NRW: Erneute Corona Maskenpflicht im Unterricht – Wann ist das (Über-)Maß voll?

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Die seit 26.10.2020 geltende neue Coronabetreuungsverordnung (CoronaBetrVO) für NRW verfügt, nachdem die erste Phase Ende August ca. zwei Wochen nach Ende der Sommerferien endete, erneut die ganztägige Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) im Unterricht für Schüler weiterführender Schulen.

Für die Erstphase hatte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss vom 20.08.2020 eine Klage gegen die damalige Schüler-Maskenpflicht in einem sogenannten Normenkontrollverfahren (Eilverfahren) abgewiesen (Aktenzeichen 13 B 1197/20.NE).

Die Begründung hierzu war reichlich konstruiert und, wie leider oft in derartigen Eilverfahren „mit heißer Nadel gestrickt“, in dem erkennbaren Bemühen, die Regelung „koste, was es koste“ zu halten (siehe hierzu die Besprechung des hiesigen Autors unter https://www.anwalt.de/rechtstipps/corona-maskenpflicht-an-schulen-in-nrw-gericht-weist-klage-ab_179197.html). 

Durch die relativ kurze Geltungsphase der damaligen Regelung hatte sich kurz nach der OVG-Entscheidung die Weiterverfolgung des Anliegens allerdings erledigt, so dass wohl schon deshalb eine Klärung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausblieb.

Nunmehrige Gesetzeslage

Alle Schüler an weiterführenden und berufsbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen sollen indes nun erneut die MNB nicht nur auf dem Schulgelände, sondern auch im Unterricht tragen müssen, § 1 Absatz 3 CoronaBetrVO, dieses Mal aber wesentlich länger, jedenfalls bis Ende Dezember 2020.

Gleichzeitig wurde hinsichtlich der Ausnahmen die Gesetzeslage dahin geändert, dass nun nicht mehr die Schulleitung über eine Befreiung aus medizinischen Gründen (anhand eines auf Verlangen vorzulegenden Nachweises) entscheidet, sondern Schüler, die aus medizinischen Gründen keine MNB tragen können, von Gesetzes wegen von der Maskenpflicht ausgenommen sind, vorausgesetzt, das Vorliegen medizinischer Gründe wird durch ein ärztliches Zeugnis nachgewiesen, welches auf Verlangen vorzulegen ist, vgl. § 1 Absatz 3 Nr. 1 CoronaBetrVO.

Auswirkungen der geänderten Ausnahme aus medizinischen Gründen

Was zunächst wie eine Erleichterung der medizinischen Ausnahme klingt, da die Schulleitung nicht mehr über einen Befreiungsantrag entscheidet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung sogar als Verschärfung, da zwingend ein Arztattest nachgewiesen werden muss.

Da sich -wie dem hiesigen Autor von Rechtssuchenden immer wieder berichtet wird- lediglich eine kleine Minderheit von Ärzten zum Ausstellen solcher Masken-Atteste bereit zeigt, wird hierdurch das Korsett für „nicht maskentaugliche“ Schüler noch „deutlich enger geschnürt“.

Anforderungen der Rechtsprechung an das Arztattest

Dies gilt umso mehr, als das OVG NRW in zwischenzeitlichem Beschluss 13 B 1368/20 vom 24.09.2020 (allerdings noch zur alten Gesetzeslage mit Schulleiter-Befreiung) strenge Anforderungen (bagatellisiert: „gewisse Mindestanforderungen“) an ein wirksames Masken-Attest stellt.

Aus dem Attest müsse sich ergeben, „welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen“ aufgrund der Schul-Maskenpflicht „alsbald zu erwarten“ seien und „woraus diese im Einzelnen resultierten“. Das Gericht geht sogar noch weiter, indem es überdies verlangt, „relevante Vorerkrankungen konkret zu bezeichnen“, zudem in dem Attest erkennbar zu machen, „auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung“ gelangt sei.

Auch wenn das OVG sich damit -nach Auffassung des hiesigen Autors- über die Anforderungen des Datenschutzrechts (DSGVO und BDSG) in rechtswidriger Weise hinwegsetzt, wonach aus dem Attest „keine Diagnosen oder ähnliches hervorgehen dürfen“ (vgl. die Abhandlung des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern unter: „Hinweise zu Datenschutz und Corona“ auf https://www.datenschutz-mv.de/datenschutz/publikationen/Corona), muss -vorbehaltlich späterer Kassierung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH)- einstweilen von der Wirksamkeit obiger Attest-Anforderungen ausgegangen werden, denn der vorzitierte OVG-Beschluss ist an sich unanfechtbar.

Fortgeltung der OVG-Begründung vom 20.08.2020?

Je weniger eine Befreiung bzw. Ausnahme von der Unterrichts-Maskenpflicht aus medizinischen Gründen effektiv erlangt werden kann, desto dringender stellt sich für „befreiungssuchende“ Schüler die Frage nach der Rechtmäßigkeit, ja nach der Verfassungsmäßigkeit der nunmehrigen Neuregelung des § 1 Absatz 3 CoronaBetrVO.

Hierzu ist eine -aktualisierte- inhaltliche Auseinandersetzung mit dem vorzitierten OVG-Beschluss vom 20.08.2020 für die Erstphase der Unterricht-Maskenpflicht angezeigt.

Das OVG hatte damals vertreten, die Verpflichtung zum Tragen einer MNB im Schulunterricht sei verhältnismäßig, denn die Schüler-Maskenpflicht solle dazu beitragen, die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus (Coronavirus) unter Schülern und Lehrern sowie deren Bezugspersonen zu reduzieren und hierdurch die Ausbreitung in der Bevölkerung insgesamt einzudämmen. Wenn der Verordnungsgeber, das Land NRW, annehme, dass die Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs mit weitgehendem Präsenzunterricht, die dem für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen bedeutsamen Anspruch auf schulische Bildung und Erziehung Rechnung trage, epidemiologisch mit einer erheblichen Gefahrensituation einhergehe, sei dies nicht zu beanstanden.

Die Maskenplicht im Unterricht sei nach vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen geeignet, die Verbreitung der Viren einzudämmen, und zwar auch bei Verwendung privat hergestellter MNB.

Dass das Tragen der Alltagsmaske Gesundheitsgefahren für die Schüler berge, sei nicht feststellbar. Insbesondere sei zu erwarten, dass den Schülern der Umgang mit der Alltagsmaske bereits aufgrund der seit längerem bestehenden Verpflichtung, diese beim Einkaufen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragen, geläufig sei. Es lägen keine belastbaren Erkenntnisse für die Annahme vor, dass Alltagsmasken die Aufnahme von Sauerstoff oder die Abatmung von Kohlendioxid objektiv in relevanter Weise beeinträchtigten.

Das OVG verwies zudem darauf, dass die Schulleitung auch aus medizinischen Gründen Ausnahmen zulassen könne. Im Übrigen gelte unbeschadet der Regelungen der CoronaBetrVO die sich aus dem Schulverhältnis ergebende Fürsorgepflicht, so dass erforderlichenfalls auch die Lehrer auf akut auftretende Beeinträchtigungen (etwa Atemprobleme) während des Unterrichts in geeigneter, den Infektionsschutz wahrender Weise reagieren könnten.

Die Maskenpflicht im Unterricht sei, so das OVG, angesichts besonderer, die Infektionsausbreitung strukturell begünstigender Bedingungen des Schulbetriebs auch erforderlich.

Die -damals- bis zum 31.08.2020 befristete Pflicht zum Tragen einer Alltagsmaske auch im Unterricht stelle für die betroffenen Schüler zwar fraglos eine erhebliche Belastung dar. Diese erscheine in der Abwägung mit den damit verfolgten Zielen jedoch derzeit gleichwohl zumutbar.

Die Anordnung zum Tragen einer MNB im Unterricht leiste aus virologischer Sicht wesentlichen Beitrag dazu, in der gegenwärtigen pandemischen Lage in NRW erneute coronabedingte (Teil-)Schließungen von Schulen so weit wie möglich zu vermeiden.

Bewertung angesichts der aktuellen Lage

Die Begründung des Oberverwaltungsgerichts mutete schon damals nicht nur oberflächlich, sondern auch teilweise lebensfremd an und erschien schon damals -und erscheint heute erst recht- für einen mit der Materie befassten Anwalt in zahlreichen Punkten angreifbar.

Insbesondere war – und ist auch jetzt- die Verhältnismäßigkeit (die der hiesige Autor schon für die allgemeine Maskenpflicht gemäß § 2 Absatz 3 Corona-Schutzverordnung trotz der bisher einmütig gesetzesbestätigenden Entscheidungen und trotz steigender Neuinfektionen nach wie vor nicht für gegeben hält) nicht schlüssig begründet, insbesondere nicht für die Neuregelung.

Zentrale Begründung der erneuten Maskenpflicht im Schulunterricht sind die angeblich "dramatisch" gestiegenen Infektionszahlen.

Auch wenn deren steiler Anstieg insbesondere im Oktober 2020 unbestreitbar ist, steht damit die von Robert-Koch-Institut (RKI) und der Bundesregierung gebetsmühlenartig wiederholte „Dramatik“ dieser Entwicklung keineswegs fest, da Anstieg der mit PCR-Tests festgestellten Infektionszahlen keineswegs gleichbedeutend ist mit erhöhter Infektiösität (Ansteckungsgefahr), erhöhter Erkrankung, gar Schwerer Erkrankung oder im Extremfall sogar Tod der (positiv) Getesteten.

Aufschlussreich zu diesen -der breiten Öffentlichkeit durch die Leitmedien leider weitgehend vorenthaltenen- Zusammenhängen ist der HR-Info Podcast (MDR-Interview) vom 13.10.2020 mit dem emeritierten Epidemiologen der Universität Mainz, Herrn Prof. Dr. Sucharit Bhakdi (https://www.hr-inforadio.de/podcast/aktuell/sucharit-bhakdi-zur-corona-politik-in-deutschland-hoffnungslos,podcast-episode-76936.html), der am Folgetag, 14.10.2020 einer „Bereinigung“ im Wege eines sogenannten „Faktencheck“ unterzogen wurde. Quintessenz dieses Podcast -und selbst des „Faktencheck“- bleibt, dass die vom RKI betriebene Betrachtung der Neuinfektionen alleine eine verlässliche Bewertung des Infektionsgeschehen, also der Entwicklung der „Pandemie“, eben nicht ermöglicht.

Auch die weitere Begründung des OVG, die Maskenpflicht im Unterricht leiste „aus virologischer Sicht einen wesentlichen Beitrag“ dazu, „in der gegenwärtigen pandemischen Lage in Nordrhein-Westfalen erneute coronabedingte (Teil-)Schließungen von Schulen so weit wie möglich zu vermeiden“  bzw. -so die nunmehrige Begründung von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer, biete einen „sehr guten Schutz“ (rp-online.de vom 22.10.2020), ist angesichts bislang fehlender wissenschaftlicher Evidenz (hierzu stehen sich die wissenschaftlichen Standpunkte bislang konträr gegenüber ohne feststellbaren Diskurs beider Lager, wie man ihn zur Erkenntnisgewinnung unbedingt verlangen müsste) unfundiert und daher als Begründung dieses für die Schüler schweren Grundrechtseingriffs ersichtlich ungeeignet.

Angesichts des Umstands, dass die Ärzte nach bisherigen Erfahrungen faktisch sowieso kaum Befreiungs-Atteste ausgestellt haben, die nunmehrige "Anspitzung" der Nachweisanforderungen diese Option nur noch weiter einschränkt und auch der Verweis auf die Fürsorgepflicht der Lehrkräfte, die "auf akut auftretende Beeinträchtigungen (etwa Atemprobleme) während des Unterrichts in geeigneter, den Infektionsschutz wahrender Weise reagieren" könnten, in der Praxis kaum realistisch ist, läuft auch die dahingehend Argumentation zur Stützung der Unterrichts-Maskenpflicht offensichtlich ins Leere.  

Inzwischen gibt es selbst Stimmen aus dem tendenziell "warnenden" Lager wie Ärztepräsident Klaus Reinhardt, der in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" vom 21.10.2020 am Nutzen einfacher Alltagsmasken zweifelte, oder SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der ebenfalls in einer Sendung von Lanz am 13.08.2020 herausstellte, dass "jede halbe Stunde für zehn Minuten Lüften" sinnvoller sei, da hierdurch die Aerosol-Konzentration so gering sei, dass die Kinder während des Unterrichts keine Masken tragen müssten. Bemerkenswert insoweit Lauterbachs bahnbrechende, wenn auch in der Leitmedien-Öffentlichkeit inzwischen verhallte Klarstellung: „Lüften bringt viel mehr als diese Masken, die gegen Aerosole gar nicht schützen“.

Dass von Seiten der Regierung das "Auslauf-Modell" Unterrichts-Maskenpflicht nunmehr dennoch wieder "aufgewärmt" wird, ist nach Vorgesagtem völlig unbegreiflich und allenfalls aus einer Perspektive (empfundener) Hilfslosigkeit erklärbar.

Fazit und Ausblick

Die nunmehr erneute NRW-Unterrichtsmaskenpflicht für Schüler an weiterführenden Schulen verstößt eklatant gegen das Übermaßverbot und ist damit verfassungswidrig.

Ungeachtet der untauglichen Bewertungsgrundlage (stoische Heranziehung der Neuinfektionen durch RKI und Regierung) und der fehlenden Evidenz der Wirksamkeit der MNB zur Eindämmung der Infektionen (völlig ausgeblendet bleibt die Steigerung des Tröpfen-Infektionsrisikos durch An- und Absetzen der Maske verbunden mit deren Verstauen in Taschen, deren Ablegen auf Tischen, der Berührung von Türklinken, Toiletten etc. nach Absetzen der angefeuchteten Masken, was alles sogar den Verdacht der Kontraproduktivität nährt) folgt die Unverhältnismäßigkeit der Neuregelung auch aus deren -im Vergleich zur Erstphase von August nun fünfmal (!) so langen, übermäßigen Gültigkeitsdauer bis zum 31.12.2020, die den aktuellen zwischenzeitlichen Entwicklungen des schnelllebigen SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen keinerlei Rechnung trägt.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Rechtsauffassung des Autors wieder und kann und will eine individuelle rechtliche Beratung nicht ersetzen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Olaf Möhring, Mönchengladbach/NRW



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