Musterfeststellungsklage: Nachteile für betrogene Dieselkäufer – ein „praktischer Reinfall“?

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Haben Sie sich bereits der Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen bzw. beabsichtigen Sie dies zu tun? Dann sollten Sie folgende Punkte, welche in der öffentlichen Darstellung in der Presse etc. üblicherweise nicht erwähnt werden, unbedingt beachten:

Die Möglichkeit der Erhebung einer Musterfeststellungsklage durch qualifizierte Einrichtungen wurde seit Längerem diskutiert und gefordert. Zum 01.11.2018 wurde die entsprechende gesetzliche Grundlage in den §§ 606 bis 614 ZPO geschaffen. Den Verbrauchern kam diese Möglichkeit dahingehend zugute, dass diese eine Hemmung der Verjährung ihrer Ansprüche gegenüber dem VW-Konzern durch die Anmeldung zur Eintragung im Klageregister erreichen konnten.

Ein erheblicher Nachteil der Musterfeststellungsklage ist allerdings, dass ein Musterfeststellungsurteil nur hinsichtlich der Feststellungsziele und dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (welche naturgemäß nur eher allgemein sein können, da sie eine Vielzahl von Fällen erfassen müssen) Bindungswirkung entfaltet (vgl. § 613 ZPO). Der Dieselkäufer muss folglich nach einem Musterfeststellungsurteil seine Ansprüche trotzdem individuell gegenüber dem VW-Konzern durchsetzen, was sowohl eine vorgerichtliche als auch eine gerichtliche Geltendmachung umfassen kann. Die Durchsetzung der Ansprüche des Dieselgeschädigten kann sich somit durch das Musterfeststellungsverfahren sowie das evtl. anschließende Individualverfahren um Jahre verzögern.

Der Autokäufer muss sich im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufvertrages oder im Rahmen eines Schadensersatzanspruches im Gegenzug zur Rückerstattung des Kaufpreises oder zur Zahlung des Schadensersatzanspruches eine Nutzungsentschädigung entgegen rechnen lassen, welche üblicherweise gemäß der Formel

Bruttokaufpreis in Euro x gefahrene Kilometer

Gesamtlaufleistung

berechnet wird. Bei dieser Formel führt die Ansammlung der vom Autokäufer gefahrenen Kilometer zur Erhöhung des von ihm geschuldeten Nutzungsersatzes. Somit wirkt jede Verzögerung bei der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche zum Nachteil des Autokäufers. Die Autokonzerne profitieren demgegenüber von jeder Verzögerung.

Bezogen auf ein Dieselfahrzeug, das z. B. zu einem Bruttokaufpreis von 30.000,- € erworben wurde, führt die vorgenannte Formel bei einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Autos von 250.000 km und einer tatsächlichen jährlichen Laufleistung von 20.000 km zu einer Erhöhung der vom Dieselkäufer zu zahlenden Nutzungsentschädigung von jährlich 2.400,- €.

Somit „kostet“ in dem vorgenannten Beispielfall jedes Jahr der Verzögerung der Rechtsverfolgung den Dieselfahrer zusätzliche 2.400,- €.

Somit spielt die gesetzlich geschaffene Möglichkeit der Erhebung einer Musterfeststellungsklage über die Option der Hemmung der Verjährung der Ansprüche des Dieselkäufers hinaus letztendlich praktisch und wirtschaftlich dem VW-Konzern in die Hände.

Ebenso stellt sich die Frage, wie ein Verkauf, Unfall, Motorschaden etc. sich auf die Durchsetzung der Rechte des Autokäufers auswirkt. Sollten Sie z. B. einen unverschuldeten Unfall mit Totalschaden haben, tritt eine dritte Partei, nämlich die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung hinzu. Diese wird bei der Berechnung des zu ersetzenden Schadens (Zeitwert des Fahrzeuges) letztlich einen „Dieselabschlag“ vornehmen. Hier müssten Sie u. U. dem VW-Konzern den Streit verkünden, was wegen der Musterfeststellungsklage evtl. unmöglich wäre.

Die Musterfeststellungsklage führt daher praktisch zu einem Konglomerat an Problemen, welche sich letztlich zum Nachteil des Autokäufers auswirken.

Folglich empfiehlt es sich, sofern eine Anmeldung zur Eintragung im Klageregister noch nicht erfolgt ist, rechtzeitig die Möglichkeit einer Individualklage gegen Verkäufer und/oder Hersteller zu prüfen und diese ggf. einzureichen.

Wenn Sie eine Anmeldung zur Eintragung im Klageregister bereits vorgenommen haben, kann die Anmeldung gemäß § 608 Abs. 3 ZPO bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der I. Instanz zurückgenommen werden. Danach ist eine Rücknahme nicht mehr möglich. Der Dieselkäufer ist dann an das Verfahren gebunden. Es ist darüber hinaus zu beachten, dass die Wirkung der Hemmung der Verjährung gemäß § 209 BGB mit Ablauf des Tages des Wegfalles des hemmenden Ereignisses/der hemmenden Maßnahme wegfällt, somit muss je nach Einzelfall der genaue Zeitpunkt der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister genau berechnet und darauf basierend das taktische Vorgehen bestimmt werden. Bei äußerst knappen Zeitläufen, z. B. ursprüngliche Verjährung zum Ende des Jahres 2018 und Anmeldung zur Eintragung im Klageregister ebenfalls Ende 2018 könnte die Verjährung bereits ein bis wenige Tage nach Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister eintreten. In solchen zeitlich knappen Fällen sollte somit die Individualklage schon vor Rücknahme der Anmeldung vorbereitet und zur Einreichung beim zuständigen Gericht gefertigt sein. Die zeitliche Koordinierung der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister und die Einreichung der Individualklage muss dann rechtssicher abgestimmt und umgesetzt werden.

Zur Vermeidung von langwierigen Verzögerungen im Rahmen der Musterfeststellungsklage und zwecks Durchsetzung Ihrer Individualansprüche gegen Fahrzeugersteller stehen wir Ihnen mit „Rat und Tat“ zur Verfügung.


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