Lockdown Light: Ist das verhältnismäßig?

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Wieder haben unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten am Bundestag vorbei Beschlüsse gefasst.

Erinnert sei an Gerichte, die schon mehrfach unverhältnismäßige oder gar rechtswidrige Corona-Bestimmungen kassiert haben.

Stichwort: Versammlungsverbot, Beherbergungsverbot, in einigen Bundesländern auch Maskenpflicht an Schulen oder in der Fußgängerzone.

Die Gewaltenteilung scheint zumindest noch einigermaßen zu funktionieren.

 

Wo allerdings kein Kläger ist, gibt es auch keinen Richter.

 

Eines ist klar: Die beschlossenen Maßnahmen sind für viele Menschen mit gravierenden Grundrechtseingriffen verbunden, insb.:

 

  • Einschränkung der Berufsfreiheit.  Art. 12 GG
  • Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit Art. 2 I GG

 

Das Grundgesetz selbst erlaubt solche Eingriffe in Grundrechte nur, wenn die Maßnahmen ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sind.

 

 Legitim und verhältnismäßig?

 

Die rechtliche Grundlage für die aktuellen Maßnahmen, mit denen die Regierung die Ausbreitung des Coronavirus eindämmen will, ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Dort sind aber viele der jetzt getroffenen Maßnahmen gar nicht so explizit geregelt.

Stattdessen stützt man sich auf eine sogenannte Generalklausel, wo es heißt, dass die Behörde die "notwendigen Maßnahmen" ergreifen darf. (vgl. § 28 Absatz 1 IfSG). 

Es gibt bereits namhafte Juristen, die bezweifeln dass eine solche Generalklausel so gravierende Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann.

Die Gerichte sind da bislang aber weniger streng. Die meisten Verwaltungsgerichte halten die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG angesichts der außergewöhnlichen Situation „noch“ für ausreichend, um die gegenwärtig geltenden Maßnahmen zu stützen.

 Einen zweiten Prüfmaßstab bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.


Die Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein, das bedeutet:

• geeignet,

• erforderlich und

• angemessen.

 

 

GEEIGNETHEIT

 

Danach muss die konkret getroffene Maßnahme für ein legitimes Ziel geeignet sein – hier also der Schutz der Volksgesundheit und die dahinterstehende Angst, dass unser Gesundheitssystem insbesondere die Intensivstationen überlastet werden könnten.

 

Die Politik begründet die Gefahr für die Volksgesundheit im wesentlichen mit dem Inzidenzwert.

 

Ein Wert aus dem sich nach Meinung vieler namhafter Mediziner allein aber noch keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ergeben soll, weil ein positiver PCR Nachweis nicht stets bedeuten soll, dass der Virusträger ansteckend krank ist oder Krankheitssymptome hat. Die hohen Inzidenzwerte stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit der Anzahl der Tests, die teilweise auf 1.600.000 angestiegen war.

Selbst Prof. Dr. Drosten hat darauf hingewiesen, dass zumindest der CT Wert zu berücksichtigen sei, der wichtige Informationen dafür bietet, wie ansteckend eine Person überhaupt ist.

Die Mediziner kritisieren auch, dass sich die gestiegenen Infektionszahlen nicht in einem gleich Verhältnis auf die Auslastung der Intensivbetten ausgewirkt habe.

Die Zahl der belegten intensivbetten liegt seit Mai 2020 konstant zwischen 21.000 und 22.000. Aktuell liegt die Auslastung bei 21.718 (05.11.2020). Im September waren es noch 22.299 Betten die belegt waren. Die Anzahl der Covid 19 Patienten ist zwar gestiegen, aber die Infektionszahlen und Inzidenzwerte spiegeln sich nach Auffassung vieler Mediziner nicht erkennbar in der Gesamtbelegung der Intensivbetten wieder.

Eine Maßnahme kann in jedem Fall nur verhältnismäßig sein, wenn tatsächlich eine Gefahr für Volksgesundheit besteht.

Außerdem muss die Maßnahme geeignet sein, das Ziel (keine Überlastung des Gesundheitssystems) zu erreichen.

Das ist der Fall , wenn die Erreichung des Zwecks zumindest damit gefördert werden kann bzw. die Wahrscheinlichkeit der Zweckerreichung damit erhöht wird.

Gastronomie , Kultur und Freizeiteinrichtungen sowie z.B. Nagel- und Fitnessstudios werden geschlossen, weil die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten hoffen, dass dies, entweder direkt oder mittelbar zum Infektionsgeschehen beiträgt, weil sich weniger Personen im öffentlichen Raum bewegen.

 So ganz konkret ist das aber nicht. 

Es wird scheinbar in Kauf genommen , dass  tausende Nichtstörer in Anspruch genommen werden, um die Überlastung von Intensivbetten zu verhindern ,wobei kausal nicht festgestellt ist, dass diese Maßnahmen kausal dazu beitragen, dass mehr Intensivbetten frei werden.

Grundsätzlich hat der Gesetzgeber einen Entscheidungsspielraum d. h. er wird sich auch irren dürfen, fraglich ist jedoch ob ohne Beteiligung des Gesetzgebers im Wege der Rechtsverordnung ein solcher Entscheidungsspielraum besteht.

Wenn also der Gesetzgeber nicht beteiligt wird, kann man sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass konkret nachgewiesen werden muss

  • dass sich durch die Schließung dieser Einrichtungen
  • die Wahrscheinlichkeit der Zweckerreichung - weniger Auslastung der Intensivbetten - zumindest erhöhen muss, 

Wenn das nicht konkret nachgewiesen werden kann, ist das Mittel gegebenenfalls schon nicht geeignet

 

ERFORDERLICHKEIT

 

Der Eingriff in Grundrechte kann in jedem Fall nur verhältnismäßig sein, wenn die konkrete Maßnahme auch erforderlich ist.

D.h es darf kein milderes aber gleich geeignetes Mittel geben, mit dem der Zweck auch erreicht werden könnten.

 

Milderes Mittel wirklich gesucht ?

Selbst wenn man einen abgeschwächten Entscheidungsspielraum bejahen sollte:

Was ist wenn dieser gar nicht ausgeübt wird , wenn man von Solidarität und nicht von der Abwägung mit milderen Maßnahmen spricht?

Die Ministerpräsidenten hätten m.E. konkret prüfen müssen, ob Hygienekonzepte nicht als milderes Mittel ausreichen könnten!

Zu Recht berufen sich die Betreiber der geschlossenen Einrichtungen auf ihre ausgefeilten Hygienekonzepte und die Tatsache, dass es in den Betrieben, die nun geschlossen werden nicht oder nur ganz vereinzelt zu einer Verbreitung des Virus gekommen ist.

 

Die Frage ist also: Reichen Hygienekonzepte, um in diesen Betrieben Ansteckungen zu vermeiden

 

Dann wären die Grundrechtseingriffe zu hart.

 

 

ANGEMESSENHEIT 

 

Das Maß des Eingriffs darf  schließlich nicht außer Verhältnis

zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen  will heißen:

Man darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.

 

 

Das Maß der Belastung könnte kaum größer sein :

  • Existenzgefährdung

 

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage:

  •  Welche Vorteile erwachsen denn tatsächlich daraus- ( Vermutung, dass sich die Sachlage dadurch verbessert wird)

 

Vieles hängt auch davon ab, ob die in Aussicht gestellten Finanzhilfen von 70-75 % des Monatsumsatzes des Vorjahres  umfassend bei den Betrieben ankommen. Aktuell sieht das Infektionsschutzgesetz noch keine Kompensation vor.

 

Und was ist, wenn die Hilfen  nicht oder zu spät kommen ? Viele Betriebe hatten aufgrund der hervorragenden Hygienekonzepte wesentlich höhere Ausgaben, sie konnten aber gleichzeitig viel weniger Umsatz machen. Der Lockdown im Frühjahr ist noch nicht verkraftet.

 

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es einige Verwaltungsgerichte geben wird, die Probleme damit haben, dass einzelne Maßnahmen geeignet ,erforderlich und angemessen sind.

 

Der Präsident der kassenärztlichen Bundesvereinigung und auch Mediziner wie Professor Doktor Streeck habe mit Unterstützung vieler 1000 Mediziner vor einem Lockdown gewarnt.

 

Es gibt die Great Barrington Deklaration in der führende Professoren der Eliteuniversitäten ( Harvard Stanford und Oxford) eindrücklich vor den irreparablen Schäden warnen, die mit so tief greifenden Einschränkung der gesamten Bevölkerung verbunden sind. Es sollen vielmehr die gefährdeten Personengruppen geschützt werden und für die die nicht schutzbedürftig sind , sollen Hygiene Maßnahmen ausreichen.

 

Selbst die WHO warnt vor dem Lockdown und führt aus, dass die gravierenden Folgen unverhältnismäßig sind und nur das letzte Mittel der Wahl sein dürfen.

 

Der Eingriff in Grundrechte kann nicht mit Solidarität begründet werden. Man braucht hierfür einen kausalen Zusammenhang und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. D. h. meines Erachtens darf es hier keine pauschalen Lösungen geben.

 

Eine Sache möchte ich nochmal ganz dringend betonen. Ich warne davor, die Regeln zu ignorieren. Es ist ganz wichtig, dass die Regeln im öffentlichen Raum (NRW) beachtet werden. Ein Verstoß ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit empfindlichen Geldbußen sogar bis zu einer Freiheitsstrafe bedroht ist.

  

Wenn Sie von einem existenziellen Eingriff in ihre Rechte betroffen sind, haben Sie aber auch die Möglichkeit dagegen vorzugehen. Sie müssen dem nicht tatenlos zusehen.

 

Sie können einen Eilantrag , also einstweiligen Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren beim jeweils zuständigen Verwaltungsgericht beantragen, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten ist - § 80 Abs. 5 VwGO

 

 

Der Anspruch ist grundgesetzlich verankert (Art. 2/Art. 12 Art. 14 GG)

 

Eilbedürftigkeit

 

Drohende schwere unabwendbare Nachteile die bei einer Nichtregelung drohen würden

•       wenn der Unternehmer nicht gegen diese Lockdown Maßnahmen vorgeht, droht eine Existenzvernichtung

 

im Rahmen der materiellen Prüfung prüft das Verwaltungsgericht dann anhand der oben genannten Kriterien ob der Grundrechtseingriff eine legitime Ermächtigungsgrundlage hat und der Eingriff verhältnismäßig ist.

 

Es geht durch die Medien, das bereits zahlreiche einstweilige Verfügungen beantragt wurden.

Je mehr Entscheidungen es hier gibt, desto mehr wird sich die Öffentlichkeit ,insbesondere die sozialen Medien und die Presse damit beschäftigen, sodass ein entsprechender Druck auf die Bundesregierung ausgeübt wird, die Judikative zu respektieren (siehe Beherbergungsverbot). Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass in de Eilverfahren nur eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage erfolgt. Selbst wenn den Eilanträgen nicht stattgegeben werden sollte, heißt das noch nicht, dass die einzelnen Maßnahmen tatsächlich verhältnismäßig sind.

Auch im Falle des Unterliegens kann das Verfahren in der Hauptsache erfolgreich sein und Grundlage für Schadensersatzansprüche für  etwaige Einnahmeverluste sein.

 

Wie Professor Dr. Streck immer wieder betont ,

 

"Es handelt sich hier um einen Marathon und nicht um einen Sprint.“

 

Die aktuellen Pauschalverbote reichen im Umgang mit den Virus jedoch nur für einen Sprint und gefährden die Akzeptanz und den Rückhalt in der Bevölkerung.

 

Wichtig ist, dass die Politik von den reinen Infektionszahlen (PCR Nachweis) weggeht und nach zuverlässigen Parametern wie zB. den CT Wert sucht, um dann mit gezielten verhältnismäßigen Maßnahmen das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen.

 


Foto(s): Ellen Rohring

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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