers“ gegen die Verfassung oder den Bestand des Staats richten. Allein der öffentliche Vorwurf der Staatsgefährdung zeigt aber, dass auch vermeintlich „einfache“ Delikte eine besondere gesellschaftliche Brisanz entwickeln können.


Strafverfahren im Kontext des Klimaaktivismus sind längst keine Seltenheit mehr. Die neuen Aktionen der “Tyre Extinguishers“ zeigen, in welchem gesellschaftlichen Spannungsfeld sich ihre Handlungen bewegen. Strafrechtlich kommt es dabei im besonderen Maß auf die Beurteilung des Einzelfalls an. Vermeintlich kleine Details können für die Frage der Strafbarkeit von Relevanz sein. Ein im Strafrecht spezialisierter Fachanwalt kann mit Ihnen einen konkrete Verteidigungsstrategie entwickeln, die auf Ihren individuellen Fall zugeschnitten ist.   

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