Fluggastrecht: Zubringerflug und Anschlussflug / Entfernungsberechnung nach der Großkreismethode

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Der nachfolgende Beitrag behandelt die Abwicklung eines Falles aus dem Bereich der Fluggastrechte (EG-Verordnung 261/2004).

Schwerpunkt

Zur Frage, wie sich der Ausgleichsanspruch berechnet, wenn im Wege einer einheitlichen Buchung ein Zubringer-Flug und ein Anschluss-Flug gebucht wurden und der Anschlussflug wegen einer leichten Verspätung des Zubringer-Flugs verpasst wird.

Ausgangslage

Unsere Mandantschaft wollte von Zürich (ZRH) über Düsseldorf (DUS) nach Teneriffa (TFS) fliegen. Die Flüge wurden einheitlich gebucht und von derselben Airline durchgeführt. Der Zubringer-Flug hatte eine Verspätung von 45 Minuten, sodass der Anschlussflug verpasst wurde.

Bei Flügen hinein in die EU steht dem Fluggast eine Ausgleichszahlung von € 600,00 pro Person zu, wenn:

  • es sich um eine europäische Airline handelt
  • eine einheitliche Buchung für alle Flüge vorliegt
  • sich der Zubringerflug verspätet und deshalb der Anschlussflug verpasst wird
  • der Fluggast deswegen mit mehr als drei Stunden Verspätung am letzten Zielort ankommt
  • die Entfernung mit 3.501 km oder mehr zu bemessen ist

Hier hatte der Zubringerflug eine Verspätung von 45 Minuten, sodass der Anschlussflug verpasst wurde. Die Entfernung aller Strecken lag addiert bei 3.682 Km und die verspätete Ankunft am letzten Zielort war mit über 10 Stunden auch „groß“.

Die Airline berief sich – nach Klageerhebung – allerdings darauf, dass hier lediglich die Entfernung zwischen dem ursprünglichen Abflug-Flughafen (Zürich / Schweiz) und dem letzten Ziel (Teneriffa / Spanien) maßgeblich sei. Daher läge die Entfernung „nur“ bei 3.064 km und der Fluggast könne „nur“ € 400,00 (Mittelstrecke) verlangen.

Zu Recht?

Die Entscheidung (siehe Update am Ende)

Nein, es sind alle Teilstrecken zu addieren.

Das Gericht führte aus:

„Die für die Ausgleichszahlung maßgebliche Streckenentfernung ist durch Addition der Einzelstrecken zu berechnen. Der Begriff der Entfernung wird in der Verordnung nicht legaldefiniert. Nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 VO 261/2004 wird bei der Ermittlung der Entfernung der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt. Hierdurch soll zugunsten des Flugreisenden sichergestellt werden, dass im Fall eines mehrgliedrigen Fluges nicht lediglich die betroffene Teilstrecke maßgeblich ist, sondern die Gesamtstrecke vom ersten Startflughafen bis zum Endziel. De Vorschrift sagt entsprechend ihres Sinn und Zwecks jedoch nichts darüber aus, wie diese Gesamtstrecke zu berechnen ist.

Auch die Regelung in Art. 7 Abs. 4 VO 261/2004, wonach die Entfernung nach der Methode der Großkreisentfernung zu ermitteln ist, trifft keine Aussage zu der hier streitgegenständlichen Frage. Danach bestimmt sich die Entfernung nicht nach der tatsächlich geflogenen Flugstrecke (welche sich häufig schwer ermitteln lassen wird und von besonderen Umständen wie Wetterverhältnissen und Flugsicherheitskriterien abhängig ist), sondern nach der geografisch zwischen den Flughäfen liegenden Entfernung. Bei der Ermittlung dieser Entfernung ist es nach der Großkreismethode sowohl möglich, vom ersten Start- bis zum letzten Abflughafen zu rechnen, als auch die jeweils nach der Großkreismethode ermittelten Einzelstrecken zu addieren. Gemäß der Verordnung bestimmt sich die Höhe des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 Abs. 1 nach der Entfernung. Der Staffelung der Höhe der Ausgleichszahlungen liegt der Gedanke zugrunde, dass mit der Entfernung auch die Flugzeit und damit auch die Unannehmlichkeiten für den Fluggast wachsen (AG Frankfurt, Urteil vom 11.10.2013 – 29 C 1952/13 (81)). Besteht eine Flugverbindung aus zwei Flugsegmenten mit einem Zwischenstopp, so liegt dieser Zwischenstopp regelmäßig nicht unmittelbar auf dem direkten Weg zwischen Start- und Endflughafen, sondern die Flugroute führt insofern über einen Umweg. Durch diesen tatsächlichen Umweg steigt die Flugzeit und somit auch die durch die Verordnung erfasste Unannehmlichkeit. Aus dem Sinn und Zweck der Bindung der Höhe des Ausgleichsanspruchs an die Entfernung folgt, dass diese Entfernung durch eine Addition der auf dem Flugplan ausgewiesenen Teilstrecken zu berechnen ist (im Ergebnis ebenso HG Wien, Urteil vom 07.08.2015 – 60 R 48/15m). Auch aus der Rechtsprechung des BGH lässt sich eine entsprechende Addition der Einzelstrecken entnehmen. So formuliert der BGH im Falles eines Fluges von Berlin nach Amsterdam und Amsterdam nach Aruba, dass bei der Bemessung der Anspruchshöhe nicht nur die Entfernung zwischen Berlin und Amsterdam, sondern auch die Entfernung zwischen Amsterdam und Aruba zu berücksichtigen sei (BGH NJW-RR 2011, 355, 356). Aus der Formulierung „nicht nur, sondern auch“ lässt sich schließen, dass die Einzelstrecken kumulativ zu addieren sind, um die Gesamtstrecke zu ermitteln.“ 

(AG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 06.03.2017, Az.: 26 C 180/16)

Das Verfahren ist mittlerweile rechtskräftig abgeschlossen.

Stellungnahme 

Das Gericht hat sehr ausführlich und nachvollziehbar dargetan, warum nach Sinn und Zweck der FluggastrechteVO eine Addition der Teilstrecken für die Berechnung der Entfernung heranzuziehen ist.

Das Gericht hat sich im Ergebnis einer Entscheidung des Handelsgerichts Wien angeschlossen (BGHS Wien, Urteil vom 15.02.2016, Az.: 16 C 129-15k/12).

Schon das Handelsgericht Wien hat dazu ausgeführt, dass zwar die Berechnung der Entfernung bei Teilstrecken der FluggastrechteVO nicht konkret zu entnehmen sei. Daher könne sowohl die Strecke zwischen dem ersten Abflug und dem letzten Ziel herangezogen werden, als auch die Summe aller Teilstrecken.

Für die Summe aller Teilstrecken sprechen allerdings die besseren Argumente.

Bei Ausgleichsansprüchen handelt es sich um pauschalierte Schadensersatzansprüche, die verlorene Zeit wegen einer Flugirritation restituieren sollen. Daher hat seinerzeit der EU-Verordnungsgeber sich dazu entschieden, als entscheidendes Kriterium die Entfernung zwischen dem Abflug und der Ankunft heranzuziehen. Mit steigender Entfernung nämlich steigt in der Regel auch die Wartezeit und mit ihr der Unmut des Fluggastes bei Flugirritationen. Daher ist nach zutreffender Auffassung des Handelsgerichts Wien nicht einzusehen, warum die Airline bei einem mehrgliedrigen Flug diese Wertung dadurch unterlaufen kann, dass sie einen fiktiven Direktflug bei der Berechnung heranzieht (so auch AG FF/M, Schlussurteil vom 10.11.2013, Az.: 29 C 1952/13 (81); AG Düsseldorf, Urteil vom 28.09.2015, Az.: 45 C 21/15; LG Hannover, Urteil vom 10.10.2012, Az.: 12 S 19/12; Staudinger/Keiler in FluggastrechteVO, Art. 7 Rn. 19; Führich in Reiserecht, 7. Auflage 2015, § 42 Rn. 4).

Abweichend gesehen hat dies das Landgericht Landshut (LG Landshut, Endurteil vom 16.12.2015, Az.: 13 S 2291/15). Dieses hat ausgeführt, dass die Wartezeit und damit der Unmut des Fluggastes nicht zwingend in Fällen steigt, in denen sich die Beförderung in mehrere Teilstrecken gliedert. Im Übrigen solle der Ausgleichsanspruch vornehmlich die Airlines im Wege einer mehr oder weniger "erzieherischen Maßnahme" dazu anhalten, Flugirritationen entgegenzuwirken.

Die Kritik des LG Landshut ist grds. nicht unrichtig, überzeugt aber am Ende nicht.

Es ist zwar richtig, dass ein Dirketflug bei identischer Verspätung am Ziel denselben Unmut erzeugt, wie ein in Flugsegmente unterteilter Flug. Der EU-Verordnungsgeber hat aber unter Wertungsgesichtspunkten die Höhe der Ausgleichsleistungen nicht anhand der konkreten verspäteten Ankunft am letzten Zielort bemessen (so aber LG Landshut a.a.O.), sondern hierfür aus Gründen der Einfachheit die Flugentfernung gewählt.

Mag es sein, dass dies im Einzelfall dazu führt, dass ein Direktflug (Kurzstrecke) bei identischer Verspätung für den betroffenen Fluggast zu einer geringeren Ausgleichszahlung führt, als ein Flug (Mittelstrecke), bei dem ein Umsteigen erforderlich ist, obwohl der Fall eigentlich vergleichbar ist.

Dies aber entspricht der Wertung des EU-Verordnungsgebers und ist im Einzelfall – im Guten wie im Schlechten – hinzunehmen. Anderenfalls nämlich würde die hinter dieser Entscheidung stehende Wertung, wonach dem Fluggast ein möglichst hohes Schutznieveau zuzuerkennen ist, unterlaufen. Der Fluggast müsste nämlich dann je nach Konstellation am Ende beweisen, wann er wo gelandet ist. Anders als eine Airline, die ihre Mitarbeiter benennen kann, kann sich der Fluggast aber auf Zeugen in der Regel nicht berufen.

Außerdem ist es so, dass die Reisezeit denknotwendig steigt, wenn der Fluggast umsteigen muss. Damit aber steigt auch die grundsätzliche Belastung, die eine Flugirritation mit sich bringt.

Praxistipp

Betroffenen Fluggästen empfehlen wir, bei mehreren Flugabschnitten, die Teilstrecken zu addieren.

Die Höhe der Ausgleichsansprüche sind entfernungsabhängig:

  • 250,00 bei einer Flugstrecke bis 1.500 Km (Kurzstrecke)
  • 400,00 bei einer Flugstrecke zwischen 1.501 Km und 3.500 Km (Mittelstrecke)
  • 600,00 bei einer Flugstrecke ab 3.501 Km (Langstrecke)


UPDATE 13.02.2018

Der EuGH hat mittlerweile entschieden, dass die Teilstrecken NICHT addiert werden (EuGH, Urteil vom 07.09.2017, C-559-16).

Dies bedeutet, dass es bei einer Flugirritation, bei der der Fluggast mehr als drei Stunden zu spät am letzten Ziel ankommt, nicht auf die Strecke A-B + B-C ankommt, sondern die Berechnung nur anhand von A-C vorzunehmen ist.

Anhand dieser Entfernung ist dann die Höhe des Ausgleichsanspruchs zu bemessen.

Kanzlei RAS 

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Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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