Fluggastrecht – zur Frage, ob eine verspätete Enteisung einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellt

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Der nachfolgende Beitrag behandelt die Abwicklung eines Falles aus dem Bereich der Fluggastrechte (EG-Verordnung 261/2004).

Schwerpunkt

Zur Frage des außergewöhnlichen Umstands im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO, wenn ein Flug annulliert wird, weil eine Enteisung des Flugzeugs im Winter nicht pünktlich durchgeführt werden konnte.

Ausgangslage

Unsere Mandantschaft wollte von Köln/Bonn (CGN) über Frankfurt (FRA) nach Los Angeles (LAX) fliegen. Bedauerlicherweise wurde der erste Flug kurzfristig annulliert, sodass der Anschlussflug verpasst wurde und unsere Mandantschaft erst mit mehr als 10 Stunden Verspätung in Los Angeles ankam.

Bei Flügen von der EU in nicht europäische Drittstaaten steht dem Fluggast eine Ausgleichszahlung von € 600,00 pro Person zu, wenn:

  • der Flug kurzfristig – weniger als sieben Tage vor dem Abflug – annulliert wird
  • der Fluggast deswegen mit mehr als drei Stunden Verspätung am letzten Zielort ankommt
  • die Entfernung mit 3.501 km oder mehr zu bemessen ist

Hier wurde der Flug unmittelbar vor dem Abflug am Flughafen annulliert. Die Entfernung lag bei 9.531 km und die verspätete Ankunft am letzten Zielort war mit über 10 Stunden auch „groß“.

Die Airline berief sich allerdings auf außergewöhnliche Umstände. Sie trug vor, dass wegen winterlicher Temperaturen das Flugzeug zunächst enteist werden musste. Die Enteisung sollte eine Drittfirma durchführen. Diese hat aber nicht pünktlich enteist, so dass der Flug annulliert werden musste.

Die Airline meint, es handele sich hierbei um einen außergewöhnlichen Umstand, weswegen sie nicht zahlen müsse.

Zu Recht?

Das Urteil

Nein, urteilte das Gericht. Die Airline wurde zur Zahlung der Ausgleichsleistungen von € 600,00 verurteilt.

Das Gericht führte aus:

„Dass die vorliegende Situation nicht beherrschbar in diesem Sinne gewesen war, hat die gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO darlegungs- und beweisbelastete Airline nicht hinreichend konkret dargetan. Dem Lutfverkehrsunternehmen obliegt es, darzulegen und zu beweisen, dass es auch unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, ohne nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung des Fluges geführt haben (BGH, Urteil vom 14.10.2010 – Xa ZR 15/10 – zit. n. Juris). Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die durchgeführte Enteisung nicht schon als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden. 

Soweit die Beklagte pauschal geltend macht, dass sich das streitgegenständliche Flugzeug aufgrund von Temperaturen um den Gefrierpunkt und zeitweiligen Schneefalls in Frankfurt einer Enteisung habe unterziehen müssen, die seitens eines Drittunternehmens und trotz Auftragserteilung um 06.33 Uhr erst um 07.49 Uhr durchgeführt habe, entlastet dies die Beklagte nicht, selbst wenn dieser Vortrag als zutreffend unterstellt wird. 

Ungeachtet dessen, dass dies keinen hinreichend substantiierten Vortrag zu den tatsächlichen Witterungsverhältnissen am Abflugtag darstellt, ist der Umstand – unterstellt dieser Umstand sei zutreffend –, dass die mit der Enteisung beauftragte Firma XXX, aus welchen Gründen auch immer, die Enteisung erst um 07.49 Uhr vorgenommen hat, kein außergewöhnlicher Umstand. Außergewöhnliche Umstände im Sinne der FluggastrechteVO sind nur solche, die sich auch dann nicht vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden sind. Nicht abgestellt wird darauf, dass sie nur für das Flugunternehmen nicht vermeidbar waren, wenn dieses alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Insoweit geht es um allgemeine, mithin auch durch Dritte nicht vermeidbare Umstände. Dies folgt aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO, der allgemein und generell von Umständen spricht, die sich nicht hätten vermeiden lassen, nicht aber von solchen Umständen, die sich durch das Luftfahrtunternehmen hätten vermeiden lassen. 

Die durch Dritte vermeidbaren außergewöhnlichem Umstände sind indessen dann ausnahmsweise der Fluggesellschaft nicht zuzurechnen, wenn Vorkommnisse oder Versäumnisse infrage stehen, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind (EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-549/07 – zit. n. Juris). Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Vorliegend standen mit der Notwendigkeit zur Enteisung der Flugzeuge Tätigkeiten infrage, die unmittelbar der gegenüber Fluggästen vertraglich geschuldeten Ausführungshandlung der Fluggesellschaft dienten. Die Enteisung des Flugzeugs diente unmittelbar der normalen betrieblichen Tätigkeit der Fluggesellschaft und ihrer Verpflichtung, das Fluggerät technisch in einem flugbereiten Zustand zu halten oder in einen solchen zu versetzen, um die Fluggäste zum vereinbarten Zeitpunkt befördern zu können, und nicht etwa nur dem Ablauf des allgemeinen Flugverkehrs auf dem Flughafen (so auch AG Frankfurt Urteil vom 3.2.2010 – 29 C 2088/09 – zit. n. Juris). 

Das ausführende Unternehmen wurde damit unmittelbar um maßgeblichen Pflichtenkreis der Beklagten tätig mit der Folge, dass sein Vergalten der Beklagten dem Rechtsgedanken des § 278 BGB zuzurechnen ist (vgl. LG Köln, Urteil vom 09. April 2013 – 11 S 241/12 -, Rn. 61, juris). 

Dass der Umstand, die Fluggeräte rechtzeitig seitens des ausführenden Unternehmens zu enteisen, seinerseits auf Umständen beruhte, die für die beauftragte Firma einen außergewöhnlichen Umstand darstellt, ist nicht dargetan. Dass Flugzeuge in kalten Jahreszeiten, insbesondere in der Kernzeit des Winters der vorherigen umfassenden Enteisung bedürfen, ist keinesfalls außergewöhnlich. Wenn die Beklagte die Aufgabe der Enteisung an Dritte delegiert und diese – aus vorliegend nicht einmal vorgetragenen Gründen – nicht in der Lage sind, die Enteisung pünktlich durchzuführen, unterliegt dies dem alleinigen Risiko der Beklagten (so auch AG Frankfurt, Urteil vom 09.05.2014 – 29 C 3587/13 (44) -, Rn 10, juris).“

(AG Köln, Urteil vom 13.01.2016, Az.: 137 C 305/15)

Das Urteil ist rechtskräftig.

Stellungnahme

Das Urteil lässt sich mit den Worten zusammenfassen: „Schnee und Eis sind im Winter selbst in Deutschland nicht außergewöhnlich“.

Zunächst hat das Gericht ausführlich dazu ausgeführt, dass Schnee und Eis im Winter keines Falles ungewöhnlich sind. In winterlichen Kernzeiten muss die Airline vielmehr damit rechnen, dass Enteisungen von Flugzeugen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt notwendig werden können.

Weiter führt das Gericht dazu aus, dass es Aufgabe der Airline ist, ein Flugzeug betriebsbereit zu halten. Zwar kann die Airline diese Aufgabe an ein Drittunternehmen weiterdelegieren. Die Airline muss sich dann aber Versäumnisse des Drittunternehmens auch zurechnen lassen.

Anders könnte es möglicherweise sein, wenn das Drittunternehmen seinerseits die Enteisung wegen außergewöhnlicher Umstände nicht vornehmen konnte. Denkbar wäre zum Beispiel, dass ein heftiger Schneesturm eine Enteisung auf dem Rollfeld unmöglich machen würde. Diese Frage musste das Gericht aber nicht entscheiden, weil die Airline hierzu schon nichts vorgetragen hat.

Eine letzte Besonderheit war hier, dass das Flugzeug auf dem Vorflug von Frankfurt nach Köln/Bonn enteist werden sollte. Da es nicht enteist wurde, konnte dieses Flugzeug in Frankfurt nicht starten und fehlte dann in Köln/Bonn. Deshalb wurde der Flug von Köln/Bonn nach Frankfurt annulliert. Auf die Frage, ob ein Zeitfenster von gerade einmal 35 Minuten zwischen der Landung in Köln/Bonn und dem Start von KölnBonn nach Frankfurt ausreichend ist, kam es aber nicht mehr entscheidungserheblich an.

Praxistipp

Erfahrungsgemäß sind Airlines mit „außergewöhnlichen Umständen“ schnell bei der Hand.

Betroffenen Fluggästen empfehlen wir, auf den „Flurfunk“ zu achten. Oft hören Fluggäste bereits von Mitarbeitern der Airline am Flughafen oder im Flugzeug, warum es zu einer Flugirritation gekommen ist.

Es empfiehlt sich, den Grund für die Flugirritation genau zu prüfen.

Kanzlei RAS

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Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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