Diskriminierungsverbot in der privaten Krankenversicherung

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Nach dem Inkrafttreten des AGG (Allgemeines Gleichstellungsgesetz) war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Rechtsprechung mit den Auswirkungen dieses Gesetzes auf das System der Gesundheitsprüfung in der privaten Personenversicherung würde auseinandersetzen müssen. Kürzlich veröffentlicht wurde hierzu ein Urteil des OLG Karlsruhe vom 27.05.2010 (Az.: 9 U 156/09). Im Ergebnis wurde eine auf Sacherwägungen gestützte Gesundheitsprüfung der Krankenversicherung nicht als diskriminierend angesehen.

Der Kläger hatte einen Antrag auf Abschluss einer Krankenhauszusatzversicherung gestellt. Dieser Antrag war mit der Begründung abgelehnt worden, dass der Abschluss einer derartigen Versicherung aufgrund der bestehenden Vorerkrankung - hier „myotone Dystrophie” - nicht möglich sei. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war der Kläger als Folge der Erkrankung unstreitig zu 100 % behindert. Er machte deswegen Ansprüche nach dem AGG wegen Benachteiligung aufgrund dieser Behinderung geltend.

Das OLG Karlsruhe stellte zunächst fest, dass der Anwendungsbereich des AGG eröffnet sei. Der Abschluss einer Versicherung betrifft den Zugang zur Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Die streitgegenständliche Zusatzversicherung war ein Tarif, den die beklagte Versicherung öffentlich angeboten hat. Bei der streitgegenständlichen Zusatzversicherung handele es sich auch um ein zivilrechtliches Schuldverhältnis, da es eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand habe. Im Streit stand der Abschluss der Zusatzversicherung, so dass es um eine Benachteiligung bei der Begründung des Schuldverhältnisses ging.

Das Gericht hat dann jedoch festgestellt, dass weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Benachteiligung vorliege.

Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen ihrer Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahren hat oder erfahren würde. Das Gericht hielt es schon für zweifelhaft, dass hier überhaupt eine Benachteiligung vorliegt. Die Benachteiligung besteht nach dem Gesetz in der „weniger günstigen Behandlung" als die Vergleichsgruppe. Im Streitfall kommt es darauf an, ob behinderte Menschen und Menschen ohne Behinderung bei Abschluss des Vertrages ungleich behandelt werden. Insoweit hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Kriterien, die die Versicherung für den Vertragsabschluss anlegt, bei Allen potentiellen Versicherungsnehmer gleich seien, weil diesen die gleichen Gesundheitsfragen gestellt werden und für alle, die dabei als Vorerkrankung die Diagnose „myotone Dystrophie" angeben, ein Vertragsschluss abgelehnt wird. Eine Ungleichbehandlung liege deswegen gerade nicht vor.

Allerdings wurde die Entscheidung auch auf weitere Argumente gestützt. Das Gericht hat nämlich ausgeführt, dass der Kläger nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde. Die Versicherung hat den Vertragsabschluss vielmehr deswegen abgelehnt, weil beim Kläger „Wagniserhöhungen", nämlich eine „myotone Dystrophie", vorlagen. Diese Erkrankung wurde von der Versicherung als nicht versicherbar eingestuft.

Das Gericht hat hierzu nun ausgeführt, dass die Krankheit, wegen derer die Ablehnung erfolgt ist, nicht mit dem Zustand der Behinderung als solchem gleichzusetzen sei. Zwar war die Behinderung hier unstreitig eine Folge der Erkrankung. Gleichwohl sei insbesondere in den Fällen, in denen eine Krankheit zwar in ihren Auswirkungen und Verlauf die Person in einen Zustand versetzen kann, in dem sie als behindert anzusehen ist, dies aber nicht von Anfang an der Fall sein muss (oder tatsächlich ist), nicht die Krankheit selbst als Behinderung anzusehen. Dies gilt auch für die vom AGG gemeinte Behinderung. Es ist nicht das Ziel des AGG, Krankheiten und Behinderungen gleichzusetzen.

Auch bei der myotonen Dystrophie handelt es sich um eine genetisch bedingte Krankheit, die häufig erst im Laufe der Zeit entdeckt wird, und erst im weiteren Verlauf zu Einschränkungen der körperlichen Funktionen führt. Entsprechend kann auch hier die Erkrankung selbst nicht mit der Behinderung gleichgesetzt werden. Dies bedeutet, dass die Leistungsablehnung eben nicht wegen dem bei Antragstellung bestehenden Zustand der Behinderung erfolgt war, sondern wegen bereits vorher bestehender Vorerkrankung.

Eine unmittelbare Benachteiligung ist daher ausgeschlossen.

Auch eine mittelbare Benachteiligung konnte hier nicht angenommen werden. Voraussetzung der mittelbaren Benachteiligung ist grundsätzlich eine prozentual wesentlich stärkere Belastung der geschützten Gruppe. Bei der myotonen Dystrophie ist dies wohl der Fall, weil diese Krankheit überwiegend dazu führt, dass der Erkrankte letztlich auch eine Behinderung erleidet.

Allerdings liegt eine mittelbare Benachteiligung erst dann vor, wenn zusätzlich die differenzierte Behandlungsweise nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist.

Hier hat sich die beklagte Versicherung darauf berufen, dass es ihr angesichts des geringen statistischen Materials nicht möglich sei, in verlässlicher Weise risikoadäquate Beitragszuschläge zu ermitteln. Die jährlichen Schadenssummen der bei ihr Versicherten, die an einer myotonen Dystrophie litten, streuten in erheblichem Ausmaß. Eine Rückversicherung sei ihr nicht möglich. Dies wurde als sachliche Begründung akzeptiert, da die private Krankenhaus-Zusatzversicherung eine Risikoversicherung ist, die ihre Kosten auf die bei ihr versicherten Personen umlegen muss. Das Grundprinzip der privaten Versicherung als Risikoversicherung ist jedoch berührt, wenn sie gezwungen wird, einen Fall zu versichern, bei dem letztlich nicht ein Risiko (also ein Umstand, dessen Eintreten ungewiss ist) abgedeckt werden soll, sondern wenn es letztlich darum geht, von vornherein sichere Kosten abzuwälzen.

Schließlich wurde die Klage auch unter Berufung auf § 20 Abs. 2 Satz 3 AGG zurückgewiesen. Hierbei handelt es sich um einen besonderen Rechtfertigungsgrund, der vom Gesetzgeber geschaffen worden war, um den vom Gesetzgeber erkannten Bedürfnissen privater Versicherungen bei ihrer Risikokalkulation Rechnung zu tragen. Es genügt, danach bei einer Benachteiligung wegen einer Behinderung in Bezug auf privatrechtliche Versicherungen, wenn die Benachteiligung „auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen".

Im vorliegenden Fall hatte die beklagte Versicherung schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass es kalkulatorisch unmöglich sei, die Versicherung eines bekannt an myotoner Dystrophie erkrankten Versicherungsnehmers zu bewältigen. Die Kostenfolgen würden erheblich streuen und es fehlen auch ausreichende Vergleichszahlen. Entsprechend war es auch nicht möglich, eine Rückversicherung zu erlangen.

Dies wurde vom OLG Karlsruhe als ausreichend erachtet, um den Rechtfertigungsgrund als gegeben anzusehen.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass das AGG auch bei schweren Erkrankungen, die zu Behinderungen führen, nicht das Recht der Versicherung entfallen lässt, in der privaten Personenversicherung Gesundheitsprüfungen vorzunehmen, und gegebenenfalls der Abschluss von Verträgen abzulehnen. Allerdings ist in dieser Konstellation die Risikoprüfung umfassend zu dokumentieren, muss statistisch und medizinisch gut begründet werden, und darf selbstverständlich nicht willkürlich sein.


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