Oberverwaltungsgericht Lüneburg setzt die 2G-Regel für Niedersachen außer Kraft

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Die Anordnung der Niedersächsischen Regierung, dass nur noch Geimpfte oder Genesene in Geschäften einkaufen dürfen, die keine Lebensmittel verkaufen, wurde jetzt vom 13. Senat des OVG Lüneburg im von einer Handelskette angestrengten Eilverfahren am 10.12.2021 gekippt und auch bezüglich des Ausschlusses Ungeimpfter von körpernahen Dienstleistungen (13 MN 462 bis 464/21). Das Gericht hält diesen Ausschluss der ungeimpften Bevölkerung für unverhältnismäßig, weil im Vergleich zum Zutritt in Lebensmittelsupermärkte keine höhere Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus bestehe und deshalb die Grundrechtseinschränkung für die einkaufswilligen Menschen, aber auch für die Non-Food-Einzelhändler ungerechtfertigt sei.

Bei nüchterner Betrachtung kann die Gerichtsentscheidung durchaus nachvollzogen werden, denn es gibt tatsächlich keinen nachvollziehbaren Unterschied zwischen einem Supermarkt, der Lebensmittel feilbietet und einem Baumarkt oder Möbelmarkt. Es liegt sogar auf der Hand, dass die Lebensmittelmärkte in  der Regel kleiner sind und stärker frequentiert als ein Bau- oder Möbelmarkt, die Kunden sich also im Lebensmittelladen näher kommen.

Eine Reihe von Verwaltungs- und Verfassungsrechtlern begrüßte die Entscheidung, weil jetzt ein Gericht mit Blick auf die Grundrechte und die Verhältnismäßigkeit eine Abwägung getroffen hat und feststellte, dass die Anordnung der Landesbehörde  nicht das aktuelle Infektionsgeschehen berücksichtigt habe, wonach der Ausschluss Ungeimpfter unangemessen sei.

Andere Juristen kritisieren die Entscheidung des OVG Lüneburg als „klare Fehlentscheidung“ scharf und behaupten, dass die Verwaltungsrichter für sich eine Expertise in Anspruch nähmen, die sie nicht hätten bis hin zu der Behauptung, sie „verkennen die Rolle von Gerichten in der Pandemie und ignorieren, daß das Bundesverfassungsgericht den Regierungen und Parlamenten hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen relativ viel Spielraum gegeben und sich selbst dabei bewusst zurückgenommen hat“ (Prof. Franz C. Mayer, Univers. Bielefeld, zitiert nach ntv vom 18.12.2021). Man fragt sich bei dieser Kritik, ob die immer engermaschig gezogenen Einschränkungen für Ungeimpfte, die jedenfalls ca. 25% oder mehr der Gesamtbevölkerung darstellen und keine kleine Minderheit sind, die Grundrechte nicht mehr gelten sollen (wobei ich nicht sagen will, dass für eine kleine Minderheit die Grundrechte nicht gelten müssten).

Überraschend ist die Behauptung, dass das Bundesverfassungsgericht sich selbst zurückgenommen habe bei der Beurteilung von Grundrechtseingriffen durch sehr häufige und zumeist gestraffte Änderungen des Infektionsschutzgesetzes und der daraus resultierenden Verwaltungsanordnungen, obgleich es doch die vornehmste Aufgabe unserer Karlsruher Verfassungshüter ist, für die Achtung und Beachtung der Grundrechte zu sorgen und diese nicht gegenüber dem Infektionsschutzgesetz einfach hintanzustellen. Dies gilt umso mehr, als Bundeskanzler Scholz in seiner Regierungserklärung vor kurzem sagte, für ihn gäbe es keine roten Linien mehr.  Diese Aussage muss jeden Juristen erschaudern lassen.

Die rote Linie muss spätestens vor dem Grundgesetz gezogen bleiben, das bisher das Fundament unseres freiheitlichen Rechtsstaats war und es unbedingt bleiben sollte. 

Man darf gespannt sein, wie andere Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe gleichgelagerte Fälle beurteilen, bis das Bundesverwaltungsgericht eines Tages die endgültige Marschrichtung festlegt. 



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