Recht eines GmbH-Gesellschafters auf Einsicht in die Unterlagen der Gesellschaft. Strafrechtliche Konsequenzen nach polnischem Strafrecht für die Gesellschafter, die eine solche Einsicht ohne begründeten Missbrauchsverdacht verweigern.

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Mit großem Enthusiasmus haben wir das Urteil des polnischen Obersten Gerichts vom 29. September 2020, Az: V KK 633/19, LEX Nr. 3059920, in einer Strafsache über die Verhinderung des Zugangs eines Gesellschafters zu Gesellschaftsdokumenten, begrüßt. Anwälte, die sich in ihrer beruflichen Tätigkeit mit der praktischen Anwendung des Gesellschaftsrechts und insbesondere mit der Lösung von Konflikten zwischen Gesellschaftern befassen, wissen aus eigener Erfahrung, wie die Durchsetzung der Rechte des Gesellschafters aussieht.

In diesem Beitrag werden wir uns mit den rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der häufigsten Gesellschaftsform in Polen, nämlich der Gesellschaft mit beschränkter Haftung befassen.

Sicherstellung der Interessen des Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag

Die Interessen des Gesellschafters sind im Gesellschaftsvertrag oft unzureichend abgesichert. Die Phase der Aushandlung des Gesellschaftsvertrags ist normalerweise die letzte Gelegenheit für den Gesellschafter, um seine Interessen abzusichern. In dieser Phase sind die Geschäftspartner von der Begeisterung für ihr neues gemeinsames Unternehmen jedoch so überwältigt, dass sie nicht daran denken, sich für mögliche Konfliktsituationen in der Zukunft abzusichern. Oftmals gehen sie auch davon aus, dass das Aushandeln des Gesellschaftsvertrags von den anderen Partnern als mangelndes Vertrauen angesehen wird und von Anfang an zu Konflikten führen kann. Aufgrund dessen und um Kosten einzusparen, lassen in der Regel alle Gesellschafter einen gemeinsamen Gesellschaftsvertrag von einem Anwalt entwerfen. Dies stellt keine sinnvolle Lösung dar. Ist der Gesellschaftsvertrag, der im Falle einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung einer notariellen Urkunde bedarf (Art. 157 § 2 des polnischen Gesetzbuches für Handelsgesellschaften), einmal abgeschlossen, ist es schwierig, ihn neu zu verhandeln und zu ändern. Nicht nur wegen der Kosten und der Notwendigkeit, die Änderungen an das Handelsregister zu melden, sondern auch aus praktischen Gründen. Einige Partner könnten zum Beispiel im Ausland leben.

▪ Entstehung von Konflikten zwischen Gesellschaftern

Die ersten Konflikte zwischen den Gesellschaftern entstehen in der Regel, wenn die Gesellschaft nicht die erwarteten Erträge erwirtschaftet und Verluste macht oder im Gegenteil hohe Gewinne erzielt. Im ersten Fall geben sich die Partner gegenseitig die Schuld für ihre Misserfolge. Im zweiten Fall versuchen Partner, die zu hohen Gewinnen beigetragen haben, einen Gesellschafter, der ihrer Meinung nach unzureichend an der Entwicklung des Unternehmens beteiligt war, von der Beteiligung an diesen Gewinnen auszuschließen. Die Gründe für Konflikte zwischen den Partnern können natürlich ganz unterschiedlicher Natur sein. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs finden sich interessante Beispiele für Konflikte zwischen Gesellschaftern, in denen es um den Ausschluss eines Gesellschafters geht.

Das Scheitern eines Unternehmens kann einerseits aus wirtschaftlichen Gründen erfolgen. Andererseits kann das Scheitern des Unternehmens auch durch Handlungen anderer Gesellschafter verursacht werden, die dem Unternehmen Geld entzogen haben, z. B. durch überhöhte Verträge oder Gehälter. In diesem Fall können Schadensersatzpflichten und strafrechtliche Sanktionen eine Rolle spielen.

▪ Recht zur Kontrolle

Art.  212 des polnischen Getzbuches über Handelsgesellschaften

§  1.  Das Recht zur Kontrolle steht jedem Gesellschafter zu. Zu diesem Zweck kann der Gesellschafter oder der Gesellschafter zusammen mit einer von ihm ermächtigten Person jederzeit die Bücher und die Unterlagen der Gesellschaft einsehen, eine Bilanz zum eigenen Gebrauch erstellen und Aufklärung von der Geschäftsführung verlangen.

§  2.  Die Geschäftsführung kann dem Gesellschafter die Aufklärung und die Zugänglichmachung der Bücher und der Unterlagen der Gesellschaft zur Einsicht verweigern, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass der Gesellschafter diese zu Zwecken verwendet, die den Interessen der Gesellschaft widersprechen, und dadurch der Gesellschaft einen erheblichen Schaden zufügt.

§  3.  In dem in § 2 genannten Fall kann der Gesellschafter eine Entscheidung über die Angelegenheit durch Gesellschafterbeschluss verlangen. Der Beschluss ist innerhalb eines Monats ab dem Tag der Einreichung des Begehrens zu fassen.

§  4.  Der Gesellschafter, dem die Erläuterungen oder die Einsicht in die Unterlagen oder die Bücher der Gesellschaft verweigert wurde, kann beim Registergericht einen Antrag auf die Verpflichtung der Geschäftsführung zur Erteilung von Erläuterungen oder zur Zugänglichmachung der Unterlagen oder der Bücher der Gesellschaft stellen. Der Antrag ist innerhalb einer Frist von sieben Tagen nach dem Tag des Erhalts der Benachrichtigung über den Beschluss oder nach Ablauf der in § 3 bestimmten Frist zu stellen, wenn innerhalb dieser Frist kein Gesellschafterbeschluss gefasst worden ist.

Im Falle eines Konflikts mit einem Gesellschafter weigert sich die, von den anderen Gesellschaftern kontrollierte, Geschäftsführung der Gesellschaft in der Regel, Einsicht in die Bücher und Unterlagen der Gesellschaft zu geben. Sie berufen sich dabei auf die  Befürchtung, dass der Gesellschafter die Unterlagen gegen die Gesellschaft verwenden würde, z.B. durch Weitergabe an Konkurrenten. Die Verweigerung der Einsichtnahme in die Bücher und Unterlagen der Gesellschaft kann von einer Klage auf Ausschluss des Gesellschafters aus der Gesellschaft mit beschränkter Haftung gemäß Artikel 266 § 1 des Gesetzes über Handelsgesellschaften begleitet sein. Natürlich hat ein Gesellschafter die Möglichkeit einen Beschluss der Gesellschafter zu verlangen. Bei einer Polarisierung des Konflikts, d.h. ein Gesellschafter gegen die übrigen Gesellschafter, ist ein positiver Gesellschafterbeschluss jedoch nur schwer vorstellbar. In einem solchen Fall kann ein Gesellschafter einen Antrag beim Registergericht (Klage auf Akteneinsicht) stellen, um die Geschäftsführung zu verpflichten, Erklärungen abzugeben oder Dokumente oder die Bücher der Gesellschaft zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen. Nach Erfahrungen der Kanzlei kann das Verfahren zur Erlangung des Zugangs zu Dokumenten durch ein Registergericht jedoch sehr langwierig sein. Darüber hinaus stellen sich viele praktische Probleme bei der Erlangung des Zugangs zu Unternehmensdokumenten durch ein Registergericht.

▪ Strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Unterschlagung von Dokumenten

Derzeit müssen auch Personen, die Firmenunterlagen verstecken, mit einer Strafe nach Art. 276 des polnischen Strafgesetzbuchs rechnen. Dieser besagt, wer eine Urkunde, die nicht ausschließlich ihm gehört, vernichtet, beschädigt, unbrauchbar macht, verbirgt oder entfernt, ist mit Geldstrafe, Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

Der polnische Oberste Gerichtshof hat in der oben erwähnten Entscheidung vom 29. September 2020 festgestellt, dass "die Weigerung, den Aufbewahrungsort der Dokumente, die mit der Tätigkeit der oben genannten Gesellschaften zusammenhängt, preiszugeben, ein Verhalten darstellt, das im Prinzip nur mit direktem Vorsatz ausgeführt werden kann." Darüber hinaus stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass die Intention, die Interessen des Unternehmens zu schützen, das Fehlen von Vorsatz auf Seiten der Beklagten nicht ausschließt. Es sei darauf hingewiesen, dass die Intention, die Interessen der Gesellschaft zu schützen, ein klassischer Grund ist, um einem Gesellschafter den Zugang zu Dokumenten zu verweigern.

Darüber hinaus wies das Oberste Gericht auf einen weiteren wichtigen Umstand hin, "(...) dass die Möglichkeit der Ausübung der Rechte des Gesellschafters einer Gesellschaft im Sinne von Art. 212 des polnischen Handelsgesellschaftsgesetzbuches (insbesondere der Zugang zu Dokumenten oder Unterlagen der Gesellschaft) die Möglichkeit der Begehung der in Artikel 276 des polnischen  Strafgesetzbuchs genannten Straftat nicht ausschließt."

▪ Fazit

Für den Fall, dass ein Gesellschafter keinen Zugang zu den Dokumenten der Gesellschaft erhält oder den Verdacht hat, dass die anderen Gesellschafter nicht alle Informationen mit ihm teilen, sowie bei Konflikten innerhalb der Gesellschaft, sollte der Gesellschafter seine Situation mit einem erfahrenen Anwalt analysieren. Wenn der Gesellschafter ein Ausländer ist, sollte er die Hilfe einer polnischen Anwaltskanzlei in Anspruch nehmen. Unserer Erfahrung nach haben verschiedene Länder unterschiedliche Rechtskulturen. Das Verhalten eines Gesellschafters, das in einem anderen Land als normale Ausübung der Gesellschaftsrechts angesehen wird, kann in Polen als Schikane gegenüber den anderen Gesellschaftern und der Gesellschaft betrachtet werden. Ein Gesellschafter einer deutschen oder niederländischen GmbH kann in seinem Heimatland andere Rechte haben als ein Gesellschafter einer polnischen GmbH. Ein Gesellschafter einer polnischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung sollte innerhalb der Grenzen der Vorschriften des polnischen Gesetzes  handeln.

Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar. Das Gesellschaftsrecht ist eines der komplexesten Rechtsgebiete und erfordert professionelle Rechtsberatung.

Berlin, den 11.02.2021

Pawel Majewski, LL.M.

Polnischer Anwalt


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