Leistungen für Asylbewerber und Geduldete: keine Anpassung seit 2016!

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Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 sind der Bundesgesetzgeber und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verpflichtet, die Leistungen für Asylbewerber nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) jährlich anzupassen. Vor diesem Urteil versäumte es der Gesetzgeber zwischen 1993 und 2012 die Leistungen für Asylbewerber etwa an die jährliche Inflation oder die durchschnittliche Teuerungsrate anzupassen. Das Bundesverfassungsgericht 2012 stellte klar, dass allen in Deutschland lebenden Menschen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zustehe und die Leistungen für Asylbewerber grundsätzlich nicht migrationspolitisch zu relativieren sind. Bestrebungen die Leistungen für Asylbewerber niedrig zu halten, um etwa Anreize für eine Einreise nach Deutschland zu nehmen, sind mit der Verfassung in Gestalt der Menschenwürde und des Sozialstaatsprinzips nicht vereinbar.

Daraufhin wurde das AsylbLG 2015 geändert und die Leistungssätze im AsylbLG (für die Grundbedarfe § 3 Abs. 1 Satz 8 und Abs. 2 Satz 2 AsylbLG) an die Regelbedarfssätze der anderen Sozialleistungsregime angepasst, jedoch um ca. 10 % gegenüber den Leistungssätzen im ALG-II gemindert.

Fortschreibung gesetzlich geregelt

Mit der Änderung des AsylbLG 2015 wurde auch gesetzlich eine Fortschreibung und der Erhöhung der Regelleistungen fixiert. § 3 Abs. 4 regelt, das analog zu den Fortschreibungen im SGB XII die Erhöhungen auch auf die Leistungssätze des AsylbLG anzuwenden sind. Maßstab sind dabei die alle 5 Jahre erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS). Eine Bekanntgabe der jährlichen Entwicklung bzw. Erhöhung der Regelsätze hat im Bundesgesetzblatt zu erfolgen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wäre demnach gesetzlich gehalten gewesen, die Regelsätze erstmals zum 01.01.2017 analog der sog. Regelbedarfsfortschreibungsverordnung anzupassen. Eine entsprechende Verordnung gab es 2016/2017 nicht, da die Regelsätze grundlegend neuberechnet worden sind und dies durch ein Gesetz festgeschrieben wurde. Das deshalb eingebrachte Gesetz zur Änderung der Leistungshöhe im AsylbLG mit Wirkung zum 01.01.2017 scheiterte aber im Bundesrat und wurde mangels Nachdruck auch im Vermittlungsverfahren nicht weiterverfolgt. Dieses Gesetz sah ebenfalls eine 10-Prozent-Kürzung der Regelsätze gegenüber der Regelleistungen nach SGB II/XII vor.

Leistungshöhe seit 2017 verfassungswidrig

Somit sind die Leistungen für Asylbewerber nach § 3 AsylbLG seit dem 01.01.2017 nicht mehr erhöht worden. Damit ist die Leistungshöhe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig, da eine gesetzlich vorgeschriebene und gebotene Erhöhung bzw. Fortschreibung unterblieben ist.

Claudius Voigt von der GGUA, Münster, hat auf Basis des Regelbedarf-Ermittlungsgesetzes und den Regelbedarfsfortschreibungsverordnungen errechnet, dass die Erhöhungen im Jahr 2017 1,24 % hätten betragen müssen, im Jahr 2018 1,63 % und im Jahr 2019 2,02 %.
Dies ergibt in der Regelbedarfsstufe 1 (für Alleinstehende) einen monatlichen Unterschied von ca. 17 Euro zwischen 2016 und 2019.

Fraglich ist nun, ob die betroffenen Leistungsbezieher es hinnehmen müssen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales seinem gesetzlichen Anspruch zur Fortschreibung nicht nachkommt, und nun mit den zu niedrig bemessenen Leistungen leben müssen.
 
Können die Sozialbehörden z. B. selbstständig die unterbliebene Erhöhung nachholen? Oder können gar die Sozialgerichte die Sozialbehörden dazu verpflichten?


SG Stade: Sozialbehörden haben unterbliebene Fortschreibung selbst nachzuholen

Dazu ist ein Blick auf die Rechtsprechung des Sozialgerichts Stade interessant, welches Anhaltspunkt dafür sein dürfte, dass sich Betroffene nicht mit der unterlassenen Erhöhung der Leistungen abfinden müssen. Für das SG Stade ist der Anspruch auf die Fortschreibung und Erhöhung der Leistungen nach § 3 Abs. 4 AsylbLG ein individuell einklagbarer. Die Sozialbehörden haben damit das Versäumnis des Ministeriums auszugleichen und die Erhöhung selbst durchzuführen.

Im Verfahren mit dem Az. S 19 AY 15/18 besaß der Kläger eine Duldung und klagte für drei Monate (Juni bis August 2018) auf erhöhte Leistungen, da die gesetzliche Erhöhung nicht durchgeführt wurde. Das Gericht forderte die beklagte Sozialbehörde auf, eine Probeberechnung durchzuführen, wie sich die vorgeschriebene Erhöhung des Regelbedarfs ausgewirkt hätte. Diese Berechnung ergab, dass dem Kläger ein Regelbedarf von 360 Euro (statt 354 Euro) monatlich zustehen würden. Diesen erhöhten Regelbedarfssatz sprach das Gericht dem Kläger zu. Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig.

SG: Bekanntgabe der Veränderung durch das BMAS nur informatorisch

Die Erhöhung bzw. Fortschreibung der Regelbedarfssätze erfolgt durch eine Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt (§ 3 Abs. 4 Satz 3 AsyblLG). Das Sozialgericht sieht in dieser Bekanntmachung der Erhöhung lediglich eine Information, damit die Sozialbehörden und Leistungsträger rechtzeitig informiert werden und nicht selbst die notwendigen Berechnungen durchführen müssten. Diese Bekanntgabe sei aber keine Voraussetzung für die Erhöhung selbst, da diese nach genau umschriebenen Methoden gesetzlich fixiert ist.

In einem sich anschließenden Verfahren beantragte der Kläger für die Leistungen ab 01.01.2019 ihm im Wege der einstweiligen Verfügung höhere Leistungen zu gewähren. Das Sozialgericht Stade gab auch diesem Antrag statt (Az. S 19 AY 1/19 ER) und verurteilte die beklagte Sozialbehörde nach den durchgeführten Proberechnungen dem Kläger monatlich um 18 Euro höhere Leistungen auszuzahlen (371 Euro). Auch in diesem Verfahren bekräftigt das Gericht, dass es sich bei der Bekanntgabe nicht um eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Erhöhung der Leistung handele. Unterlässt das BMAS diese Bekanntgabe, sind die zuständigen Sozialbehörden selbst dazu verpflichtet, nach dem gesetzlich fixierten Berechnungsmodell die Fortschreibung der Regelsätze durchzuführen. Es kann damit nicht zum Schaden der Leistungsbezieher werden, dass das BMAS seiner gesetzlich vorgeschriebenen Rechtsanwendung nicht nachkommt.

Was ist zu tun?

Interessant wird sein, wie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen über diesen Fall und die Argumentation des SG Stade entscheidet. Es gibt bereits durchaus Kritik an der Argumentation des SG Stade. U. a. hätte das SG zur Beseitigung des rechts- und verfassungswidrigen Zustands durch einen sog. konkreten Normenkontrollantrag das Bundesverfassungsgericht bemühen können oder müssen.

Doch was haben betroffene Leistungsempfänger davon?

In jedem Fall sollten von den Leitungsbeziehern Anträge auf höhere Leistungen gestellt werden oder gegen Bescheide, gegen die noch ein Widerspruch zulässig ist, Widerspruch eingelegt werden. Sollte dieser abgelehnt werden, muss auch die Möglichkeit der Klage und dem Erlass einer einstweiligen Anordnung erwogen werden.

Bei bestandskräftigen Bescheiden, also bei solchen Bescheiden, bei denen die Widerspruchs- und Klagefrist bereits abgelaufen ist, kann man gem. § 44 SGB einen Antrag auf Überprüfung und Neuberechnung stellen.
Lehnt die zuständige Sozialbehörde den Antrag ab, besteht ebenfalls die Möglichkeit des Widerspruchs und schließlich auch der Klage beim Sozialgericht. Dies lohnt sich zumindest für alle Bescheide aus den Jahren 2018 und 2019.

Empfehlung

Da es bei den Regelleistungen nach § 3 AsylbLG um solche handelt, die zur Existenzsicherung bestimmt sind und diese niedriger liegen, als das Niveau von SGB II oder XII, sind schon niedrige Fehlbeträge ein bedeutender Einschnitt in die Existenzsicherung der Betroffenen.
Vor allem Menschen, die unter einer Leistungskürzung z. B. wegen fehlender Mitwirkung bei der Ausländerbehörde (§ 1a AsylbLG) leben müssen, und daher regelmäßig nicht mehr als ca. 180 € an Barleistungen oder sogar nur Sachleistungen zur Verfügung haben, ist die regelmäßige Anpassung der Regelbedarf besonders wichtig.

Nehmen Sie als Betroffener diese Schlechterstellung nicht hin und wehren Sie sich!

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Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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