Klimaschutz endet nicht an Nachbars Grundstücksgrenze - Aktuelles BGH-Urteil zur Dämmung von Altbauten

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Der Bundesgerichtshof hat mit einem bemerkenswerten Urteil vom 01.07.2022 (Az. V ZR 23/21) über einen Berliner Nachbarschaftsstreit entschieden und den Klimaschutz dabei als entscheidendes Kriterium herangezogen. Beim Thema Wärmedämmung sei es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zulässig, die Eigentumsrechte eines Nachbarn zurücktreten zu lassen, weil der Schutz des Klimas Verfassungsrang habe. Dieser Artikel beschäftigt sich damit, worum es in dem Fall ging und wie das oberste Gericht seine Entscheidung begründet hat. 

Worum ging es in dem aktuellen Fall vor dem BGH?

In dem Fall vor dem Bundesgerichtshof hatte ein Berliner Hauseigentümer gegen eine Fassadensanierung geklagt, die am Nachbarhaus stattfand. Ein Wohnbauunternehmer wollte an der Giebelwand des im Jahr 1906 errichteten Altbaus eine 16 Zentimeter starke mineralische Dämmung anbringen lassen. Dies hätte zur Folge, dass die Grenze zum Nachbargrundstück überschritten werden würde. Der Kläger setzte sich hiergegen vor Gericht zur Wehr.

Welche Rolle spielt das Berliner Nachbargesetz in dem Fall?

Das in Berlin gültige landesrechtliche Nachbargesetz regelt, dass Nachbarn solche Dämmmaßnahmen ohne Ausnahmen hinnehmen müssen; unter Umständen sogar dann, wenn der Platz zwischen den Häusern zu eng wird, um Mülltonnen oder Fahrräder abzustellen. Zwar können nach dem Berliner Nachbargesetz die betroffenen Nachbarn einen finanziellen Ausgleich verlangen. Die Dämmschicht als solche kann nach den landesrechtlichen Vorschriften jedoch nicht verhindert werden. 

Andere Bundesländer haben die entsprechenden nachbarschaftsrechtlichen Landesgesetze milder formuliert. Die Dämmschichten können beispielsweise untersagt werden, wenn sie den Nachbarn nicht zumutbar sind. Das Bundesland Berlin beabsichtigte jedoch durch die Regelung eines Vorrangs für die Wärmedämmung, zeitraubende Streitigkeiten zu verhindern, die durch etwaige Einschränkungen wie durch Zumutbarkeitserwägungen oftmals entstehen würden. 

Überraschende Offenheit des BGH in seiner Urteilsbegründung

Der Bundesgerichtshof äußerte in seinen Entscheidungsgründen bemerkenswert offen Zweifel daran, ob eine solche strenge Regelung im Berliner Nachbargesetz noch mit dem grundgesetzlichen Eigentumsschutz vereinbar ist. Der Bundesgerichtshof hat in solchen Fällen grundsätzlich die Möglichkeit, verfassungsrechtliche Unklarheiten vom Bundesverfassungsgericht vorab klären zu lassen. Der BGH verzichtete jedoch auf eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, da die Vorschrift aus seiner Sicht "noch als verhältnismäßig anzusehen" sei. Eine Vorlage käme jedoch nur dann in Betracht, wenn der Bundesgerichtshof selbst von der Verfassungswidrigkeit überzeugt sei. Dies verneinte der BGH ausdrücklich in seiner Entscheidung.

Warum kann der BGH keine Verfassungswidrigkeit erkennen?

Aus Sicht des obersten Zivilgerichts gehe es in dem Fall nicht nur um die Individualinteressen von zwei Grundstückseigentümern. Die Dämmvorschriften des Berliner Nachbargesetzes dienen "vor allem dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang", welcher auch in Artikel 20a des Grundgesetzes verankert sei. Der BGH nahm hierfür ausdrücklich Bezug auf den sogenannten Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021. 

Das wirtschaftliche Interesse des Grundstückseigentümers, Energie einzusparen, sei nach Ansicht der Richter höher zu gewichten, da es sich mit dem Interesse der Allgemeinheit an der möglichst raschen Dämmung von Bestandsgebäuden decke. Einem solchen gewichtigen Interesse diene eine klare und einfache Regelung ohne Ausnahmen wie es das Berliner Nachbargesetz vorsehe. Gesetze in anderen Bundesländern, die mögliche Ausnahmefälle geregelt haben, führen erfahrungsgemäß zu Streit, die jede einzelne Maßnahme um Jahre verzögern oder sogar im Ganzen verhindern könne. 

Und das Ende vom Lied...?

Die Klage des Grundstückseigentümers hatte damit endgültig keinen Erfolg. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auf zivilrechtlicher Ebene die letzte Instanz. Es käme für den unterlegenen Kläger allenfalls eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Betracht. Hier bestehen jedoch sehr hohe Hürden. Gerade einmal zwei Prozent der pro Jahr eingehenden Verfassungsbeschwerden werden vom Bundesverfassungsgericht überhaupt zur Entscheidung angenommen. 

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