Was ist ein Pflichtteilsergänzungsanspruch?

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Ist der Pflichtteil gering, weil der Erblasser alles verschenkt hatte? Dann kann dem Pflichtteilsberechtigten möglicherweise der Ergänzungsanspruch helfen: 

Da das Pflichtteilsrecht im Regelfall nicht entzogen werden kann, könnte ein Erblasser auf die Idee kommen, den Pflichtteil wirtschaftlich auszuhöhlen.


Beispiel:  Der Erblasser hat zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Er setzt in seinem Testament seine Tochter als Alleinerbin ein, denn dem Sohn möchte er nichts zukommen lassen.  Er weiß, dass dem Sohn dann ein Pflichtteilsanspruch zusteht – und zwar in Höhe von 25% des Nachlassvermögens, dass bei Tod des Erblassers vorhanden sein wird.

 

Um diesen zukünftigen Pflichtteilsanspruch des Sohns auszuhöhlen, verschenkt der Erblasser bereits zu seinen Lebzeiten sein wesentliches Vermögen an seine Tochter. Wenn sein Nachlass deswegen später praktisch gleich Null sein wird, so seine Überlegung, bekommt der Sohn auch über den Pflichtteilsanspruch nichts, denn 25% von Null ist eben auch Null.

Hier greift der gesetzlich geregelte Pflichtteilsergänzungsanspruch zugunsten des Sohns ein: Zwar verbietet das Gesetz dem Erblasser nicht, zu Lebzeiten sein Vermögen zu verschenken. Das verschenkte Vermögen kann aber dann nach seinem Tod nach bestimmten Regeln seinem Nachlass doch noch hinzugerechnet werden, so dass der Pflichtteilsberechtigte letztlich auch hieraus noch einen Pflichtteil bekommt.

 

Welche Schenkungen werden berücksichtigt?

 Alle außer sogenannten Pflicht- und Anstandsschenkungen (wie z.B. Geburtstagsgeschenke). Ansonsten sind alle Schenkungen zu berücksichtigen, egal, ob Geld, Immobilien oder andere Gegenstände vom Erblasser verschenkt wurden.

 

Wie werden die Schenkungen berücksichtigt?

 Der Wert der geschenkten Sachen wird dem Nachlass hinzugerechnet. Dann erkennt man, wie hoch der Pflichtteilsanspruch wäre, wenn er Erblasser nichts verschenkt hätte. Der Mehrbetrag zum konkret verbliebenen Pflichtteil ist dann der Ergänzungsanspruch:

 

Beispiel: Nehmen wir an, im Ausgangsbeispiel hätte der Erblasser hätte vor seinem Tod seiner Tochter noch eine Immobilie im Wert von 300.000,00 € übertragen und wäre dann ohne weiteres Vermögen verstorben.

Sein Nachlass ist also null. Der Pflichtteilsanspruch des Sohnes wäre 25% von null, also ebenfalls null. Rechnet man aber die verschenkte Immobilie dem Nachlass hinzu, ergibt sich ein rechnerischer Nachlass von 300.000,00. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch beträgt also 25% von 300.000,00 €, also 75.000,00 €.

 

Was ist mit lange zurückliegenden Schenkungen?

Der Pflichtteilsberechtigte möchte möglichst jede Schenkung berücksichtigt wissen. Dagegen möchte der Erblasser, das Vermögen, dass er mal verschenkt hat, bei seinem Ableben keine Rolle mehr spielt.

Das Gesetz versucht, diese Interessen durch eine zeitliche Regelung auszugleichen: Sind beim Tod zehn Jahre seit der Leistung der Schenkung verstrichen, bleibt die Schenkung komplett unberücksichtigt. Sind zehn Jahre noch nicht verstrichen, greift eine prozentuale Regelung. Danach wird eine Schenkung innerhalb eines Jahres vor dem Erbfall noch voll berücksichtigt, mit jedem weiter zurückliegenden Jahr werden 10% weniger angesetzt.

 

Beispiel: Der Erblasser hatte seine Immobilie zweieinhalb Jahre vor seinem Tod auf seine Tochter übertragen. Dann wird die Immobilie nur noch mit 80 % ihre Wertes angesetzt, also mit 240.000,00 €. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des Sohns würde dann noch 60.000,00 betragen.

 

Dabei ist insbesondere zu beachten, dass diese Zehnjahresfrist bei Schenkungen an den Ehegatten praktisch keine Rolle spielt, da sie nach dem Gesetz immer erst mit Auflösung einer Ehe beginnt. Endet die Ehe durch Tod eines der Ehepartner, ist die Frist also bedeutungslos – daher sind alle Schenkungen, die der überlebende Ehegatte von seinem Ehepartner erhalten hatte, bei einem Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berücksichtigen.

Aufpassen muß man auch, wenn sich der Erblasser an den verschenkten Sachen Nutzungsrechte, wie einen Nießbrauch oder ein Wohnungsrecht vorbehalten hatte, hier ist immer im Einzelfall zu prüfen, ob die Zehnjahresfrist gilt oder nicht.

 

 

 

 

 

 


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