Vorladung oder Strafbefehl unerlaubtes Entfernen vom Unfallort? Fahrerflucht – Fachanwalt für Verkehrsstrafrecht

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Im Straßenverkehr lauern zahlreiche Gefahren - insgesamt registrierte die Polizei im Jahr 2022 rund 2,4 Millionen Unfälle im Straßenverkehr. In 290 000 Fällen kam es dabei auch zu Personenschäden, 2,1 Millionen Unfälle zogen lediglich einen Sachschaden nach sich. Die Wahrscheinlichkeit als Teilnehmer am Straßenverkehr in einen Unfall verwickelt zu werden, ist also nicht gerade gering.


In all diesen Fällen haben die Unfallbeteiligten ein Interesse daran, die Kontaktdaten des Unfallgegners zu erhalten, insbesondere um die gegenseitige Regulierung der Schäden über die Kfz-Versicherung zu erreichen.


Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Gesetzgeber zur Sicherung der gegenseitigen Ansprüche eine Regelung geschaffen hat, die das unerlaubte Entfernen vom Unfallort sanktioniert. 


Fahrerflucht - Straftat oder Ordnungswidrigkeit?


Zahlreiche Verfehlungen, die im Straßenverkehr geschehen, werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Das bedeutet, dass als Sanktionen „lediglich“ Bußgelder, die allseits bekannten „Punkte in Flensburg“, aber unter Umständen auch ein Fahrverbot drohen. Doch auch die Begehung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr ist nicht zu unterschätzen. Die Bußgelder können mitunter recht hoch sein und insbesondere, wenn man auf sein Auto angewiesen ist, ist ein Fahrverbot oder gar der Verlust der Fahrerlaubnis teils verheerend.


Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort stellt aber eine Straftat dar, die in § 142 StGB mit Geldstrafe bis hin zu einer Freiheitsstrafe bedroht ist. Darüber hinaus können auch Fahrverbote ausgesprochen werden.


Zwar kam erst dieses Jahr aus dem Bundesjustizministerium der Vorstoß, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort bei bloßen Sachschäden als Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Dieser Vorschlag ist bislang jedoch nicht auf offene Ohren gestoßen und wurde unter anderem von der Justizministerkonferenz der Länder im November 2023 abgelehnt. Eine Herabstufung als Ordnungswidrigkeit würde zulasten der redlichen und verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer gehen, da eine Zunahme des Verhaltens befürchtet wird, wenn die Strafbarkeit abgeschafft würde. Es ist also davon auszugehen, dass eine solche Tat auch in Zukunft mit erheblichen Sanktionen bedroht bleibt.


Wie hoch ist die Strafe für Unfallflucht / Strafe für unerlaubtes Entfernen vom Unfallort?

Grundsätzlich droht bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.


Darüber hinaus ist aber zu beachten, dass gerade bei Delikten wie Fahrerflucht die Anordnung eines Fahrverbots im Raum steht. Dies wiederum kann nicht nur unpraktisch sein, sondern – soweit man beruflich auf seine Fahrerlaubnis und die Möglichkeit, Auto zu fahren, angewiesen ist, sich sogar nachteilig auf den Beruf auswirken, schlimmstenfalls zum Verlust des Jobs führen.


Wann macht man sich wegen Fahrerflucht, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort strafbar?

Stark vereinfacht ausgedrückt, sanktioniert die Strafnorm des unerlaubten Entfernens vom Unfallort, das Unterlassen der Ermöglichung der Feststellung seiner Beteiligung an einem Unfall, wenn man möglicherweise im Straßenverkehr an einem Unfall beteiligt war.


Allerdings sind hier einige Details und Ausnahmen, spezifische Regeln rund um die Strafbarkeit wegen Fahrerflucht, zu beachten, wie beispielsweise: „wie lange muss ich nach einem Unfall warten, bis jemand kommt und meine Personalien aufnehmen kann?“, „Genügt es, wenn ich nach einem Unfall einen Zettel mit meinen Kontaktdaten an die Windschutzscheibe klemme?“ oder „mache ich mich auch strafbar, wenn ich nach einem Unfall zwar nicht warte, aber zur nächsten Polizeistelle fahre und mich dort melde?“


Was ist ein Unfall im Straßenverkehr im Sinne des unerlaubten Entfernens vom Unfallort?


Ein Unfall im Straßenverkehr ist jedes plötzliche Ereignis im öffentlichen Verkehr, welches aus den Gefahren, die typisch für den Straßenverkehr sind, herrührt und bei dem ein Personen- oder Sachschaden entstanden ist. Daher sind all solche Konstellationen erfasst, bei denen durch ein Fahrzeug - Auto, Fahrrad, E-Scooter - ein Schaden verursacht wird. Auch das Beschädigen eines anderen parkenden Fahrzeugs oder eines Straßenpollers erfüllt die Voraussetzungen. Es ist nicht notwendig, dass ein Unfallgegner vor Ort ist.


Mangels typischen Bezugs zum Straßenverkehr lehnte allerdings das Amtsgericht Dortmund beispielsweise eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bei den sog. „Einkaufswagen-Fällen“ ab, also die Kollision eines Einkaufswagens auf einem Parklplatz mit einem Fahrzeug (vgl. AG Dortmund, Beschluss v. 01.09.2020 – 723 Cs – 268 Js 1007/20 – 276/20 m.w.N.).

Aus demselben Grund lehnte das AG Berlin-Tiergarten das Vorliegen eines Unfalls im Straßenverkehr im Sinne der Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort für den Fall ab, dass ein Gegenstand während des Beladens oder Entladens eines Lkw „auf einen daneben stehenden Pkw fällt“ (AG Berlin-Tiergarten, Beschluss v. 16.07.2008 – (290 Cs) 3032 PLs 5850/08 (145/08) in NJW 2008, 3728).


Der BGH verneinte einen Unfall im Straßenverkehr in diesem Sinne in einem Fall, in dem die Beschuldigte „mit der Stoßstange ihres Kraftfahrzeugs gegen das Knie des Zeugen“ fuhr, dieser aber keine Schmerzen und auch keine Verletzungen daraus erlitt. Damit fehlte es in diesem Fall an einem Personenschaden. Vgl. BGH, Beschluss v. 19.08.2021 – 4 StR 137/21.


Wann bin ich Unfallbeteiligter?

Beteiligter am Unfall sind Sie dann, wenn Ihr Verhalten zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann (§ 142 Abs.5 StGB). Dabei ist es unerheblich, ob Sie den Unfall durch einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung oder sonst schuldhaft verursacht haben. Es spielt ebenfalls keine Rolle, wenn Sie der Auffassung sind, Sie träfe keine Schuld am Unfall. Die Beteiligung an einem Unfall ist nicht nur auf solche Vorgänge beschränkt, die sie willentlich verursacht haben. Nur wenn die Mitverursachung zweifelsfrei bereits vor Ort ausgeschlossen werden kann, dürfen Sie sich entfernen.

Besteht die Möglichkeit, dass Sie mit ihrem Verhalten eine Ursache für den Unfall gesetzt haben und wird aber im späteren Verfahren festgestellt, dass sie nicht beteiligt waren, können Sie dennoch wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bestraft werden.

Entscheidend ist die Bewertung der Situation im Zeitpunkt des Unfalls.

Unfallbeteiligter kann danach auch ein Fußgänger oder Radfahrer, sogar der Beifahrer sein, wenn er eine Ursache für den Unfall gesetzt hat.


Welche Pflichten treffen mich bei einem Unfall im Straßenverkehr?


Sinn und Zweck der Strafnorm ist es, für die Beteiligten am Unfall die Möglichkeit zu wahren eventuell bestehende Schadensersatzansprüche gegenüber dem richtigen Unfallgegner geltend machen zu können. Ist der Unfallgegner einmal verschwunden so ist es in den meisten Fällen unmöglich und wenn, dann nur mithilfe eines großen Aufwands, die Kontaktdaten der Person zu ermitteln.


Daher wird gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestraft, wer als Unfallbeteiligter sich vom Unfallort entfernt, ohne „durch seine Anwesenheit und durch die Angabe“, am Unfall beteiligt gewesen zu sein, ermöglicht zu haben, dass Angaben zu seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art der Beteiligung am Unfall festgestellt werden konnten. Berechtigt zur Entgegennahme der Angaben sind dabei die anderen Unfallbeteiligten und die Geschädigten. Darüber hinaus können die Daten auch an sogenannte feststellungsbereite Personen übermittelt werden. Hierzu zählt insbesondere die Polizei, aber auch jeder Passant, der bereit ist, die Daten an den Geschädigten oder Unfallbeteiligten weiterzugeben.


Ist gerade keine feststellungsbereite Person am Unfallort anwesend, so trifft den Unfallbeteiligten zunächst eine Wartepflicht (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Hiermit sollen solche Konstellationen abgedeckt werden, bei denen z.B. ein parkendes Fahrzeug beschädigt wird und der Eigentümer gerade nicht vor Ort ist.


Wie lange muss ich nach einem Unfall im Straßenverkehr am Unfallort warten?


Das Gesetz schreibt keine konkrete Zeitspanne vor, die Sie als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr zu warten verpflichtet sind. Die Beurteilung, wie lange am Unfallort gewartet werden muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wird in der Rechtsprechung von Fall zu Fall unterschiedlich bewertet. Als Faustregel kann sich gemerkt werden:


Je schwerer die Unfallfolgen und je unübersichtlicher und schwer zu rekonstruieren das Unfallgeschehen ist, umso länger muss ich warten. 

Auch Faktoren wie die voraussichtliche Dauer des Eintreffens von feststellungsbereiten Personen, damit zusammenhängend auch die Tageszeit bzw. Nachtzeit sowie der Ort des Unfalls (mitten in der Stadt oder auf einer verlassenen Waldstraße?) und die Witterungsverhältnisse.

Sie sehen: Es kommt hier sehr stark auf den konkreten Einzelfall an, sodass eine pauschale Aussage zu notwendigen Wartezeiten nicht möglich ist.


Die Rechtsprechung hat zum Beispiel bei der Beschädigung eines Zaunes oder Baumes zur Nachtzeit eine Wartezeit von 30 Minuten angenommen. Im Falle der Tötung oder schweren Körperverletzung dagegen beträgt die Wartefrist wenigstens eine Stunde. Bei einer viel befahrenen Straße und einem kleinen Sachschaden sind 10 Minuten Wartezeit nicht ausreichend.


Beachtet werden muss, dass eine Wartepflicht nicht allein deswegen entfällt, weil der Unfallbeteiligte entschlossen ist sich später beim Geschädigten zu melden und den Schaden zu ersetzen. Es ist auch nicht ausreichend, allein einen Zettel unter den Scheibenwischer zu klemmen oder die Polizei zu informieren und sich dann zu entfernen. Solche Handlungen können lediglich zum Verkürzen der Wartezeit führen.


2018 stellte der Bundesgerichtshof (4 StR 583/17) fest, dass den Unfallbeteiligten auch eine Vorstellungspflicht trifft. Gibt sich ein Unfallbeteiligter am Unfallort nicht als solcher zu erkennen, gibt Schilderungen gegenüber der Polizei ab und verlässt danach den Ort, so liegt dennoch eine Strafbarkeit nach § 142 StGB vor.


Was muss ich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr tun, wenn die Wartezeit abgelaufen ist?


Doch selbst wenn die Wartezeit abgelaufen ist und keine feststellungsbereite Person erschienen ist, so besteht nach Absatz 2 der Norm die Pflicht, die Feststellungen zu Person, Fahrzeug und Unfallbeteiligung auch nachträglich zu ermöglichen. Hierfür muss der Unfallbeteiligte eine naheliegende Polizeidienststelle aufsuchen und seine persönlichen Daten mitteilen. Aus den Reihen der Justizministerkonferenz kam ebenfalls im November dieses Jahr der Vorschlag, eine digitale Meldestelle für Verkehrsunfälle einzuführen. Ob dies in naher Zukunft umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.


Wie verhalte ich mich, wenn ich befürchte, Unfallbeteiligter gewesen zu sein, aber keine Feststellungen zu meiner Person ermöglicht habe?


Das Gesetz eröffnet die Möglichkeit die Strafe zu mildern und sogar ganz davon abzusehen, wenn man sich bei der Verursachung eines kleineren Sachschadens an ruhenden oder parkenden Fahrzeugen freiwillig innerhalb von 24 Stunden meldet. Von der Anwendung dieser Regelung sind beispielsweise auch Kollisionen mit Straßenschildern, Pollern oder Gartenzäunen erfasst.


Wenn Sie unsicher sind, wie Sie sich verhalten sollen, nehmen Sie am besten so schnell wie möglich Kontakt zu einem Fachanwalt für Strafrecht auf.


Mache ich mich wegen Fahrerflucht strafbar, wenn ich den Unfall gar nicht bemerkt habe?


Ja. Ansonsten fehlt es nämlich am Vorsatz auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort, welcher für die Strafbarkeit notwendig ist.

Nach einem Beschluss des Kammergerichts vom 08.07.2015 (3) 121 Ss 69/15 (47/15) ist zwingende Voraussetzung einer Strafbarkeit nach § 142 StGB, dass der Beschuldigte nicht nur den Zusammenstoß selbst, sondern auch den nicht unerheblichen Schaden bemerkt haben muss.


Polizeiliche Vorladung, Strafbefehl, Anklage wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort erhalten – was soll ich tun?


Bewahren Sie Ruhe. Gehen Sie nun nicht unbedacht zur Polizei und versuchen sich irgendwie zu rechtfertigen und „um Kopf und Kragen zu reden“. Ohne vorherige Einsicht in die Ermittlungsakten ist jede Aussage gegenüber den Ermittlungsbeamten ein Spiel mit dem Feuer. Schlimmstenfalls machen Sie dann solche Fehler, die später im Rahmen einer Strafverteidigung nicht mehr wieder gut zu machen sind. Daher gilt im Grundsatz: Machen Sie als Beschuldigter des unerlaubten Entfernens vom Unfallort lieber erst einmal von Ihrem Schweigerecht Gebrauch, wenden Sie sich dann an einen erfahrenen und spezialisierten Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Verkehrsrecht, der für Sie umfassende Akteneinsicht nimmt, eine Verteidigungsstrategie erarbeitet und dann mit Ihnen das weitere Vorgehen bespricht.


Für eine Einschätzung Ihres individuellen Falls, rufen Sie am besten so schnell wie möglich an und wir vereinbaren einen Termin zur Einschätzung der Gesamtlage. Die Norm des unerlaubten Entfernens vom Unfallort § 142 StGB birgt einige Tücken - in einem individuellen Beratungsgespräch lassen sich die Verteidigungsmöglichkeiten am besten ausloten.



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