Pflichtteilsrecht: Der Pflichtteilsverzicht und seine Auswirkungen auf die Abkömmlinge

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Es ist keiner gezwungen, Erbe oder Pflichtteilsberechtigter zu sein. Deshalb kann derjenige, der nicht erben oder auch keinen Pflichtteil erhalten will, gegenüber potentiellen Erblassern einen Erbverzicht oder einen Pflichtteilsverzicht zu erklären. Beide Verzichtserklärungen müssen von einem Notar beurkundet werden.

Wann ein Pflichtteilsverzicht sinnvoll sein kann

Verzichtsvereinbarungen können sinnvoll sein, um einen oder mehrere Berechtigte schon zu Lebzeiten der späteren Erblasser aus der Erbfolge herauszunehmen.

Beispiel: 

Die Eheleute A und B haben eine Handelsgesellschaft und mehrere Grundstücke. Sie wollen sich zur Ruhe setzen, möchten ihr Lebenswerk aber in der Familie behalten. Von den Kindern X, Y und Z kommt nur die Z aufgrund ihrer Ausbildung in Frage, das Unternehmen fortzuführen. Die Grundstücke sollen X und Y einst bekommen, aber A und B wollen sie noch nicht hergeben. Damit die Z das Unternehmen auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko fortführen kann, erhält sie die Handelsgesellschaft von ihren Eltern übertragen und im Gegenzug verzichtet sie auf ihren Erb- und Pflichtteil. Nach dem Tod von A und B erben X und Y die Grundstücke, von denen sie gut leben können.

Ein fairer und für alle Seiten erfreulicher Deal – und so hatte der Gesetzgeber sich dies auch gedacht: Der Erb- und oder Pflichtteilsverzicht erfolgt gegen eine angemessene Gegenleistung.

Die besondere Gefahr beim Pflichtteilsverzicht

Mitunter ist die Motivation künftiger Erblasser allerdings nicht ganz so wohlmeinend, wie im obigen Beispiel. Es gibt Erblasser, die ihre Kinder und Enkel ohne Gegenleistung aus der Erbfolge entfernen möchten, was das Gesetz sogar zulässt! Denn beim Pflichtteilsverzicht gibt es einen gefährlichen „Stolperstein“, der unserem Rechtssystem an sich fremd ist:

Der Pflichtteilsverzicht wirkt auch gegen die Abkömmlinge des Verzichtenden, das heißt gegen seine Kinder (und ggfls.) Enkel, sofern „nichts anders bestimmt wird“!

Die Folge: Wenn der Verzichtende nichts anderes bestimmt, erhalten seine Kinder (und ggfls. Enkel) für den Fall, dass sie von den Großeltern enterbt werden, ebenfalls keinen Pflichtteil – und dies, ohne vorher gefragt worden zu sein.

Dies ist ein – gesetzlich erlaubter! – Vertrag zu Lasten Dritter, der ansonsten nach unserem Recht null und nichtig, weil sittenwidrig wäre. Ein solcher Pflichtteilsverzicht mit Wirkung zu Lasten der Abkömmlinge ist sogar dann wirksam, wenn der Verzichtende gar keine Ausgleichszahlung erhalten hat!

Beispiel:

Das recht wohlhabende Ehepaar E hat drei Söhne, von denen der eine Sohn (S) schwerbehindert ist und als Erwerbsunfähiger staatliche Unterstützung bekommt. Das Ehepaar E möchte sein Testament machen, aber den S dabei „außen vor“ lassen. Sie möchten nicht, dass das Sozialamt dereinst auf das Erbe des S zurückgreift. Also überreden sie den S, mit ihnen zum Notar zu gehen und auf seinen Pflichtteil zu verzichten, und zwar ohne Gegenleistung. Der S, der selbst zwei Söhne hat, lässt dies auch mit sich geschehen, denn wehren kann er sich nicht. S ist aufgrund seiner Schwerbehinderung schwer depressiv und muss seit Jahren Medikamente einnehmen, die seine mentale Steuerungsfähigkeit beeinträchtigen. Der Notar murmelt zwar etwas von Auswirkungen auf die Abkömmlinge, was S aber nicht versteht. S unterschreibt den Erbvertrag.

Einige Jahre später verstirbt der S und wiederum einige Jahre später seine Eltern, die Eheleute E. Erst dann erfahren die Söhne des S von dem Testament ihrer Großeltern und davon, wie übel diese dem S mitgespielt hatten. Die empörten Söhne fragen, „was man da machen“ könne.

Hinweis:

Das Beispiel zeigt, wie sehr der Verzichtende dafür sorgen muss, dass zumindest seine Sprösslinge nicht übervorteilt werden! 

Wichtig: Der Notar muss den Verzichtenden eingehend belehren über die Auswirkung der Verzichtserklärung - und der Verzichtende sollte diese Belehrung auch einfordern!

Was die Gerichte zur Wirksamkeit von Pflichtteilsverzichtserklärungen sagen

Ein Erbvertrag mit Pflichtteilsverzichtserklärung ohne Gegenleistung könnte wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein. Einen Erbvertrag wegen Sittenwidrigkeit „anzufechten“, ist aber schwieriger, als einen Ehevertrag „anzufechten“, denn die Gerichte beurteilen Erbverträge anders als Eheverträge. Außerdem ist ein Verzicht ohne Gegenleistung mit Wirkung gegen Dritte gerade nicht sittenwidrig, wenn er gesetzlich erlaubt ist.

Bislang hat sich eine „Anfechtung“ von Pflichtteilsverzichtserklärungen wegen Sittenwidrigkeit in nur wenigen Fällen bei einigen Oberlandesgerichten durchsetzen können. Es waren Fällen von ganz besonders krasser Benachteiligung durch die Erblasser bzw. von besonders heiklen Umständen der Verzichtserklärung.

Hierzu hat das OLG Köln in einem obiter dictum ausgeführt, dass ausnahmsweise Sittenwidrigkeit angenommen werden könnte, „wenn ein todkranker Verzichtender in der sicheren Erwartung seines baldigen Todes allein deshalb einen Erbverzicht vereinbart, um das Erbrecht seiner Abkömmlinge auszuschalten.“ (Beschluss v. 02.06.2021, 2 Wx 145/21, BeckRs 2021, 21861, Rz. 13 m.w.N.).

Hinweis:

Wer sein behindertes und auf staatliche Leistungen angewiesenes Kind enterben möchte, weil er nicht will, dass der Staat sich am Nachlass „bedient“, dem sei folgendes empfohlen: Es gibt sogenannte Behindertentestamente, das ist eine besondere Art der Testamentsgestaltung. Diese macht es dem Sozialamt unmöglich, an den Nachlass zu gelangen, und zwar ohne dass das behinderte Kind deswegen enterbt werden müsste.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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