Pflichtverteidigung – wann kann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurückgenommen werden?

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Verteidigung durch einen Pflichtverteidiger 

In einem Strafverfahren steht es jeder Person grundsätzlich frei, die Hilfe eines Rechtsanwaltes als Verteidiger in Anspruch zu nehmen. Nur in ganz bestimmten Fällen muss ein Pflichtverteidiger vom Gericht beigeordnet werden. Man spricht in diesen Fällen von einer notwendigen Verteidigung. Die notwendige Verteidigung ist in § 140 StPO geregelt und liegt beispielsweise vor, wenn dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird oder wenn wegen besonderer Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.

Sollte man im Falle einer notwendigen Verteidigung noch keinen Verteidiger bevollmächtigt haben, wird das Gericht einen auffordern, innerhalb einer bestimmten Frist einen Verteidiger zu benennen. Kommt man dieser Aufforderung nicht nach, wird das Gericht einen – dem Gericht genehmen – Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger auswählen. Ein vom Gericht ausgewählter Rechtsanwalt wird die eigenen Interessen in der Regel jedoch nicht wahrnehmen, weshalb man von seinem Auswahlrecht auf jeden Fall Gebrauch machen, und selbst einen vertrauenswürdigen Verteidiger benennen sollte. Denn für eine erfolgreiche Verteidigung erfordert das Verhältnis zwischen einem Mandanten und seinem Anwalt ein besonderes Vertrauen.  

Wechsel des Pflichtverteidigers 

Aber was passiert, wenn ein Mandant seinen Pflichtverteidiger wechseln möchte oder wenn der Pflichtverteidiger seine Bestellung als Pflichtverteidiger zurücknehmen möchte?

Von einem einmal bestellten Pflichtverteidiger auf einen anderen Pflichtverteidiger zu wechseln ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings äußerst schwierig. Eine solche Entpflichtung, also die Ablösung des Pflichtverteidigers durch das Gericht, kommt nur bei wenigen Ausnahmen in Betracht. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist unter anderen dann aufzuheben, wenn konkrete Umstände vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigtem und seinem Verteidiger endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist, § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO.  

Wann ist eine Entpflichtung des Pflichtverteidigers möglich? 

Wann ein Pflichtverteidiger seine Bestellung als Pflichtverteidiger zurücknehmen kann, beschäftigte auch den Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 5. März 2020 (StB 6/20).

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall führt das Oberlandesgericht Celle gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“). Die Pflichtverteidiger, die dem Angeklagten vom Gericht beigeordnet worden waren, haben nach mehr als 180 Hauptverhandlungstagen beantragt, ihre Bestellung als Pflichtverteidiger zurückzunehmen, da das Vertrauensverhältnis zu dem Angeklagten vollständig zerrüttet sei. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats hat diesen Antrag nach vorheriger Anhörung des Angeklagten, der erklärt hat, er gehe nicht von einem zerrütteten Vertrauensverhältnis aus, abgelehnt. Hiergegen wandten sich die Pflichtverteidiger mit ihren Beschwerden und gaben an, dass der Angeklagte ohne jegliche Absprache mit ihnen seine Verteidigungsstrategie geändert und nach einer bestreitenden Einlassung im April 2019 am 180. Hauptverhandlungstag am 11. Februar 2020 nunmehr ein Geständnis abgelegt habe. Der Angeklagte habe Anfragen der Verteidiger, dies vorher zu besprechen, abgelehnt. Dadurch habe er zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit sei, mit den bestellten Pflichtverteidigern zusammenzuarbeiten, deren Rechtsrat nicht annehmen werde und eine „wirkliche“ Verteidigertätigkeit nicht gewünscht sei. Hierdurch sei der Verteidigung daher „jede Basis entzogen“ worden.

Wie hat der Bundesgerichtshof entschieden? 

Die sofortige Beschwerde der Pflichtverteidiger blieb erfolglos. Zwar seien die sofortigen Beschwerden nach §§ 143a Abs. 4, 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 Nr. 1 StPO statthaft und im Übrigen auch zulässig, jedoch unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung der Pflichtverteidiger nicht vorliegen.

Weder sei das Vertrauensverhältnis zwischen den Pflichtverteidigern und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch sei aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet, § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO.

Wann ist das Vertrauensverhältnis zwischen einem Mandanten und seinem Verteidiger endgültig zerstört? 

Der Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses sei die Sicht eines verständigen Angeklagten. Diese Störung sei von dem Angeklagten oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen. Unabhängig davon könne ein konkret manifestierter Interessenkonflikt einen Grund dafür bieten, die bestehende Bestellung aufzuheben, wenn ansonsten die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist.

Nach diesen Maßstäben rechtfertigen Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie für sich genommen die Entpflichtung nicht. Etwas andere könne mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnis allenfalls dann gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen. Vorliegend ergebe sich aus dem Vorbringen der Pflichtverteidiger jedoch kein Grund für eine Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung.

Der Angeklagte habe nach wie vor Vertrauen in seine Pflichtverteidiger. Er hat erklärt, dass er nicht von einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses ausgehe und im Fortgang des Verfahrens auf anwaltliche Hilfe angewiesen sei, sodass nicht ersichtlich sei, dass er von ihnen in Zukunft anwaltlichen Rat nicht annehmen werde.

Der Bundesgerichtshof wies zudem darauf hin, dass berücksichtigt werden müsse, dass der Angeklagte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Ausübung seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 I, III Buchst. C EMRK maßgeblich auf seine Verteidigungsstrategie einwirken können muss. Ihm stehe – grundsätzlich beraten durch seine Verteidiger – insoweit die letzte Entscheidungskompetenz zu. Diese habe der Angeklagte vorliegend auch ausgeübt, indem er sich dazu entschieden hat, nun doch ein Geständnis abzulegen. Dies sei von den Pflichtverteidigern hinzunehmen. Auch, wenn der Angeklagte es entsprechend dem Beschwerdevorbringen abgelehnt hat, vor Abgabe des Geständnisses dieses mit den Pflichtverteidigern durchzusprechen, belege dies eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht.

Der Bundesgerichtshof kam daher zu dem Schluss, dass der Antrag der Pflichtverteidiger auf Rücknahme der Verteidigerbestellung von dem Vorsitzenden des Strafsenats zu Recht abgelehnt worden war. Die Pflichtverteidiger müssen den Angeklagten also weiterhin verteidigen.


Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin


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