Vermögensabschöpfung / Einziehung gem. §§ 73 ff. StGB auch bei verjährten Straftaten - kein Rückwirkungsverbot laut Bundesverfassungsgericht

  • 6 Minuten Lesezeit

Seit dem 01.07.2017 ist das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in Kraft. Allgemeine Infos zur Einziehung finden Sie in meinem gesonderten Rechtstipp.


1. Neue Rechtslage

In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber auch die Verjährung der Einziehung neu geregelt und in § 76b Abs. 1 StGB die Verjährung mit 30 Jahren ab Beendigung der Tat festgeschrieben. Die selbständige Einziehung von Taterträgen ist nach dem neuen Recht auch in dem Fall zulässig, in dem die zu Grunde liegende Straftat bereits verjährt ist. Damit wurde die selbständige Einziehung von Taterträgen nunmehr von der Verjährung der Erwerbstat entkoppelt. In Art. 316h EGStGB wurde außerdem geregelt, dass für alle Verfahren, in welchen nicht bis zum 01.07.2017 ein Urteil erster Instanz ergangen ist, das neue Recht Anwendung findet.

Unter Juristen war streitig, ob dies einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstellt. Diese Ansicht wurde natürlich vorwiegend von Strafverteidigern vertreten – im Interesse ihrer Mandanten.


2. Alte Rechtslage

Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Reformgesetzes war die Abschöpfung von Taterträgen (früher als „Verfall“ bezeichnet) bei Verfolgungsverjährung der zugrundeliegenden Straftat regelmäßig ausgeschlossen. § 76a Abs. 1 StGB alte Fassung (a.F.) erlaubte eine selbständige Verfallsanordnung nur in den Fällen, in welchen die rechtswidrige Tat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr verfolgt werden konnte. War Verjährung eingetreten, schied eine selbständige Verfallsanordnung aus.


3. Die Entscheidung auf den Punkt gebracht

Im Beschluss vom 10.02.2021 (2 BvL 8/19) hat der 2. Senat am Bundesverfassungsgericht nun die Frage geklärt, ob Vermögenswerte aus Straftaten eingezogen werden dürfen/müssen, auch wenn die Straftat selbst bereits verjährt ist.

Die Frage hatte das höchste deutsche Strafgericht, der Bundesgerichtshof (BGH), dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage bejaht.

Juristisch formuliert, hat das Bundesverfassungsgericht geprüft, ob Artikel 316h Satz 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist, weil der Gesetzgeber im Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 in § 76a Absatz 2 Satz 1 StGB in Verbindung mit § 78 Absatz 1 Satz 2 StGB sowie § 76b Absatz 1 StGB die Einziehung auch in Fällen für anwendbar erklärt hat, in denen hinsichtlich der rechtswidrigen Taten, aus denen der von der selbständigen Einziehung Betroffene etwas erlangt hat, bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung (§ 78 Absatz 1 Satz 1 StGB) eingetreten war.


4. Das zugrunde liegende Verfahren

Im zugrunde liegenden Fall, hatte das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 17.10.2017 den Leiter eines fleischverarbeitenden Unternehmens und den Geschäftsführer eines Personaldienstleistungsunternehmens vom Vorwurf der Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang aus grobem Eigennutz bzw. der Beihilfe hierzu wegen absoluter Verjährung freigesprochen. Gegen die beiden von den Angeklagten geführten Unternehmen, welche als Nebenbeteiligte am Verfahren teilgenommen hatten, ordnete das Landgericht Oldenburg die Einziehung von 10.598.676,48 Euro (gegen das fleischverarbeitende Unternehmen) und von 72.091,47 Euro (gegen das Personaldienstleistungsunternehmen) an. Gegen die Einziehungsentscheidung hatten die beiden Unternehmen Revision eingelegt.

Der für die Revision zuständige 3. Senat beim BGH hat mit Beschluss vom 07.03.2019 das Revisionsverfahren die beiden Firmen betreffend ausgesetzt und nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die zu Beginn erwähnte Frage, ob Vermögenswerte aus Straftaten eingezogen werden dürfen, auch wenn die Straftat selbst bereits verjährt ist dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Bundesgerichtshof hat die - verteidigerfreundliche - Ansicht vertreten, dass Art. 316h Satz 1 EGStGB verfassungswidrig sei, weil er die Anforderungen verletze, die für rückwirkende Gesetze im Hinblick auf die im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gälten. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG läge nicht vor. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats hatte  eine Stellungnahme übermittelt, nach der seitens dieses Strafsenats keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neuregelung bestünden.


5. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Detail

a)

Die Einziehung von Taterträgen oder deren Wert ist keine Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG.

Die Vermögensabschöpfung, wie sie durch das Reformgesetz vom 13. April 2017 geregelt wurde, ist keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe. Entsprechend hatte das Bundesverfassungsgericht bereits zum Verfall nach altem Recht entschieden. Ziel des Verfalls war nicht die Zufügung eines Übels, sondern die Beseitigung eines Vorteils, dessen Verbleib den Täter zu weiteren Taten hätte verlocken können. Seine Anordnung erfolgte nicht, um dem Betroffenen die Begehung der Herkunftstat vorzuhalten und über sie ein sozial-ethisches Unwerturteil zu sprechen. Sie zielte vielmehr darauf, einen rechtswidrigen Zustand für die Zukunft zu beseitigen. Diese Intention des historischen Gesetzgebers sollte mit der aktuellen Reform nicht geändert werden.

b)

Der Prüfungsmaßstab für Art. 316h Satz 1 EGStGB ergibt sich ausschließlich aus dem allgemeinen Rückwirkungsverbot. Hiernach liegt eine – ausnahmsweise zulässige – Rückbewirkung von Rechtsfolgen vor.

Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes jedoch nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war. Die hier zu beurteilende „echte“ Rückwirkung durch Anwendung des neuen Vermögensabschöpfungsrechts auf Sachverhalte, in denen hinsichtlich der Erwerbstat bei Inkrafttreten des Reformgesetzes bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war, ist durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt. Dieses Ziel ist überragend wichtig. Die vermögensordnende Funktion des Vermögensabschöpfungsrechts ist nicht auf eine weitgehend wertneutrale Vermögenszuordnung gerichtet, sondern findet ihren Ausgangspunkt in den strafrechtlichen Bewertungen des Gesetzgebers. Durch die Vermögensabschöpfung soll in normbekräftigender Weise sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird und deshalb keinen Bestand haben kann. Die Entziehung solcher strafrechtswidrig erlangter Werte soll die Gerechtigkeit und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken. Dahinter, so das Bundesverfassungsgericht, muss der Vertrauensschutz des von der Einziehung Betroffenen zurücktreten.


6. Folgen für die Praxis

Für die Praxis bedeutet dies eine weitere Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten gegen eine strafrechtliche Einziehungsentscheidung. Daher ist es wichtig, dass die Einziehung bereits frühzeitig mitbedacht wird und alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um sie zu verhindern oder zu einem Absehen von der Einziehung zu gelangen.

Unternehmen, die mit einer Einziehung konfrontiert werden, sollten umgehend ebenfalls einen versierten Verteidiger zuziehen, um prüfen zu lassen, ob die Maßnahmen der Einziehung zutreffend sind.

Die neuen Regelungen sind für die Staatsanwaltschaft und das Gericht zwingend und ein Absehen nur in wenigen Fällen möglich. Ein Vermögensarrest kann weitreichende Folgen für Privatpersonen und Firmen haben, wenn Konten / Vermögenswerte "eingefroren" werden. Umso wichtiger ist es so schnell und so früh wie möglich einen versierten Strafverteidiger einzuschalten, der neben der reinen Strafverteidigung auch das "Risiko" der Einziehung mit einbezieht.

RA Hamm hat sich u.a. auf die Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren spezialisiert und ist deutschlandweit tätig. In diesem Zusammenhang setzt er sich regelmäßig auch mit der Einziehung von Tatmitteln / Taterträgen auseinander. Am besten melden Sie sich gleich, wenn Ihnen der Vorwurf einer Straftat gemacht wird. Gleiches gilt, wenn Ihnen ein Arrestbeschluss zugestellt wird - egal, ob Sie Beschuldigter oder Dritter sind. Machen Sie bitte gegenüber den Ermittlungsbehörden bzw. dem Gericht keine Angaben, ohne mit einem spezialisierten Anwalt gesprochen zu haben. Melden Sie sich gleich. Nur so kann RA Hamm frühzeitig für Sie tätig werden und alle Möglichkeiten im Strafverfahren für Sie geltend machen.


Rechtsanwalt Werner Hamm

Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA)

Bogdahn & Partner mbB Rechtsanwälte



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Werner Hamm

Beiträge zum Thema