Verfassungsgericht entscheidet für Bußgeldverfahren: Messdateien des Betroffenen sind herauszugeben

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Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Beschluss vom 27.04.2018 einen insoweit bahnbrechenden und wegweisenden Beschluss gefasst, der für die Verteidigung in Bußgeldsachen zukünftig enorme Bedeutung haben wird. Das Verfassungsgericht hat die Rechte der Verteidigung in Bußgeldsachen und damit die Rechte des Betroffenen massiv gestärkt.

Zusammengefasst hat der Verfassungsgerichtshof gesagt:

  1. Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei (also der Messdateien des Betroffenen) verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.
  2. Das aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgende Gebot der Waffengleichheit erfordert, dass im Bußgeldverfahren ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen.

Diese an und für sich als selbstverständlich zu erachtenden Ausführungen waren bislang keineswegs selbstverständlich. So haben Bußgeldbehörden – nicht nur im Hinblick auf das verwendete Gerät Poliscan Speed, sondern auch bei den Geräten Leivtec, Traffistar, ES3.0, SpeedoPhot, etc. – die Herausgabe von Messdateien sowie Passwort und Schlüssel für diese Dateien verweigert. Die Gerichte haben das teilweise unterstützt und behauptet, der Verteidiger müsse zunächst einmal Anhaltspunkte vortragen, die die Herausgabe dieser Daten rechtfertigen. Dieser von diversen Gerichten und Kommentatoren zutreffend als „Teufelskreis“ bezeichneten Argumentation hat das Verfassungsgericht nunmehr einen Riegel vorgeschoben.

Das Verfassungsgericht hat es als Willkür (!) des Gerichts und Unfairness (!) bezeichnet, wenn bei nicht Zugänglichmachung, also vorheriger Nichtherausgabe der Messdaten, ein Beweisantrag des Verteidigers mit der Begründung abgelehnt wird, es seien keine Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt. Auf den Punkt gebracht kann man sagen, dass das Verfassungsgericht festgestellt hat, dass die erwähnten Messdaten dem Verteidiger immer zur Verfügung zu stellen sind, auch wenn kein konkreter Vortrag zu Messfehlern erfolgt ist. Denn gerade diese Messfehler zu finden, ist Sinn der Einsicht in diese Daten.

Weiter hat das Verfassungsgericht festgestellt, dass der Verteidiger die Messdaten auch nicht in den Räumen der Bußgeldbehörde einsehen muss, sondern dass diese Dateien dem Verteidiger oder dem von ihm beauftragten Sachverständigen zu übersenden sind.

Zwar hat hier „nur“ der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes beurteilt, nichtsdestotrotz befasst sich der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung mit den gängigen Urteilen und Beschlüssen der Oberlandesgerichte deutschlandweit und hat deren – teilweise nur als abenteuerlich zu bezeichnende – Rechtsprechung eine Absage erteilt. Es ist zu erwarten, dass andere Verfassungsgerichtshöfe in anderen Bundesländern gleichlautend entscheiden werden.

Betroffenen von Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Abstandsverstößen kann daher nunmehr nur der Rat gegeben werden, entsprechende Bußgeldbescheide erst recht nicht mehr zu akzeptieren und sich an einen im Verkehrsrecht erfahrenen Anwalt zu wenden und die Messung überprüfen zu lassen. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist zu erwarten, dass zukünftig dabei alle Messdaten herausgegeben werden müssen, was die Verteidigungsmöglichkeiten noch weiter stärkt. Die Rechtsanwälte der Kanzlei WTB Rechtsanwälte stehen Ihnen hierbei gerne zur Verfügung.

(VerfGH Saarland, Beschluss vom 27.04.2018 – Lv 1/18)



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